Ich brauche nicht immer einen Gipfel, ich kann dem Wandern im Flachland durchaus etwas abgewinnen, sehr viel sogar. Ich mag die weiten Ebenen, das einfache Wandern auf breiten Wegen, die Zeit zum Seele-Baumeln-Lassen und die Überraschungen.
Flachlandwandern kann man im Norden Deutschlands besonders gut. Für viele Wanderfans mag eine Wanderung in Niedersachsen, Brandenburg, Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern „ohne richtige Gipfel“ langweilig erscheinen, aber ich suche mir mit Vorliebe gern flache Weitwanderwege aus. Was macht das Wandern im Flachland aus? Hier sind ein paar Gründe fürs Flachlandwandern und besondere Charakterzüge.

Der Heidschnuckenweg sowie zahlreiche Rundwanderwege in der Lüneburger Heide sind vielleicht die Paradebeispiele dafür, dass auch flache Landschaften wunderschön sein können. Dazu kommen in Niedersachsen z. B. die 24 Nordpfade zwischen Hamburg, Bremen und Hannover und die zertifizierte Premiumwanderregion „Wasser.Wander.Welt" am Niederrhein, um nur ein paar zu nennen. Die Uckermärker Landrunde und der Müritz-Nationalpark-Weg sind Beispiele für Weitwanderwege in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Ich bin das erste Mal bei einer siebentägigen Wanderung auf dem E1 durch Schleswig-Holstein auf den Geschmack gekommen. Danach bin ich mehrere Tage den Jadeweg zur Nordsee gegangen und zuletzt im März den Ostseeweg/E9 durch einzigartige Küstenwälder.
Ich war schon immer sportlich und verausgabe mich auch gerne mal. Beim Wandern im Flachland ist jedoch eine andere Ausdauer gefragt als beim Bergsteigen. Aufgrund fehlender oder geringer Steigung sind einerseits größere Distanzen zwischen 25 und 35 km an einem Tag möglich. Andererseits bringt es den Vorteil, dass besonders Wanderneulinge sich nicht so schnell überfordern. Durch die Wahl der richtigen Distanz fällt es zudem leichter, eine dem eigenen Fitnesslevel angemessene Wanderung zu finden. Höhenmeterangaben können in der Regel außer Acht gelassen werden. Zwar bleibt das keuchende Bergaufsteigen aus, aber auch im Flachland tun irgendwann die Füße weh. Das bringt mich zu einem anderen Charakterzug flacher Wanderwege: eine gewisse Monotonie.
Das fehlende Auf und Ab klingt zwar zuerst angenehm, es hat aber auch zur Folge, dass die Belastung für die Füße und Beinmuskulatur sehr monoton ist. Mir ist es z. B. oft so ergangen, dass die Fußballen oder Waden bei langen Wanderungen im flachen Gelände eher wehtaten als in den Mittelgebirgen oder Bergen. Durch die Abwechslung aus Auf- und Abgehen, also verschiedenen Bewegungsabläufen, wechselt in den Bergen die Belastung für die Füße. Das macht das Gehen für einzelne Muskeln oder Gelenke weniger ermüdend, weil sie zwischendurch Entlastung bekommen. Im Flachland ist der Bewegungsablauf hingegen sehr monoton.
Vor allem Weitwanderwege im deutschen Tiefland verlaufen häufig auf breiten Feldwegen oder auch Radwegen, manche Wegabschnitte gar auf – und hier kommt das böse Wort – Asphalt. Ich kenne das entmutigende Gefühl beim Anblick einer langen, asphaltierten Geraden und verstehe, dass vielen die Wanderlaune dabei erstmal vergeht. Wer solche Abschnitte vermeiden will, kann sich zertifizierte Premium- und Qualitätswanderwege aussuchen, die nur einen bestimmten Prozentanteil von asphaltierten Wegen haben dürfen. Gut gedämpfte Wanderschuhe sind auch auf langen, flachen Wanderungen von Vorteil. Fragt das Fachpersonal im Geschäft nach Wanderschuhen für lange Touren auch auf Asphalt oder, ein Tipp von Thorsten Hoyer, Chefredakteur und erfahrener Extremwanderer auch auf flachen Strecken: eine Geleinlage statt der herkömmlichen Einlegesohlen.
Egal, ob Asphalt oder nicht: Die einfache Wegbeschaffenheit ist meiner Meinung nach ideal, um die Seele baumeln zu lassen. Ich mag diese Wandertage sehr, an denen ich mich nicht ständig auf meine Schritte konzentrieren und auf den Boden gucken muss. Ich verfalle in eine Art meditativen, gleichmäßigen Wanderschritt, kann ungestört meinen Gedanken nachhängen, verliere mich in der Weite der Landschaft und finde mich dann plötzlich an einer Wegkreuzung wieder, die mich in den Moment zurückholt.
Das bringt mich zu einem weiteren Punkt: Überraschungen. Vor allem nach einer langen Geraden oder einem Abschnitt durch eine auf den ersten Blick weniger spannende Feld- und Wiesenlandschaft freue ich mich umso mehr über ein idyllisches Waldstück, ein kleines Moor oder ein verstecktes Bachtal, mit dessen Existenz ich in einer Ackerlandschaft zum Beispiel nicht gerechnet hatte. In einem Wald würde man einer großen Eiche kaum besondere Beachtung schenken, an einem Feldweg ist sie plötzlich ein Highlight und ein willkommener Pausenplatz im Schatten. Auch die verschlafenen Dörfer mit liebevoll gestalteten Vorgärten bieten Abwechslung, eine Eisdiele oder Bäckerei löst regelrechte Glücksgefühle aus, umso mehr, wenn ich nicht auf zertifizierten Qualitäts- oder Premiumwanderwegen unterwegs bin, bei denen Einkehrmöglichkeiten quasi vorgeschrieben sind. Positive Überraschungen wie diese habe ich selbst unzählige Male auf dem Ostfriesland-Wanderweg, dem E1 in Schleswig-Holstein oder dem Ostseeweg/E9 erlebt.
Ein weiterer Vorteil von flachen Wanderwegen – mit Ausnahme des Heidschnuckenwegs zur Zeit der Heideblüte – ist, dass sie oft weniger überlaufen sind. Aber bevor ich jetzt weiter ins Schwärmen gerate, lasse ich euch lieber selbst einen Flachlandweg aussuchen und wünsche euch viele schöne Überraschungen!
Beispiele für flache Wanderwege:
E1 in Schleswig-Holstein
Ostseeweg/E9
Jadeweg
Heidschnuckenweg
Nordpfade
Wasser.Wander.Welt
Müritz-Nationalpark-Weg
Uckermärker Landrunde
→ Qualitätswege des Deutschen Wanderverbands, angefangen in den nördlichen Bundesländern: www.wanderbares-deutschland.de/
→ Premiumwege des Deutschen Wanderinstituts mit flacheren Nachbarländern Niederlande, Belgien und Dänemark: www.wanderinstitut.de/premiumwege

