Typisch für die Region kleine ruhige Orte wie Fresse mit schönen Gemüsegärten
Seerosen auf Teich
Felsen, Ginster, Fingerhut
Pfade im Grünen
Circuit Entre Étangs et Prairie, Ausblick
Wer hätte gedacht, dass sich in einem Teil des Naturparks Ballons des Vosges so viel nordische Landschaft befindet, dass man hier sogar von Klein Finnland spricht? Das Plateau des 1000 Étangs in den Südvogesen ist ein perfektes Ziel für kleine und größere Rundwanderungen zwischen Teichen, Felsen, Wäldern und weiten Blicken.
Text & Bilder von Andrea C. Bayer
Die Autorin am Étang de Plate Pierre
Glatt, ruhig und mit einem zarten Dunstschleier überzogen liegt der Teich Étang Mama vor mir. Mit viel Phantasie erkenne ich einen Hauch von Licht. Das frische Grün der kleinen Birken auf den ebenfalls kleinen Inseln im Teich strahlt. Noch vor dem Frühstück gehe ich diese erste Vier-Kilometer-Runde von La Mer. Ich atme Waldluft, fotografiere moosbewachsene Felsen und erahne, warum das Plateau des 1000 Étangs auch Klein Finnland genannt wird.
Die Hauptzutaten dieser Landschaft am Südrand der Vogesen sind dieselben wie hoch im Norden Europas: Wasser, Wald und Felsen. Dazwischen Moore, weiche Pfade und viel Ruhe. Das ist sehr nach meinem Geschmack und hat mich neugierig werden lassen, als ich vor etwa einem Jahr zum ersten Mal von dieser Region hörte.
Eingebettet zwischen zwei Flusstäler, wartet das Plateau mit rund 1.600 Teichen auf. Ihren Ursprung haben sie in den Hinterlassenschaften der Gletscher aus der letzten Eiszeit. Mulden und Gräben haben sich mit Wasser gefüllt. Sie wurden zu Tümpeln, Bächen und Mooren. Was natürlich entstand, wurde künstlich fortgeführt: Im Mittelalter sollen Mönche die Einwohner dieser bis heute sehr ländlichen Gegend angelernt haben, weitere Teiche anzulegen. Sie dienten der Fischzucht. Heute dienen sie der Freizeitangelei und der Erholung: 250 Kilometer markierte Wanderwege gibt es in der Region. Über 20 Rundwanderwege zwischen gut drei und 24 Kilometern Länge machen sie für jeden Anspruch erlebbar.
Morgenstimmung am Étang Mama bei La Mer
Beschauliche Orte und tiefe Täler
Ich möchte in meinen Tagen in den Südvogesen so viel erleben, wie nur möglich. Ich freue mich auf Zeit für mich, intensives Gehen und spannende Fotomotive. Ob ich womöglich einmal zu viel erwähnt habe, dass mir Regen beim Wandern nichts ausmacht? Pünktlich zu meiner Ankunft ist die Wetterlage im Mittelgebirge wechselhaft. Das zaubert Stimmungen wie die an meinem ersten Wandermorgen am Étang Mama. Das schmälert aber auch die Zeitfenster für meine Fotomission. Und es lehrt mich eine wertvolle Lektion: Das Warten in der Natur kann ausgesprochen entspannend sein. Jedenfalls dann, wenn kein Gewitter droht und keine Etappenziele erreicht werden müssen.
Ich vertrödle Zeit auf einem Steg und schaue Miniregentropfen zu, wie sie auf der Wasseroberfläche landen. Ich beobachte, wie die Tropfenschar größer wird, und ziehe um unter das Vordach einer Fischerhütte. „Das wird nur ein Schauer sein”, denke ich. Eine Stunde später packe ich zusammen und beschließe, mir heute ein paar der kleinen Orte in meinem Wandergebiet anzuschauen. Aus den Tropfen ist nämlich ein dicker Regenschleier geworden; bald erreicht er auch mich, die ich mich eng an die Holzhauswand gedrückt habe.
Stege laden zu kleinen Pausen am Wasser ein
Was ich auf meiner Erkundungsfahrt schnell lerne: Zwischen den Tälern geht es markant auf und ab. Die Sträßlein sind schmal und immer wieder säumen Blumenkästen mit roten Begonien darin die Geländer kleiner Brücken. Alles wirkt beschaulich; ich fühle mich wie in einem eigenen kleinen Kosmos. Als ich durch Faucogney schlendere, hält große Geschichte Einzug in diesen Kosmos: Hier hat man sich 1674 heftig zur Wehr gesetzt, als Ludwig XIV. die Region Franche-Comté aus spanischer Herrschaft zurückeroberte. Faucogney ist die älteste Stadt auf dem Plateau der 1000 Teiche. Und es ist eine Stadt, deren zwei-bis dreigeschossige Häuser mit ihren hölzernen Fensterläden und Fassaden, die auf unterschiedliche Gewerke verweisen, zum Entdecken einladen.
Ein Hingucker am Ortsausgang von Faucogney et la Mer
Es ist wirklich wie in Finnland
Auf meiner zweiten Wanderung begebe ich mich ins Herz von Klein Finnland: Einer der ausgeschilderten Wanderwege bei Grilloux trägt tatsächlich den Titel La Petite Finlande. Nach wenigen Schritten erspähe ich die ersten Birken am Ufer. Gegenüber ragen Ferienhäuser aus der Wiese. Dicke Walderdbeeren säumen meinen Weg. Heidelbeeren gesellen sich dazu und dann auch noch neben einem Weiher aufragende Felsformationen. Ja, das hier kann man getrost als Klein Finnland bezeichnen. Richtig ruhig ist es allerdings nicht: Wo Wasser ist, sind Frösche rund um Grilloux. Ich lasse mich auf einem der Felsblöcke nieder und lausche ihrem Konzert, ohne auch nur einen der Sänger zu Gesicht zu bekommen.
Circuit La Petite Finlande
Das Wetter schaut gut aus, als ich nach fünf Kilometern wieder den Parkplatz erreiche. Ich hänge die Runde Entre Étangs et Prairies an. Sie offenbart einen Blick auf die Silhouette des 1.216 Meter hohen Ballon de Servance und lässt mich feststellen, dass die rotbraunen Kühe der Südvogesen ebenso neugierig wie fotogen sind. Ihr Glockengebimmel erinnert mich an Kindheitstage im Allgäu; die Vegetation tut es ebenso. Voralpen, Südvogesen, Finnland: Ist es nicht erstaunlich, wie wir aktuelle Eindrücke mit früheren verbinden?
Neugierig und fotogen:
Kühe am Circuit Entre Étangs et Prairie
Ginsterbüsche streifen mir beim Weitergehen um Beine und Rucksack. Eine kleine Senke rechts des Weges fängt meine Aufmerksamkeit: Hier steht Wollgras. Der Indikator für Moor gehört zu meinen Lieblingspflanzen. Ich mag seine zarte-silberne Form und das Wiegen der Köpfe im Wind. Ein älterer Herr mit Rucksack fragt höflich, was ich da fotografiere. Ich freue mich, kann ich doch meine frisch gelernte neueste Vokabel anwenden: „La linaigrette” ist das Wollgras auf Französisch.
Wäre nicht doch ein dickes Wolkenband im Anflug, in welchem ich den angekündigten Regen vermute, würde ich womöglich noch immer irgendwo oben bei Grilloux verweilen. Die sanften Hügel, die kleinen Pfade, dazwischen bunte Blumenwiesen und Ausblicke über die Teiche – das alles wirkt so unaufgeregt und doch so reich. Reich an Farben, Formen und Landschaftskompositionen.
Regenstimmungszauberei um Belfahy
Was diese Eiszeit vor 12.000 Jahren hinterlassen hat, sind nicht selten einzelne Steinblöcke, die wie zufällig platziert neben Pausenplätzen aus der Erde wachsen. Gräser, Fingerhut und Flechten kuscheln mit ihnen und schaffen Mikrokosmen, die dieses Plateau zu dem machen, was es ist: einzigartig. Zu dieser Einzigartigkeit trägt bei, dass das Plateau mit seinen vielen Teichen in einem Mittelgebirge und damit vergleichsweise tief liegt, wenngleich mit Belfahy der höchstgelegene Ort der Vogesen zur Region gehört.
Schön zu gehen: Die Pfade rund um Belfahy
Für mich ist Belfahy der Ausgangspunkt einer Wanderung, die ich beinahe nicht unternommen hätte: Kaum ist das Auto abgestellt, prasselt ein unerbittlicher Regen herab. Ich hadere und gehe schließlich doch los, auf die Runde von Belfahy, die mich erst einmal gut geschützt durch den Wald führt.
Die warme Temperatur und die Feuchtigkeit zaubern dicke Schwaden zwischen die Bäume. Kaum trete ich aus ihnen hervor, wird es trocken. Die Sonne bricht durch. Ich weiß nicht, für wie lange. Der mir entgegenkommende Fernwanderer hat einen flotten Schritt drauf, während ich den aufsteigenden Wolken zusehe und meinen Blick an das nun noch strahlendere Grün der Anhöhen hefte. Ich passiere das Schild mit der Aufschrift „Col des Chevrères”. Der berühmte 8,4-Kilometer-Anstieg der Tour de France, der 523 Höhenmeter überwindet, hat meinen Respekt. Beziehungsweise all die Hobby- und Profiradler, die überhaupt in diesen Gefilden unterwegs sind. Fit sind sie, grüßen mich zuverlässig freundlich, ehe sie sich auf den Weg nach unten machen.
Typisch für Wanderung am Ballon d'Alsace: Weite Aussichten
Ich genieße wenig später einen Blick über Täler und Anhöhen. Das Panorama habe ich ganz für mich. Liegt es am Wetter oder ist hier insgesamt doch wenig los? Mir passt das gut, zumal diese Landschaft mich ein wenig sprachlos werden lässt. Wieder einmal kommt mir vieles im Grundsatz bekannt vor und ist doch so besonders. Ich mag den Kontrast zwischen Plateau und Gipfeln, zwischen lieblich, waldig und schroff.
Steinig wird es auf dem kleinen Stich hoch zur Kapelle Saint Blaise. Die liegt unweit von Belfahy. Ich stoppe hier auf meinem Weg zurück und gehe das Stück hinauf zur Kapelle mit Aussicht. Das Wasser der Quelle nebenan soll allerlei Gebrechen lindern. Der Regen nimmt zu, ich steige ab – und nehme mir fest vor, bei meinem nächsten Besuch die Neun-Kilometer-Runde zur Kapelle zu gehen. Vielleicht gar mit der Verlängerung über den Sentier de la Verrerie. Das wären dann an die 20 Kilometer und etliche Höhenmeter mehr als auf den gemütlichen Touren, die ich mir dieses Mal gegönnt habe.
Anreisen und rumkommen: Das Plateau des 1000 Étangs liegt in den Südvogesen. Es gehört zur Tourismusregion Bourgogne-Franche-Comté und ist von Deutschland aus mit öffentlichen Verkehrsmitteln über den TGV-Bahnhof Belfort zu erreichen. Die größte Flexibilität vor Ort hat man mit einem Mietwagen.
Wanderpause im Garten der Unterkunft in Mélisey
Übernachten: Ein kleiner Campingplatz, ein Camping-Pod, dazu Ferienwohnungen und Gästezimmer: Gîtes Le Creux im kleinen Ort Fresse ist ein ebenso ruhiger wie familiärer Ausgangspunkt. Er liegt auf einer Höhe von 520 Metern und eingerahmt von Bergen unweit von Mélisey.
Ein Zimmer in einer alten Schule aus den 1930er-Jahren, ein Kinosaal als Frühstücksraum und mittendrin im kreativen Werk des Autoren-Fotografen-Paares Fabienne und Fred: Les chambres noires in Mélisey sind eine außergewöhnliche Unterkunft. Tipp: Unbedingt die Ruhe im Garten genießen!
Mit Herz geführt ist der Hof La Ferme de Là-Haut: Hoch oben über Haut-du-Them-Château-Lambert gelegen, genießt man Ruhe, Gastfreundschaft und die Gesellschaft von drei Hunden, sechs Eseln, drei Ziegen und einem Schaf. Typisch für die französischen Chambres d’hôtes, gibt es ein reichhaltiges Frühstück und das Abendessen in der Stube der Gastgeber. Lecker, gemütlich und wie bei Freunden.
Restaurant-Tipps: Saisonal, regional und mit einer feinen Mischung aus Tradition und modernem Twist wird im Restaurant La Bergeraine am Ortsausgang von Mélisey gekocht. Etwas unscheinbar, aber mitten in Mélisey gelegen, ist das Café de la mairie. Den sympathischen Service und die wunderbar abgestimmten Kreationen der Zwei- oder Drei-Gänge-Menüs sollte man auf keinen Fall verpassen.
Fünf Tipps für deine Wanderauszeit in Klein Finnland
Entspannt und perfekt zum Eintauchen in die (Wander-)Kultur der Südvogesen:
Le Festival Mille Pas aux 1000 Étangs
1. Das Wanderfestival Le Festival Mille Pas aux 1000 Étangs ist das älteste in Frankreich. An inzwischen 16 Wochenenden zwischen April und Juli wird in 16 teilnehmenden Orten gewandert. Für zwei Euro Teilnahmegebühr und auf Strecken, die jedes Jahr neu und exklusiv für dieses Event entworfen werden und teilweise sogar durch private Gärten führen. Start, Ziel, Parken, Würstchenverkauf und Streckenposten werden von den Festkomitees der jeweiligen Gemeinden organisiert.
2. Das Infozentrum Espace Nature Culture in Haut-du-Them-Château-Lambert ist einen Abstecher wert. Wenngleich ausschließlich auf Französisch, vermittelt es anschaulich die Besonderheiten zur Entstehung und Nutzung des Natur- und Kulturraumes in den Vogesen. Geöffnet zwischen März und November und gratis Eintritt.
3. Das Team der Touristinformation in Mélisey kennt das Plateau des 1000 Étangs so gut, dass es dir maßgeschneiderte Tipps und Infos geben kann sowie Faltblätter zu all den einzelnen Rundwanderungen.
4. Auf der gut drei Kilometer langen Runde Entre Étangs et Prairies gibt es Stationen mit wertvollen Tipps zum Fotografieren. Die sind richtig gut gemacht, auf Französisch und Englisch und mit Anregungen zum Ausprobieren vor Ort.
5. Belfort ist eine entspannte Stadt mit viel Geschichte und Geschichten und eine perfekte Ergänzung zur ruhigen Draußenzeit. Ob Zitadelle oder Musikfestival FIMU: Es gibt viel zu erkunden. Und natürlich dürfen mindestens eine kleine Wanderung zum Ballon d’Alsace und der berühmte Rundumblick bis in den Schwarzwald und in die Alpen nicht fehlen.
Zur Autorin
Andrea C. Bayer ist als freie Autorin leidenschaftlich in der Natur unterwegs, zu Fuß und auch gerne auf dem Wasser im Seekajak. Auf ihrer Webseite www.kopffreitage.de finden sich zahlreiche Tourentipps und Reportagen aus Deutschland, Dänemark, Frankreich, Schweden, Norwegen und Co.