Mit etwa 13 Jahren begann Ralph, sich ernsthaft für Ornithologie zu interessieren, ab einem Alter von vierzehn verbrachte er den größten Teil seiner Freizeit mit der Arbeit auf einer Vogelberingungsstation. Doch irgendwann kam der Punkt, an dem die reine Artenkenntnis ihn nicht mehr wirklich reizte. Gut und schön, einen Vogel anhand seiner Erscheinung oder seines Rufes bestimmen zu können – aber da fehlte etwas.  „Damals fing ich an, mich zu fragen, was diese Vögel eigentlich für Wesen sind“, sagt Müller, „deshalb begann ich, mich immer mehr für die Bedeutung ihrer Gesänge und Gesten zu interessieren.“

Eine besondere Beziehung

Ist es verrückt, sich zu fragen „Wie tickt eigentlich ein Vogel?“ Wahrscheinlich nicht, aber es hat Konsequenzen. Wer sich fragt, „wie jemand tickt“, beginnt mit diesem Anderen in Beziehung zu treten. An die Stelle der distanzierten Beobachtung tritt dann etwas Neues. „Ich habe im Laufe der Zeit gelernt, dass jedes Tier ein Individuum ist, wie du und ich – und es ist möglich, mit ihnen Verbindung aufzunehmen“, fasst Müller einen langen Erfahrungsprozess in kurze Worte.  „Was meint er wohl damit?“, wird der Zuhörer sich fragen, der keinen solchen Erfahrungsprozess durchlaufen hat. Nun liegt es im Wesen der Erfahrung, dass sie nicht eins zu eins vermittelbar ist. Deshalb erntet Ralph Müller öfter einmal ungläubiges Staunen, wenn er berichtet, dass eigentlich scheue Wildtiere nicht vor ihm fliehen, sondern ihn neugierig beobachten oder sich gar ein Vogel auf seiner Hand niederlässt.

Natur verstehen

Eine magische Gabe? Oder einfach Spinnerei? Weder das eine noch das andere. Müllers erstaunliche Fähigkeiten im Umgang mit Vögeln und anderen wilden Tieren verdanken sich vor allem seiner extrem feingestimmten Wahrnehmung. Diese ist das Resultat eines über die Jahre kultivierten achtsamen Umgangs mit der Natur und ihren Geschöpfen. Die Frage „Wie ticken eigentlich die Vögel?“, hat Müller schon vor langer Zeit auf einen Weg geführt, dessen Techniken in den letzten zehn Jahren in Deutschland unter dem Stichwort „Wildnispädagogik“ Einzug in Kindergärten, Schulen, Universitäten und sogar Firmen halten. Deren Anliegen ist es, ein Verständnis für die komplexen Zusammenhänge in den ökologischen Systemen zu fördern. Ist dieses Verständnis kein theoretisches, sondern beruht auf Erfahrung, scheint es geradezu zwangsläufig zu einer intensiven Verbundenheit mit der Natur zu führen. Im Alltag überraschen in Wildnispädagogik geschulte Zeitgenossen ihre Mitmenschen gelegentlich mit geradezu  „übersinnlich“ anmutenden Fähigkeiten. ...