Für Jonny Berger, einen meiner beiden Wanderbegleiter während meiner Wanderreise, sind die 1.800 Seen und Teiche die blauen Augen des Waldviertels. Das Rubinrot der fantastischen Mohnfelder sei wie die gesunde Gesichtsfarbe eines Wanderers nach erlebnisreicher Wandertour. Und das Blitzen und Glitzern der Waldviertler Flüsse im Sommersonnenlicht wie das Strahlen in Wanderers Augen. Einzigartig ist die Felsenlandschaft aus Gneisen und Graniten. Sie „wachsen“ sprichwörtlich aus Wäldern und Wiesen. Mal moosbewachsen, mal baumbestanden. Wie Knetgummi türmen sie sich mal in die Höhe, fügen sich der Länge nach zu erstaunlich hohen Felswänden oder lugen, steil aufragend, aus dem Erdreich. Grandios!

Rund 400 Millionen Jahre jung ist das metamorphe Gestein. Aufgeschmolzen im Erdinneren zu glühendem Magma, durch tektonische Einflüsse als „Böhmische Masse“ aufgestiegen und noch in der Erdkruste allmählich erkaltet. Den Rest besorgte und besorgt die Erosion durch Wind, Wasser, Hitze und Frost. Man betrachte diese urtümlichen Kolosse. Hingestreut wie von mächtiger Hand, begeistern sie als Wackel-, Schalen-, Teufels- oder Fiedelssteine. Die Waldviertler Restlinge haben ihre Geburtsstätten nie verlassen, es sind „Einheimische“.

Der dreifache Kamp

Der Kamp ist ein echter Wildfluss. ​​​​​​Die bernsteinbraune Farbe ​​​​​​des „reinen“ Wassers
​​​​​​geht auf die Hochmoore in seinen beiden Quellregionen zurück © Michael Sänger

Einer der spektakulären Flüsse des Waldviertels, neben Thaya, Lainsitz oder Ysper, ist der Kamp. Es gibt die beiden Quellflüsse, den kleinen bzw. großen Kamp, und flussabwärts noch den Purzelkamp. Zu Füßen des wunderschönen Altstadtensembles von Zwettl, der heimlichen Hauptstadt des Waldviertels, strömt der Kamp vorüber. Hier vereint er sich mit dem Namensgeber für die von fünf Türmen und einer mächtigen Stadtmauer umgebenen Stadt, der 55 km langen Zwettl. Und weiter strömt der Kamp, um kurz hinter der gewaltigen Klosteranlage von Stift Zwettl bald zum ersten von drei Kampseen gestaut, den dritten Flüssearm im Bunde aufzunehmen, den Purzelkamp. An den Ufern dieser Seelandschaft fühle ich mich auf Anhieb in nordische Fjorde versetzt. Ein Wirrwarr sich verästelnder Buchten mit kieferbestandenen, felsigen Ufern erzeugt skandinavisches Feeling pur. Jonny entführt mich in entlegene Buchten, hinauf auf die Wahnsinnsanlage von Schloss Ottenstein aus dem 12. Jh. und über die Staumauer zurück. Den kulinarischen Höhepunkt erleben wir dann in einem der drei Wanderpartnerhotels des zertifizierten Wanderdorfs Zwettl. Das Faulenzerhotel, nomen est omen, liegt im hübschen Friedersbach mit der fantastischen Wehrkirchenanlage. Schmausen und in Erinnerungen schwelgen.

Zwettl – die heimliche Hauptstadt

Die Klosteranlage von Stift Zwettl © Waldviertel Tourismus, lichtstark.com

Vom Zentrum der Kuenringerstadt aus dem 12. Jh., genauer gesagt, vom herrlichen Hauptplatz mit dem nach Plänen von Friedensreich Hundertwasser gestalteten Brunnenensemble, gleich gegenüber von der katholischen Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt, starte ich tags darauf den sagenhaft schönen Wasserwunderweg durch das wilde Kamptal. In wenigen Schritten stehe ich vor den Toren Zwettls am Ufer des strömenden Kamps. Das durch Ausschwemmungen aus den Hochmooren im Quellgebiet bernsteinfarbene Wasser quetscht sich in ein enges, größtenteils felsiges Tal. Mal schäumt der Kamp zwischen haushohen, moosbewachsenen Felskolossen hindurch. Dann wieder gibt er Raum für kleine Sandbänke und Schilfinseln. Mächtige Föhren und Fichten schauen dem Wildfluss geduldig zu. Es ist still.

Das Brunnen-ensemble in Zwettl von Friedensreich Hundertwasser
© Waldviertel Tourismus, lichtstark.com

Die Wasserkraft des Kamp treibt seit dem Ende des 19. Jh. Generatoren an. Sie lieferte den vielen inzwischen aufgelassenen Mühlen jahrhundertelang die Kraft zum Mahlen und Sägen. In eine der alten Mühlen, die Hahnsäge vor Roiten, hatte sich der weltbekannte Künstler Friedensreich Hundertwasser verliebt und kaufte sie 1964. Ohne Strom, versorgt von den Elementen der Natur, verbrachte er viele Sommer im Kamptal. Mehr als 40 Kunstwerke entstanden in 34 Jahren. Bis zu 100 Meter tief hat sich der Kamp auf seinem bizarren Weg bis zur Mündung in die Donau in die ca. 500 bis 600 m hohe Hochfläche des Waldviertels eingegraben. Nahezu jeder Abschnitt lädt zu Entdeckertouren ein.

Die Schwarz Alm und das Stift Zwettl

Zwettl mit seinen teils vollständig erhaltenen Barock- und Renaissancefassaden, dem turmbewehrten und mit sehenswerten Sgrafitti verzierten Rathaus aus dem 16. Jh. ist ein Hingucker. Seit 1554 wird hier auch das süffige Zwettler Bier gebraut. Hopfen und Gerste wachsen vor der Haustür und das weiche Wasser sprudelt aus der Erde. Nach wenigen Kilometern kampaufwärts zweigt linker Hand ein Weg durch den Steilhang zur Schwarz Alm ab. Das heutige ****Hotel hat eine lange Geschichte. Am Anfang stand eine urige Almhütte mit Almhirt und Almvieh. Später übernahm der Österreichische Alpenverein die Almwirtschaft, dann folgten die Naturfreunde und irgendwann übernahm die Zwettler Bierbrauerdynastie, die Familie Schwarz, die Gebäude. Von der Alm zum zertifizierten Wanderhotel, was für eine Geschichte.

Flussabwärts, von Zwettl aus in einer halben Stunde auf Wanderwegen erreichbar, liegt an den Ufern des Kamp die gewaltige Klosteranlage von Stift Zwettl. Die Gründungsgeschichte des Stifts reicht in das Jahr 1138, als zwölf Zisterziensermönche von einem der damals herrschenden Kuenringer ins Waldviertel gerufen wurden. Aus den kargen Anfängen entstand eine beeindruckende Zisterzienseranlage. Der gotisierte Turm der Stiftskirche grüßt von weitem. Man schreite über die romanische Kampbrücke, bestaune den Kapitelsaal, das Dormitorium, den Kreuzgang und das Innere der Stiftskirche „Maria Himmelfahrt“. Ein faszinierendes Ensemble in wundervoller Natur.

Die Hochländer

Das Markenzeichen des Waldviertels: Felskolosse aus Gneis und Granit, die aus der Erde wachsen.
© Michael Sänger

Gen Westen steigt das Waldviertel unmerklich an. Hier reihen sich wie die Perlen einer Schmuckkette die Tausender des Waldviertels von Nord nach Süd aneinander. Hier liegen ausgedehnte Hochmoore. Es heißt sogar, es sei das an Hochmooren reichste Gebiet Österreichs. Klar, dass hier auch die meisten der Waldviertler Flüsse entspringen. Hans Sagmüller, der mich zwei Tage durch das Wanderdorf Moorbad Harbach und auf dessen Hausberge Mandel- und Nebelstein begleitet, ist hier aufgewachsen. In der 900 m hoch gelegenen Streu- gemeinde Hirschenwies kennt er nahezu jeden Stein. Auch die Adresse von Oma Hermi Stundner in Hirschenwies, Haus Nr. 10, wo es seiner Meinung nach die besten handgemachten Mohnzelten gibt.

Für den Weg zum Mandelstein schlägt er die Route entlang der österreichisch-tschechischen Grenze vor. „Geritzt“, stimme ich ein und wir wählen die Steinspirale „Meilenstein des Friedens“ am ehemaligen Grenzübergang als Ausgangspunkt. Was für ein herrliches Wanderstück durch von Steinkolossen und Granitmauern gespickten Hochwald. Immer wieder öffnen sich Ausblicke nach Tschechien, etwa auf die 1.034 m hohe Vysoká und das Becken um Nové Hrady (Gratzen). Gewaltig ist das Steinhaupt des Mandelsteins. Eine Königskrone aus Granit. Begehbar gemacht mit Leitern, überragenden Aussichtsplattformen und Bänken.

Johann zeigt mir das morgige Ziel, den Nebelstein mit seinem rotweißen Sendemast. Nach dem Abstieg besuchen wir das KRISTALLIUM glas.erleben. von Erwin Weber in Hirschenwies, zertifizierter Wandergastgeber mit der Pension Kristall. Erwins Vorfahren gründeten im 17. Jh., es war die Blütezeit der rauchenden Waldglashütten im Waldviertel, eine Glasschleiferei. Von Generation zu Generation wurde die Tradition des filigranen Handwerks weitergegeben. Die Führung durch seine Werkstatt, der beeindruckende Film, die Ausstellungs- stücke und die Einladung, selbst eine Gravur in ein Erinnerungsstück zu schleifen, sind einfach sensationell.

Die Sagen- und Märchenwelt am Nebelstein

Das Nebelstein-Gipfelplateau. Gesicherte Aussichtsbalkone und ein Gipfelkreuz.
Wenige Meter tiefer liegt die Nebelsteinhütte © Michael Sänger

Pünktlich zum Start auf dem 11,2 km langen und mit sechs Erlebnisstationen ausgestatteten Nebelstein Erlebnis-Wanderweg hört es auf zu regnen und die Sonne zeigt sich. Der zertifizierte Wanderweg wurde im September 2019 eröffnet und kann entweder in ca. 3 Stunden komplett oder in zwei kleineren Schleifen erwandert werden. Einkehrmöglichkeiten bestehen auf der urigen Nebelsteinhütte unter dem 1.017 m hohen Gipfel oder im schönen Märchenhotel Waldpension Nebelstein von Andreas Schmidt und seiner Familie. Auch das Märchenhotel ist ein zertifizierter Wandergastgeber.

Toll gemacht sind die sechs Erlebnisstationen am Weg. Immer wieder weisen Märchen- und Sagenschilder auf kuriose, oft lustige Histörchen hin. Mir gefällt die reduzierte und mit markanten Installationen präsentierte Art der Informationsvermittlung. Einmal ist die besondere Grenzlage das Thema. Dann geht es um die regionalen Granitvorkommen. Dann wieder lockt ein Hochstand. An der Holzwerkstatt geht es um die heimischen Baumarten und der vielfach vergrößerte „Pollen“ der hölzernen Moorkugel thematisiert auf geniale Weise das Werden und Wachsen eines Hochmoores. Na klar, die Logenplätze auf dem Nebelsteingipfel tun ihr Übriges.

Aktiv bleiben

Seit 1980 gibt es das Kurangebot des Moorheilbad Harbachs. Interessant, dass man sich hier auf Bewegung fokussiert. Neu ist für mich das Angebot zur Lebensstiländerung. Ein ganzheitlicher Ansatz, der die Prävention mit allen Aspekten der Ernährung, der Resilienz und der Bewegung zum Ziel hat. Das erlebe ich auch bei meinem letzten Gastgeber, Gerhard Fröstl vom Gasthof-Pension Nordwald. Auch er gehört zu den zertifizierten Wandergastgebern und bietet Massagen sowie eine ausgewogene Küche mit Produkten der Bauernschaft vor Ort. Direkt vor der Haustüre liegt der Xundwärts-Parcours, ein Motorik-Fitnesspark, der für sich schon eine Reise wert ist. Von jedem der sechs Dörfer des Moorbades kann man sich entweder mit dem E-Bike, auf Wanderschuhen oder mit Nordic-Walkingstöcken in die herrliche Natur aufmachen.

Wie übereinander gelegte Knetgummistreifen: Der Gipfelaufbau des Mandelstein 
© Michael Sänger

Um das ganze Waldviertel zu entdecken, müsste ich noch zwei Wochen dranhängen. Urig ist es, facettenreich, natürlich und still. Ich denke darüber nach, warum das Waldviertel nicht Burgen- oder Schlösserviertel heißt. Zwölf Burgen und sechzehn Schlösser gibt es zu bestaunen und zu besichtigen. Wenn ich dann noch die mauerbewehrten Orte wie Zwettl oder Weitra hinzuzähle, die berühmten Klosteranlagen, und an die Weitwanderwege wie den neuen Lebensweg denke – Wiederkommen ist einfach unausweichlich. Versprochen!

 

Michael Sänger