Wandermagazin: Manuel Andrack, Kölschtrinker, Katholik, Fan des 1. FC Köln und Wanderer aus Leidenschaft – sind Sie Beweis dafür, dass Wandern nun wirklich nichts mehr mit Spießertum zu tun hat?
Manuel Andrack: Ja, genau! Das Wandern nur mit roten Socken, Hirschgeweihen, Butzenscheiben einseitig aufzuladen, das gibt es wirklich nur noch in ganz schlechten Comedysendungen. Ich trinke gerne Kölsch, gehe leidenschaftlich gerne zu den Spielen des Kölner FC und wandere gerne. Wissen Sie, mit solchen einfachen Etiketten, wie auch mit besonders hippen Zeitgeistphänomenen habe ich herzlich wenig am Hut!
Wandermagazin: Der vielfach zitierte Wanderboom hat lange vor den Wanderbüchern von Manuel Andrack begonnen. Dennoch, jedes Magazin, jede Tageszeitung, selbst das Fernsehen hat Wandern entdeckt und laut Allensbach wandern aktuell über 40 Millionen Menschen in Deutschland. Was ist das Geheimnis dieses Booms?
M. Andrack: Wieso ein Geheimnis? Bestimmt sind es mehrere. Wandern ist nicht teuer. Das ist ein oder kein Geheimnis. Im Vergleich mit anderen Freizeit- oder Sportarten ist der so genannte Einsatz extrem gering. Natur und Ökologie liegen im Trend. Wandern ist umweltverträgliches Reisen. Wandern entschleunigt ungemein. Auf die Bremse treten, wenn es im Alltag zu schnell geht. Wandern leistet das. Wandern ist im Moment cool! Weil das so ist, animiert es die Coolen und die, die cool sein möchten. Viele, die es schon immer taten, darüber aber nicht zu sprechen wagten, outen sich eben jetzt.
Wandermagazin: Sind die Wanderer wirklich jünger geworden?
M. Andrack: So gravierend scheint mir die Verjüngung nicht zu sein. Allerdings, es kommt darauf an, wo man wandert. Am Rheinsteig und auf den neuen Superwegen ist das Wanderpublikum in der Tat jünger. Coole Wege werden sicher von jüngeren Wanderern genutzt als etwa traditionsreiche aber unbekannte Eifelpfade, seit der neue Trend ausgerufen wurde…
Wandermagazin: Wer hat denn da gerufen?
M. Andrack: Ihr zum Beispiel. Das Wandermagazin ist doch voll der Lobeshymnen auf die neuen Wanderwege und Ihr werdet doch nicht müde zu wiederholen, dass Wandern eine coole Sache ist. Nun gut, Rainer Brämer (Anm. der Redaktion: Natur- und Wandersoziologe) hat da sicher auch einen großen Anteil.
Wandermagazin: Wieso?
M. Andrack: Da braucht doch nur jemand, typisch deutsche Gründlichkeit, eine Sache zu verwissenschaftlichen, dem bislang anonymen Wanderer ein für die Medien begehrliches Gesicht zu geben und ab geht die Post. Plötzlich entdeckt jeder seine Wanderleidenschaft und flugs haben wir 40 Millionen davon. Die brauchen jetzt allerdings, wissenschaftlich bewiesen, neue Wege, bessere Herbergen und da haben wir den Trend.
Wandermagazin: Sie finden Rundwanderwege blöd. Warum?
M. Andrack: Ich bin kein Autofahrer, habe auch keinen Führerschein. Das prägt. Ich muss nicht an den Startpunkt zurück. Schlimm wird es, wenn man auf Rundwegen größere Abschnitte nochmals laufen muss. Ist doch viel schöner, wenn man zurückblicken kann. „Da komme ich her, das habe ich geschafft…!"
Wandermagazin: Rundwege- und Stöckehasser also?
M. Andrack: Es gibt natürlich Ausnahmen. Bei den Stöcken bin ich standfest. Meine Kritik der Rundschleifen zielt eher auf solch` einfallslosen, harmlosen Rundwegen, bei denen sich kein Mensch wirklich Mühe gemacht hat. Davon gibt es noch einige Tausend! Was zur Zeit draußen entsteht hat ja bereits eine besondere Qualität. Die neuen Premiumwege sind ja auch meist Streckenwege und bedienen damit genau das Motiv des Wanderabenteuers.
Wandermagazin: Was halten Sie von der Serie Wandern mit der Bahn im Wandermagazin?
M. Andrack: Keine Frage, das ist genau mein Thema. So versuche ich meine Touren zu planen. Wenn das nicht geht, geht vielleicht ein Bus und für eine geniale Tour bin ich auch bereit ein Taxi zu rufen und 50 Euro hinzublättern. Das Erlebnis ist mir die Investition wert. Wandern in der Nähe von Bahnstrecken ist schon deshalb ziemlich cool, weil man nach Belieben die Strecke abkürzen oder verlängern kann.
Wandermagazin: Für die Einen sind Sie der King, weil Sie etwa den Lieserpfad aus der Unbekanntheit ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt haben. Den Rothaarsteig haben Sie als leidlich genießbar abgebügelt. Wanderpapst für die Einen, Kultwanderer für die Anderen. Pausenclown beim Gesundheitskongress Wandern im saarländischen Wießkirchen, dann wieder Lichtfigur bei Wanderevents. Haben Sie sich von der Wanderszene vereinnahmen lassen?
M. Andrack: Wieso? Das ist doch lustig! Ist doch klar, dass das Lob überhöhat und die Kritik bis zum Groll überzogen wird. Mir kommt der Gedanke einer Wander-Bundesliga für Wege. Warum keine Champions-Leaque der Wandergebiete oder Wanderwege? Wie im richtigen Leben gibt es da Aufsteiger und Absteiger. Aber ehrlich, der Rothaarsteig ist doch langweilig. Der Rennsteig, den ich in meinem ersten Buch noch diffamiert habe, der ist doch richtig gut dagegen. Gut, vielleicht bin ich ja einfach nur die falschen Etappen gelaufen. Was ich allerdings gesehen habe – und ich bin von Brilon über Winterberg bis ins Siegerländische gewandert, das hat mir persönlich nicht gefallen. Das mit dem Lieserpfad hat doch auch etwas mit dem Vorabdruck in der „Zeit“ zu tun. Dadurch hat sich die Wirkung abnorm verstärkt. Aber gut ist er ja wirklich.
Wandermagazin: Deutschland hat nun zwei Wanderpäpste. Manuel Andrack und Rainer Brämer.
M. Andrack: Auch dafür gibt es Vorlagen in der Geschichte. Ich hab` da kein Problem. Für den Rainer Brämer ist es vielleicht nicht so angenehm. Inzwischen ist er doch auch der Wanderprofessor. Dann bin ich der Wanderpapst. Ist doch nett.
Wandermagazin: Wieviel Wanderbegeisterung konnten Sie bei Ihrer Frau und bei Ihren beiden Töchtern auslösen?
M. Andrack: Bei meiner Frau habe ich versagt. Bei den Mädels habe ich trotz Pubertät gute Hoffnung. Einige Touren haben wir jüngst gemacht, zum Teil mit meinen Eltern, einiges ist in Planung. Ich erstelle gerade mit ihnen unser Familienalbum. Schon erstaunlich, wie viele Wandererinnerungen im Bild dabei sind. Sie wissen dazu durchaus begeistert zu kommentieren und erinnern sich gerne. Also wenn da mal übrig bleibt: Wir sind früher mit Papa gewandert, dann habe ich vermutlich etwas richtig gemacht.
Wandermagazin: Klingt die aktuelle Entwicklung mit unverlaufbaren Routen, zertifizierten Gastgebern und Wegen nicht etwas nach Kommerzialisierung und Disneyland?
M. Andrack: Quatsch! Ich finde es großartig. Ich bin ja kein Abenteurer, gegen verlässliche Markierungen, schöne Wege und gemütliche Einkehrmöglichkeiten habe ich gar nichts. Weiter so. Zertifizierungen sind ja keine Schikanen. Vielleicht ist Deutschland irgendwann einmal mit einem dichten Wanderwegenetz der tollsten Routen überzogen. Ist doch eine schöne Vorstellung.
Wandermagazin: Wieviel Wegequalität haben wir denn beim geplanten Kölnpfad zu erwarten, für den Sie sich dem Vernehmen nach engagieren wollen?
M. Andrack: Der Weg wird nie zertifiziert werden. Ich bin noch Wegepate, als Markierer habe ich mich aber verabschiedet, nachdem ich realisieren musste, dass das mehr als Schildchen kleben und etwas Farbe pinseln heißt. Ich ziehe meinen Hut vor jedem Markierer. Wahnsinn, was die leisten. Nächstes Jahr soll die Umrundung Kölns per pedes möglich sein. Der Kölnpfad ist eigentlich für Kölner. Viele Kölner kennen Kölns Gesichter ja gar nicht.
Wandermagazin: Pilgerwandern ist in. Teilen Sie die Begeisterung?
M. Andrack: Spirituelle Erfahrungen beim Wandern sind nicht mein Ding. Und der Jakobsweg ist, wenn man den Berichten glauben darf, aktuell überlaufen. Mich spricht der Trend nicht an. Da gibt es Typen, die sprechen mich im Supermarkt an und wollen wissen, wie sie für den Jakobsweg trainieren können. Gewandert sind sie in ihrem ganzen Leben noch keinen Meter.
Wandermagazin: In Deutschland hat Wandern in bestimmten Jahreszeiten Hochkonjunktur. Wandern Sie ganzjährig?
M. Andrack: Sommer und Herbst mag ich besonders. Ich wandere auch im Winter, allerdings nicht bei Schnee. Da reicht dann meine Ausrüstung nicht. Außerdem wird es im Winter so früh dunkel. Aber klar, dann macht man halt kurze Touren. Ja, ich kann nur empfehlen: Leute wandert. Egal, zu welcher Jahreszeit. Es tut einfach gut
Wandermagazin: Was sind Sie denn nun: Kilometerfresser oder Genusswanderer?
M. Andrack: Sagen wir so, ich entwickle mich zum Genießer des Wanderns. Die Wander-Weltmeisterschaft in Schladming und andere Langstreckenwanderungen haben mir nicht wirklich etwas gebracht, außer den üblichen Blasen. Ich merke, dass mir häufigere, kürzere Wanderungen mit Pfiff und Freude viel mehr bringen. Außerdem, ich bin inzwischen ein Vierziger. Auf diese Altersgrenze ist der Mensch von Natur aus getrimmt, der Rest ist Bonuszeit. Ich gehe zwar immer noch sportlich, aber kürzere Strecken. Auch mit Blick auf meine Gelenke und mein Wohlbefinden. Ich bin kein Hardcore-Wanderer mehr. Ich kann mir eine lange Rast auf einer gemütlichen Bank heute gut vorstellen. 15 bis 25 km sind so meine Strecken.
Wandermagazin: Es gibt einen Trend zum Extremwandern. 24 Stunden marschieren non-stop, 100 km am Stück oder Rothaarsteig in einem Rutsch. Was meinen Sie?
M. Andrack: Jedem das Seine. Aber ich habe das hinter mir. Sie sagen es selbst, das ist kein Wandern, das ist Marschieren. Nicht mein Ding. Nicht mehr. Mal ehrlich, man sieht doch dabei irgendwann nichts mehr von der Natur.
Wandermagazin: Was halten Sie von Ritualen wie Stunde der Ankunft?
M. Andrack: So spontan nichts! Was soll denn das sein, die Stunde der Ankunft?
Wandermagazin: Das erhabene Gefühl, angekommen zu sein!
M. Andrack: Vermutlich hat das was, ich müsste darüber mal nachdenken. Spontan kommt mir das zu esoterisch vor… wieß nicht.
Wandermagazin: Was macht Wandern mit Ihnen?
M. Andrack: Es macht mich einfach glücklich. Die Freude bei der Planung, beim Wandern und (lacht)… die Stunde der Ankunft, also das Danach.
Wandermagazin: Ihre Wandererfahrungen im Ausland?
M. Andrack: Schweiz, Österreich, Tschechien – das ist es aber auch. Das hat etwas mit der Zeit zu tun, die ich fürs Wandern habe. Die großen Urlaube verbringe ich schon mal am Meer oder beim Reiten. Wandern ist bei mir so eine Art Intensivausstieg zwischendurch. Mal einen, zwei oder drei Tage. Reloading kompakt quasi. Dafür, zumal ohne Auto, fahre ich natürlich nicht sehr weit weg. Zwei Tage nach Skandinavien oder Frankreich wäre ja völliger bullshit. Eigentlich komme ich beim Wandern immer näher an meinen Lebens- und Arbeitsumfeld heran. Ist doch klasse, was ich hier von Köln aus (Anmerkung der Redaktion: Westerwald, Bergisches Land, Sauerland, Eifel etc.) alles in der Nähe habe. Andererseits, ist doch toll, dass ich noch soviel zu entdecken habe!
Wandermagazin: Sie schreiben aktuell ein Buch über Ahnenforschung. Hat eigentlich nix mit Wandern zu tun?
M. Andrack: Auf den ersten Blick nicht, hat es aber doch. Auf der Suche nach den Wurzeln gelangt man an die Stätten, Orte und in die Regionen der Vorväter. Macht ziemlich Spaß!
Wandermagazin: Die wievielte Generation haben Sie verorten können?
M. Andrack: Meinen Ururgroßvater, geboren 1795, habe ich ausgegraben. Urururenkel habe ich dazu in Bad Liebenwerda gefunden, die sind aber 25 Jahre älter als ich, heißt: meine direkten Vorfahren sind verdammt spät Väter geworden. Bei der Familie meiner Mutter, führt die Linie in die Eifel. Inzwischen habe ich da schon die sechste bzw. siebte Generation ausfindig machen können.
Wandermagazin: Wissen Sie schon, wo Sie demnächst wandern?
M. Andrack: Ja, heute Nachmittag am Rheinsteig, zwischen Filsen und Braubach!
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