Naturgenuss und Outdoorspaß
Ich sitze bei einem Tee mit Eric in einem gemütlichen Landhotel in Nadrin am Kamin. Gleich wird es losgehen mit unserer Ardennen-Wanderung. Mit unserer ersten Wanderung muss man sagen, denn Eric hat geplant, mir ein ganzes Kaleidoskop von wallonischen Wanderregionen zu präsentieren. Eric ist für die nächsten Tage mein Belgien-Guide. Er kennt sich sehr gut aus, denn er ist – Belgier. Geboren in Brüssel, aufgewachsen in Wuppertal. Eric kann unterschiedliche belgische Dialekte nachmachen, da er in seiner Zeit bei der belgischen Armee in Köln viele Originale kennen gelernt hat. Wenn ein flämischer Soldat versucht, französisch zu reden, hört sich das sehr sehr lustig an. Belgien ist bekanntermaßen ein Vielvölkerstaat, besser gesagt ein Zweivölkerstaat (mit den 70.000 deutschsprachigen Belgiern sogar ein Dreivölkerstaat). Aber beide Volksstämme, die Flamen und die Wallonen, die wandern gerne.
Der Tee ist ausgetrunken, es geht los, die Ourthe ist unser Ziel. Ourthe, schon dieser Name fasziniert mich, ich habe nie von diesem Fluss gehört, aber die Ourthe schlängelt sich durch die Landschaft, als hätte ein Gartendesigner den Flusslauf kreiert. Mein Wanderherz schlägt höher, denn der Pfad schlängelt sich wild durch und über unglaubliche Felsen. „Schiefer und Quarzithärtlinge sind das, um die sich der Fluss gewaltig winden muss“, erklärt mir Eric. Sie haben sich in Jahrmillionen aufgefaltet, aufgerichtet, hochgestapelt. Die Geologie hat ganze Arbeit geleistet, um uns ein Naturschauspiel der Extraklasse zu präsentieren. Mir wird schwindlig, wie viele Windungen der Fluss macht, ich habe gedacht, ich hätte kapiert, wo die Ourthe herkommt und wohin sie fließt, linker Hand unseres Pfades kann man das ganz gut nachvollziehen – aber dann sehe ich das Wasser der Ourthe zur rechten Hand glitzern, wenn ich den steilen Hang hinunterblicke. Hä? Ach so, noch so eine Turboschlinge, einfach faszinierend. Man muss schon fit sein, um die Quarzithärtlinge kletternd, wandernd, tastend zu umsteigen. Da trifft es sich, dass ich mich schon auf der Hinfahrt auf einem Autobahnparkplatz in Form gebracht habe. Die belgischen Autobahnen sind weltberühmt, weil beleuchtet. Aber dass man dort auf einem Parkplatz ein Fitness-Programm absolvieren kann, war mir neu. Auf dem „Parcours Sportif“ habe ich eine „Piste de Santé“ entdeckt, eine „Gesundheitspiste“ – andere übersetzen das mit Trimm-dich-Pfad. Dort habe ich mich gebogen, gedehnt und die Bein- sowie Armmuskeln gestärkt, so dass ich ardennen-gämsen-gleich die Felsen oberhalb der Ourthe bezwinge.
Zum kleinen Picknick hat Eric stilecht eine Flasche Trappistenbier mitgebracht. Belgien und das Bier, das ist eine spezielle Geschichte, dazu später mehr. Eric ist konsterniert, hat er doch vergessen, Becher einzupacken. Ist doch egal, trinken wir eben aus der voluminösen dunkelbraunen Ein-Liter-Flasche. Beschwingt durch die wunderschöne Landschaft und das Trappistenbier lassen wir unsere erste kleine Wanderung ausklingen, indem wir vom Gratweg hinunter zur Ourthe gehen und uns am Ufer von dem träge dahin fließenden Fluss verzaubern lassen. Gemütlich, langsam, so scheint der ganze Landstrich zu sein, auch die Menschen, die in den Ardennen wohnen. Vielleicht ist „träge“ zu negativ, sagen wir mal, alle sind sehr entspannt...
Damals in den Ardennen… der erste Ortswechsel
Wenige Kilometer von Nadrin entfernt liegt Achouffe, ein Ardennen-Ort mit einer kleinen Brauerei. An dieser Brauerei beginnt ein sehr feiner Rundwanderweg: Sechs Kilometer, die es in sich haben! Bevor es losgeht, studieren wir einen Aushang in der Ortsmitte. Dort kann man sich informieren, an welchen Tagen man wandern darf und an welchen nicht. An den No-Go-Tagen treiben sich nämlich die Jäger in der Gegend herum. Und die schießen nun mal scharf auf alles, was sich bewegt – dann sollte man besser auf eine Wanderung verzichten. (Unter www.ourthesuperieure.be/„Tableau des chasses“ kann man per PDF für Nadrin, Achouffe und andere Orte die Jagdzeiten einsehen).Zunächst geht es los in einem Tal, das sich immer mehr verengt. „Promenade de la vallee des fees“ heißt unser Wanderweg, wir promenieren also in den Tälern der Feen. Sagengestalten sind in den Ardennen hoch im Kurs: Feen, Werwölfe, Zwerge. Dann gehen wir über eine Brücke, später bergan hoch durch üppigen Ginster. Im Frühjahr ist der Ginster quietschgelb. Andere sagen dazu zitronengelb, aber mir gefällt das Wort „quietschgelb“ besser. Kurze Zeit erleben wir eine völlig andere Landschaft, es geht in einen düsteren Fichtenwald, einen richtigen Hänsel-und-Gretel-Wald. In diesem Wald steigen wir talwärts durch Hohlwege ins nächste (Feen-) Tal. Im Prinzip führt dieses Tal wieder zurück zum Ausgangspunkt in Achouffe, aber man ist (Gott sei dank) noch lange nicht am Ziel. Denn der Weg ist nun mal das Ziel. Einen derart bombastisch naturnahen Wanderpfad habe ich selten erlebt. Ohne Übertreibung einer der drei besten Talwege, die ich je gewandert bin. An einem virilen Bach geht es entlang, wir laufen über Wurzeln, Felsen, feuchte und wacklige Stege. Es gibt auch kurze Kletterpassagen, aber Seile und Ketten sind weitestgehend unbekannt. Man muss schon seine Hände benutzen, um sich an Felsvorsprüngen und Bäumen fest zu halten, das ist fast hochalpine Dreipunktklettertechnik. Aber richtig gefährlich ist das alles nicht, das Schlimmste, das passieren könnte, sind ein paar feuchte Socken. Wir sehen viele Biberdämme, einige Baumstümpfe am Wegesrand weisen die typischen Biber-Knabber-Spuren auf. Angeblich leben am Fluss auch Fischotter, nur heute lässt sich keiner blicken, heute laufen Eric und Manuel durch das Tal, und solche Hektik mögen Frau und Herr Fischotter nicht. Ich bin ein wenig traurig, als wir wieder in Achouffe ankommen, das war wirklich ein Wanderweg, den ich direkt noch einmal gehen würde.
Aber große Trübsal blasen wir keineswegs, weil die Brasserie lockt, die das im Ort gebraute Bier ausschenkt: Das Chouffe Bier, eine von hunderten regionalen Bierspezialitäten Belgiens. In der Brasserie brennt in der Raummitte ein Lagerfeuer, sehr stimmungsvoll, aber nach meinen ardennischen Wandertagen roch ich noch lange, als hätte ich wochenlang am Lagerfeuer übernachtet. Ich versuche alle Sorten der Brauerei zu verkosten. Denn ich liebe belgisches Bier, jawohl! Und das sagt ein ehemaliger Botschafter des deutschen Biers. Manche Bier-Puristen mögen nun aufheulen und das deutsche Reinheitsgebot zitieren, das in Belgien angeblich nicht beachtet wird. Oder die Bier-Puristen kommen mit dem alten Witz: „Wenn du 1.000 Jahre alt werden willst, solltest du belgisches Bier trinken, denn das Bier in Belgien hat ein Haltbarkeitsdatum bis 3016.“ Alles Unsinn, Konservierungsstoffe haben auch im belgischen Bier nichts zu suchen. Aber man ist eben etwas experimentierfreudiger: Ich trinke zum Beispiel das Houblon, gebraut mit drei verschiedenen Hopfensorten. In Deutschland werden dagegen nur zwei Prozent aller Hopfenarten ausgeschöpft. Ergebnis: fast alle Biere schmecken ähnlich. Nicht so in Belgien. Ganz anders als das Houblon mundet das blonde Chouffe, ein sauberes achtprozentiges Bier. Eric erzählt, dass er immer wie ein Schaf guckt, wenn er zu viel davon kostet. Der Stoff schmeckt, genauso wie das braune Chouffe, einfach göttlich, zum Niederknien, süffig, austariert in den Bitterstoffen, die haben es echt drauf, die Belgier. Wenn ich ein Lyriker wäre, würde ich jetzt eine Ode auf das belgische Bier schreiben, aber das lasse ich lieber mal. Sonst werde ich noch wie Troubadix bei den Galliern an einen Baum gebunden und geknebelt...
Damals in den Ardennen… der zweite Ortswechsel
Am nächsten Morgen. Wir sind in den äußersten Süden Belgiens gefahren, nach Corbion nahe der französischen Grenze. Wir gehen an der Dorfkirche los, in der man eine Johannes-der-Täufer-Szene als Comic bewundern kann. Die spinnen, die Belgier, ein ganzes Land ist spätestens seit Tim und Struppi comic-verrückt. Wir gehen an natursteingemauerten Häusern vorbei hinaus aus dem Ort. Im Wald erreichen wir nach wenigen Minuten den Predigtstuhl, einen Aussichtspunkt oberhalb der Semois. Die Semois ist die große Schwester der Ourthe, genauso abenteuerlich trickreich verschlungen. Und wer predigte am Predigtstuhl? Peter der Eremit war es, der dort oben zu den Truppen des Gottfried von Bouillon predigte. Das ist Geschichte pur mitten in den Ardennen. Denn kurz vor Beginn unserer Wanderung hatte ich mir mit Eric die Burg von Bouillon angeschaut, die liegt auch an der Semois, unweit von Corbion. In dieser Burg residierte einst Gottfried von Bouillon. Ob er der Erfinder der gleichnamigen Gemüsesuppe ist, blieb für die Nachwelt im Dunkeln. Da es ihm aber auf seiner trutzigen Burg oberhalb der Semois etwas fade wurde, beschloss er, eine ausgiebige Dienstreise nach Jerusalem anzutreten und wurde so der erste Kreuzfahrer der Weltgeschichte. Während Peter der Eremit zu den Kreuzzüglern im Tal sprach, predigen Eric und ich nicht, schauen aber im Tal auf einen Campingplatz im Ort Poupehan hinunter. Die Dauercamper wären wahrscheinlich nicht für einen Kreuzzug zu gewinnen, und so verlassen wir den Predigtstuhl (einen wahrhaftigen Stuhl konnte ich übrigens nirgendwo entdecken) und wandern bergab zur Semois hinunter. ...
Infos zur Region: www.belgien-tourismus.de