430 km Wanderglück in den Vogesen: Seit 1897 ermöglicht der vom Vogesenklub gekennzeichnete Hauptwanderweg GR 53/GR 5 die Überquerung des Massivs durch vielseitige Landschaften mit ursprünglicher Natur.Auf allen Etappen unvergessliche Erlebnisse! Von Weinreben zu Wäldern, von malerischen Dörfern zu mächtigen Burgen, die Fauna und Flora in den Naturparks – hier bringt jeder Wandertag faszinierende Eindrücke.
Wie ein mächtiger Wall erhebt sich das Vogesenmassiv über dem Rheintal. An den östlichen Ausläufern erstrecken sich sanfte Hügel mit Weinlagen und Winzerdörfern, in denen buntes Fachwerk die engen Gassen säumt. Danach werden die Täler enger, hohe Tannen stehen dicht an dicht an steileren Hängen. Auf den Höhen weitet sich oft die Landschaft. Dort machen die Wälder Platz für Hochweiden, wo die verstreut liegenden Gehöfte behäbig wirken. Die Vogesen sind eine ganz eigene Welt und doch voller Vielfalt, die jeden Wanderer schon auf unzähligen Rundwegen zu begeistern vermag. Ohne Zweifel ist jedoch die Vogesenüberquerung auf dem Hauptwanderweg das Non plus ultra einer Wandertour. Sie beginnt mit dem GR 53 ab Wissembourg, der sich kurz vor dem ersten hohen Gipfel, dem 1.008 m hohen Donon, mit dem GR 5 vereint. Damit schuf der Vogesenklub schon Ende des 19. Jh. einen gut gekennzeichneten Wanderweg durch die Hochvogesen bis zum legendären Ballon d‘Alsace und dem Territoire de Belfort.
Wanderer durchqueren bei der rund zwanzigtägigen Tour gleich zwei regionale Naturparks. Aufgrund des Artenreichtums wurde ein Teil des Naturparks Nordvogesen zum UNESCO-Biosphärenreservat erklärt. Im südlichen Vogesenmassiv mit den höchsten Erhebungen erstreckt sich auf rund 3.000 km2 der 1989 gegründete Regionale Naturpark der Ballons des Vosges. Seit der Einrichtung der Wanderstrecke vor nunmehr 120 Jahren begeistert diese Vogesenüberquerung die Natur- und Wanderfreunde. Ein Grund mehr, dass die „Traversée des Vosges“ im Sommer 2017 in den Kreis der „Leading Quality Trail - Best of Europe“ aufgenommen wird. Es ist die verdiente Anerkennung für die Vogesenüberquerung, die dem Wanderer außer einer reizvollen Strecke mit zahlreichen Sehenswürdigkeiten auch angemessene Infrastrukturen garantiert. Es ist die erste Auszeichung in Frankreich und mit 430 km die längste in Europa.
Mussten sich die ersten Wanderer bei der Vogesenüberquerung noch auf ihre Augen verlassen, um dem traditionellen roten Balken zu folgen, können sie mittlerweile den Karten vertrauen, die der seit jeher rege Vogesenklub verlegt. Für die gesamte Tourenplanung kann weiterhin der Wanderführer in französischer Sprache mit entsprechenden Kartenauszügen, herausgegeben vom französischen Wanderverband (Fédération Française de la Randonnée Pédestre) in Zusammenarbeit mit dem Vogesenklub, zu Rate gezogen werden. Einem unvergesslichen Wandererlebnis steht dann nichts mehr im Wege.
Über den grünen Wäldern wachen rote Sandsteinburgen
Liegt das belebte Wissembourg mit dem idyllischen Ufer der Lauter hinter dem Wanderer, beginnt für ihn der gemächliche Aufstieg in den regionalen Naturpark der Nordvogesen, der sich bis zum Pass von Saverne erstreckt. Wie ein Bildhauer hat die Erosion rot leuchtende Sandsteinfelsen zu Kunstwerken der Natur geformt. Die Wanderstrecke verläuft hier in Waldgebieten und Höhen, die keine 600 m erreichen. Auf den Anhöhen ragen oft auch rote Sandsteinmauern aus dem Grün der Wälder. Zwischen dem 10. und 14. Jh. entstanden im Vogesenmassiv rund 400 Burgen. Viele sind nur noch in alten Schriften erhalten, von anderen lediglich einige Ruinen, die jedoch teilweise vom Verfall bewahrt wurden.
Entlang der Wanderstrecke bieten sie immer wieder eine reizvolle Unterbrechung beim Marschieren. Bis zu den Überresten der Burgen Löwenstein und Hohenburg ist es ab dem Pass du Schlossberg nur ein kurzer Abstecher, wogegen der GR 53 direkt über die sagenumwobene Burg Fleckenstein führt. Von hier schweift der Blick weit über die Wälder, die sich wie Wellenberge bis zum Horizont erstrecken. Froehnsbourg und Wasigenstein sind weitere Zeugen der mittelalterlichen Wehrhaftigkeit auf dem Weg zum Kurstädtchen Niederbronn-les-Bains. Es verdankt seinen Status als Kurort der „keltischen“ Quelle, die bereits von den Römern geschätzt wurde. Vorm Erreichen dieser städtischen Etappe erlaubt der vom Vogesenklub 1889 auf dem Grand Winterberg errichtete 25 m hohe Sandsteinturm noch einen grandiosen Rundblick über die nördlichen Vogesen und die Rheinebene.
In den stillen Tälern schlängeln sich klare Bäche, wie die Zinsel im Untermühltal oder der Rehbach kurz vor Lichtenberg. Dort überragt eine Burg aus dem 13. Jh. das Dorf, sie gehört zu den bemerkenswertesten Festungen im Vogesenmassiv. Heute bildet sie den historischen Rahmen für Ausstellungen und Freilicht-Theater. Vor dem beliebten Ferienort La Petite Pierre zeigt sich erneut das stete Werk der Erosion beim Ochsenstall-Felsen. Die Höhlungen konnten zwar Menschen Schutz bieten, für einen Ochsen hätte der Platz allerdings nicht gereicht. Auch die renovierte Lützelburg im alten Ortsteil von La Petite Pierre erhielt eine neue Bestimmung als Verwaltungssitz des regionalen Naturparks Nordvogesen.
Nicht nur hungrige Wanderer schätzen die zahlreichen Gaststätten des Ortes, die ein beliebtes gastronomisches Ausflugziel sind. Typische Spezialitäten wie frische Forelle in Riesling, die unumgängliche Sauerkrautplatte Chou-croute oder das traditionelle im Ofen gegarte Baeckeoffe, ein Gemüse-Fleisch-Gericht, vermögen jeden Wanderer wieder fit zu machen. Vor dem Weitermarsch hilft ein „Obstschnäpsle“ aus Mirabellen, Schlehen oder Kirschen zur Verdauung.
Romantische Sagen und eine Heidenmauer am Klosterberg
Dem leicht zu bearbeitenden Sandstein verdankt Graufthal bemerkenswerte in den Fels geschlagene Häuser, die noch bis in die fünfziger Jahre des 20. Jh. den Bewohnern als gemütliche Heimstatt dienten. Ungleich prächtiger wirkt die Residenz von Kardinal Rohan, die sich auf dem weiteren Weg in Saverne im Rhein-Marne-Kanal spiegelt. Seit dem ersten Jahrhundert profitiert die Stadt von ihrer strategischen Lage zwischen den Vogesen und der elsässischen Ebene. Nach Saverne erinnert im Waldgebiet von Dabo die Kapelle auf einem 30 m hohen Felsstock an den einzigen elsässischen Papst, Leo IX., der 1087 heilig gesprochen wurde. Von nun an wird es langsam ernst mit den Vogesenbergen, ein hoher Pass folgt dem anderen. An den Flanken des 961 m hohen Schneebergs ergießt sich der 25 m hohe Wasserfall von Nideck. Danach erblicken Wanderer sagenumwobene Burgen. Die romantisch wirkenden alten Mauern inspirierten die Gebrüder Grimm zum Märchen vom Riesenspielzeug. Adelbert von Chamisso, ein Dichter der Romantik, verewigte die gleiche Sage in einem Gedicht, wie die Gedenktafel des Vogesenklubs am Turm verrät.
Durch die von der Erosion geschaffene Sandsteinpforte, Porte de Pierre, zwischen dem kleinen und großen Katzenberg geht es zum Rocher de Mutzig, wo zum ersten Mal die 1000 Höhenmeter erreicht werden. Für den Aufstieg werden Wanderer mit einem herrlichen Rundblick belohnt. Am Pass von Donon, wo die Nachahmung eines antiken Tempels an die Besiedelung in der gallo-römischen Zeit erinnert, vereint sich der Hauptwanderweg GR53 mit dem GR 5, dem es nun zu folgen gilt. Er führt zunächst in das Tal der Bruche und zum Städtchen Schirmeck, einst eine Hochburg der Textilindustrie, und weiter zum Struthof. Das ehemalige Konzentrationslager weckt schmerzhafte Erinnerungen. Heute ist es ein Museum und ein Mahnmal zum Frieden für die nachfolgenden Generationen.
Nach den stillen Wäldern rund um den Luftkurort Le Hohwald, wo der gleichnamige Wasserfall über Felsen stürzt, führt die Strecke mit einem Abstecher zum Wallfahrtsort Mont Sainte-Odile. Das Kloster, dessen Ursprung ins 7. Jh. zurückgeht, ist der Schutzpatronin der Region gewidmet. Unterhalb des Klosterberges gibt eine rund 10 km lange Mauer aus mächtigen Megalith-Steinen noch immer Rätsel auf. Papst Leo IX. bezeichnete sie als Heidenmauer („Mur paien“). So ungeklärt wie das vermutete Datum ihrer Errichtung in der Bronzezeit bleiben auch ihre Bauherren.
Wein, Welsch und gemütliche Gaststuben auf den Hochweiden
Auf der weiteren Strecke des GR 5 klingen die Namen der Winzerdörfer Barr, Mittelbergheim und Andlau Weinkennern besonders gut in den Ohren. In der Umgebung reifen einige der bekanntesten Lagenweine, die in zahlreichen Weinstuben zu probieren sind. Über die Reben von Ribeauvillé wachen drei mächtige Burgen, wobei Burg Saint-Ulrich am besten erhalten ist. Danach heißt es die Weinlagen endgültig zu verlassen, um die Hochvogesen im regionalen Naturpark Ballons des Vosges zu durchwandern. Die Landschaft mit unvermutet schroffen Felsen, waldreichen Seitentälern und Hochweiden wirkt nun alpin. Rund um den Lac Blanc hat sich eine eigene Sprache erhalten, die am Stammtisch erneut gepflegt wird. Familiennamen wie Kermondé scheinen den keltischen Ursprung des Welsch zu bestätigen. Auch wenn man die Worte „Vo mindjrau bénèdrau“ nicht versteht, ihre Bedeutung „Lasst es euch schmecken“ ist vor einer Schale mit „Tchic“, frischem Quark aus der Frühmilch mit Zucker, leicht zu erraten.
In den Bauerngasthöfen auf den Hochweiden, den „Fermes Auberges“, herrscht urige Gemütlichkeit. Wanderer entdecken an langen Tischen, dass sich hinter dem zungenbrecherischen Namen „Roïgabrageldi“ ein deftiges Bratkartoffelgericht verbirgt. Flammekueche, Knepfle oder Schiefele lohnen ebenfalls probiert zu werden. Als absolute Krönung gilt die hausgemachte „Tarte aux Myrtilles“, ein während der Saison zu genießender Kuchen mit frischen Heidelbeeren. Um mit etwas Glück das Röhren der Hirsche zu vernehmen, müssen Wanderer ebenfalls die rechte Jahreszeit wählen. Während der Brunftzeit im September und Oktober bieten zudem die sich färbenden Laubwälder eine herrliche Wanderkulisse.
Bis zum 1.302 m hohen Soultzeren Eck durchquert der GR5 eine Hochfläche mit dem 500 ha großen Naturschutzgebiet Tanet – Gazon du Faing. Der Landstrich erinnert mit Torf- und Feuchtzonen, Heide, vom Wind zerzausten Nadelhölzern und Birken an eine Tundra. Es ist ein Refugium für die Tengmalm-Eule, Schwarzspechte und die bedrohten Auerhähne. Auf dem Vogesenkamm folgt nun ein grandioser Ausblick dem anderen. Wenn sich Freikletterer an der Martinswand den Adrenalinstoß holen, verschafft Wanderern allein die Aussicht vom 1.363 m hohen Hohneck, die bei klarer Sicht bis zu den Alpen reicht, ein absolutes Glücksgefühl.
Im Geröll der Osthänge klettern leichtfüßig Gämsen, während Zweibeiner den steilen Abstieg zum Stausee von Schiessrothried zu bewältigen haben, bevor sie über den Markstein den Weg zum höchsten Vogesengipfel beginnen. Besonders im Frühjahr und Sommer begeistert die Strecke zum 1424 m hohen Grand Ballon mit den Blüten von Türkenbund, Eisenhut und Fingerkraut. Der „Belcha“ ist einer der drei Belchen, geheimnisumwitterte Gipfel im Dreieck Frankreich, Deutschland und Schweiz, die mit dem Keltengott Belenos in Verbindung gebracht werden. Nicht weniger geheimnisvoll wirkt das „Hexenauge“ der Burgruine Engelbourg über Thann. Es handelt sich jedoch nur um den umgestürzten Bergfried. Seine Überreste bilden einen steinernen Ring durch den sich ein schöner Blick auf den Ort Thann bietet. Noch einmal bergan zum Ballon d‘Alsace, dem kleinen Bruder des Grand Ballon, bevor sich der GR5 über sanftere Höhen und den Teichen bei Evette mit dem Vogelschutzgebiet am Etang de Malsaucy von den Vogesen verabschiedet.
Von den mittelalterlichen Burgen der Nordvogesen bis zur beeindruckenden Zitadelle von Belfort sind den Wanderpionieren des Vogesenklubs rund 120 Jahre erlebnisreiche Touren zu verdanken.