Wandern in Nepal. Die Kontraste zwischen der Bergwelt des Himalayas und der tropischen Terai im Süden des Landes, die buddhistische Kultur und die höchsten Berge der Welt locken jährlich tausende von Trekkingtouristen in das Land.

Die Annapurna-Runde gilt als eine der beeindruckendsten Hochgebirgswanderungen der Erde. 20 mächtige Gipfel recken sich in diesem Teil des Himalayas dem Himmel entgegen, drei davon sind über 8.000 m hoch. Die Wanderung auf der insgesamt 230 km langen Annapurna-Runde führt bis auf 5.416 Höhenmeter, ist aber dennoch gut mit normaler Wanderausrüstung zu schaffen.

Das Wegeformat ist einfach, Steigeisen, Seil oder Klettererfahrung braucht man bei normaler Witterung nicht. Kondition, Ausdauer und die Bereitschaft, sich auf einfachste Verhältnisse und die fremde Kultur einzulassen, sind die wichtigsten Begleiter.

Bunt, laut, fremd

Der Weg zum Annapurnamassiv führt zuerst in die Hauptstadt Kathmandu. Zwischen Staub, hupenden Kleinwagen, Rikschas und Straßenhändlern bahnen wir uns den Weg durch die schmalen, bürgersteiglosen Straßen zu unserem Hotel in Thamel – dem quietschbunten Touristenviertel der Stadt.

Am nächsten Morgen fährt ein Bus über Pokhara nach Besi Sahar. Der über eine Agentur gebuchte, angeblich luxuriöse und sichere „Touristenbus“ erweist sich als Flop. Ein „Reiseleiter“ bringt uns zum Busbahnhof, kauft Tickets und setzt uns in einen ganz normalen Bus. Wir hätten „Special-Seats“, versichert er uns. Den Komfort dieser Reise steigert das keineswegs. Busfahren auf Nepals steinigen Pisten und den Straßen, die diesen Namen nicht mal ansatzweise verdient haben, ist immer ein Himmelfahrtskommando.

Die Fahrzeuge sind meist ausrangierte Tata-Busse aus Indien, die Fahrer haben „Kamikaze“ als zweiten Vornamen und kaputte Teile oder Fensterscheiben werden nur selten ersetzt. Reiseagenturen gibt es in Kathmandu wie Sand am Meer. Sie bieten von der Vermittlung eines Zimmers über Dschungelsafaris bis zu Everest-Expeditionen alles an, was das Abenteurerherz begehrt. Wir beschließen von nun an, unsere Reise ohne fremde Hilfe zu bestreiten.

Alles ist möglich

„No Problem“ – nach der freudigen Begrüßungsformel „Namaste“ – ist das wohl der häufigst geprochene Satz in Nepal. Und tatsächlich – unkomplizierter kann ein Land zum Reisen und Wandern kaum sein. Fast jeder versteht Englisch. Wenn auch oft nur einfache Brocken fallen, so ist eine Verständigung gut möglich.

Die Offenheit der Menschen ist umwerfend. „Namaste!“ – der freundliche Gruß, immer einhergehend mit einem breiten Lächeln, begleitet uns auf dem gesamten Weg. Nicht selten folgen Angebote, einen Guide, eine Unterkunft oder einen Träger zu organisieren.

Auch der Annapurna ist ein beliebtes Ziel für Trekkingtouristen aus aller Welt. Darauf sind die Menschen eingestellt, sie verdienen ihren Lebensunterhalt weitgehend duch den Tourismus. Die Etappen der Annapurna-Runde sind nur in einigen Teilen im Süden und bis Jomsom im Westen mit dem Auto erreichbar, doch die Hochtäler sind durchgehend bewohnt.

Immer wieder liegen Dörfer mit Tea-Houses und einfachen Unterkünften am Weg. Wer hier unterwegs ist, wandert selten allein und trifft täglich auf Eselkarawanen, Bewohner der umliegenden Dörfer oder Gleichgesinnte. Mit einer amerikanischen Wandergruppe treffen wir den zum Plaudern aufgelegten Nepali Sonam. Wir haben den gleichen Weg.

Am Abend laden wir ihn zum Tee an unserem Tisch ein. Er nimmt an, was ungewöhnlich ist für nepalesische Verhältnisse, da „Guides“ und „Porter“ meist getrennt von den Touristen essen. Sonam wundert sich, dass wir keinen Guide (Führer) und keinen Porter (Träger) für unser Gepäck wollen. Er gehört zum Volk der Sherpa, die ursprünglich aus Tibet stammen und vor rund 500 Jahren aus ungeklärten Gründen den riesigen Gebirgszug des Himalaya überquerten, um in Nepal zu siedeln.

Sonam ist stolz darauf, dass er westliche Touristen führen darf. Kein schlechter Beruf, denn er begleitet Wanderer und Gruppen über die „einfache“ Annapurnarunde oder zum Annapurna Sanctuary. Bei extremen Expeditionen westlicher Bergsteiger sind Sherpas meist die heimlichen Helden. Oft mit schlechter Ausrüstung ausgestattet, liegt auf ihren Schultern die größte Last und die Verantwortung.

Applepie und Plastikmüll

Die Annapurna-Runde wird manchmal scherzhaft als „Applepie-Trek“ bezeichnet, da man bis hinauf zum Pass fast überall Apfelkuchen, Cola und Kaffee, sogar Bier und alles Notwendige und Angenehme kaufen kann. Sieht man die geschundenen Rücken der Esel, die schweren Körbe auf den meist schmächtigen Rücken der einheimischen Träger und den Plastikmüll, der ab und an hinter den Häusern verbrannt wird, fällt die Entscheidung gegen den nächsten Schokoriegel oder die Plastikflasche aber nicht so schwer.

Die Infrastruktur entlang des Weges zeugt von steigenden Besucherzahlen. Auch die Kinder haben sich angepasst. „You want stick?“ Samjhana und ihre Freunde versuchen, selbstgeschnitzte Stöcke an den Wandersmann zu bringen. Dass wir schon Stöcke haben, interessiert die 8-Jährige herzlich wenig.

Laut rufend und lachend laufen die Kinder uns hinterher, schließlich teilen wir unsere Äpfel und kommen mit ein paar einfachen Brocken Englisch ins Gespräch. Das Mädchen lebt mit seinen Eltern und Geschwistern in einer Hütte am Rand des Dorfes. Zur Schule in Chame – immerhin geht sie dort hin – hat sie eine Stunde Fußweg, danach hilft sie ihrer Mutter im Haushalt oder versucht, den Touristen ein paar Rupien abzuluchsen. Wenn das erbettelte Geld das spärliche Familieneinkommen aufstockt, wird der Schulbesuch oft vernachlässigt.

Nur rund 40 % der Nepalesen können lesen und schreiben, bei Mädchen und Frauen fällt diese Zahl noch geringer aus. Wir haben deshalb darauf verzichtet, Kindern Geld oder Süßigkeiten zuzustecken, auch wenn es beim Anblick der kleinen Gesichter oft schwer fällt. Es ist aber möglich, den Schulen direkt am Weg Schreibmaterial oder Geldspenden zu geben – einige Dörfer haben sogar eine Kasse an der Schule aufgestellt.

Höhenluft

Die Annapurnarunde lässt sich in rund 19 Tagen bewältigen. Der Weg beginnt in Besisahar (780 m), wir steigen knapp 10 km nördlich in Bhulbule ein, denn bis dorthin fährt ein Bus. Durch enge, palmenbewachsene Flusstäler geht es in stetem Auf und Ab vorbei an Reisterrassen, Apfelbäumen und Bambuswäldern.

Wir wandern über die Orte Tal (1.620 m), Chame (2.670 m) und Pisang (3.180 m) nach Manang (3.530 m). Die subtropische Pflanzenwelt wird langsam spärlicher, weicht einer rauen, kargen Gebirgsvegetation und verschwindet schließlich ganz.

Wenn man die gesamte Runde läuft, durchquert der Trek alle Klimazonen der Welt außerhalb der Tropen. Die Dörfer sind tibetisch geprägt, geduckte Steinhäuser, oft nur unzureichend gegen Wind und Wetter geschützt. Die Unterkünfte haben vielversprechende Namen wie Mountainviewlodge oder Yeti-Hotel, sind meist einfach und bieten zahlreiche Mahlzeiten – von Porridge am Morgen über Apfelkuchen bis zum Yaksteak an.

Spätestens in Manang wird die Akklimatisierung zum Thema. Einige Wanderer kamen uns entkräftet entgegen, mussten umdrehen, weil erste Anzeichen der Höhenkrankheit auftraten. Dabei gibt es dagegen eine perfekte Wunderwaffe: die Zeit. Wer es langsam angehen lässt, den Übernachtungsort tiefer als den höchsten Punkt des Tages wählt und nicht mehr als 500 m pro Tag aufsteigt, sollte den Pass Thorong La, mit 5.416 m der höchste Punkt der Tour, ohne Probleme schaffen.

Wir kämpfen trotzdem. Legen in Manang einen Tag Verschnaufpause ein und wundern uns über die große Anstrengung, die das Wandern in der dünnen Höhenluft mit sich bringt. ...