In der Reihe „Fit für's Wandern" geht es darum, das Wandern mehr genießen, vielleicht auch höher, schneller oder weiter wandern zu können, und körperliche Einschränkungen zu minimieren. Sportwissenschaftler Marwin Isenberg zeigt einfache Übungen für zuhause oder direkt auf dem Wanderweg, mit denen du deinen Körper vorbereiten kannst.

Einfach raus und los. Die Vorfreude auf die Tour ist groß und wir haben oft den Drang, uns Hals über Kopf in die anstehende Wanderung zu stürzen – gesessen haben wir ja schließlich lang genug. Trotzdem und gerade deshalb kann es Sinn machen, sich vor einer anspruchsvolleren Tour kurz und knackig aufzuwärmen. Drei geeignete Übungen für Waden- und Schienbeinmuskulatur sowie die Oberschenkel und Hüftbeuger findest du im untenstehenden Video. Aber erst einmal sind hier sechs Gründe für ein Wander-Warm-Up – nicht nur im Winter.
 
Grund 1: Ungewohnte Belastung 
Man muss sich nicht für einen Spaziergang warm machen. Dieser findet grundsätzlich in einem Belastungsbereich statt, der einen regenerativen und damit entspannten Charakter hat. Wird die Tour jedoch anspruchsvoller hilft ein Warm-Up vor dem Losgehen enorm. Dabei ist nicht unbedingt entscheidend, welchen Schwierigkeitsgrad die Route laut Komoot oder Outdooractive hat, sondern inwiefern die Belastung für dich gewohnt oder ungewohnt ist. Je ungewohnter die Gelenkwinkel in Sprunggelenken, Knien und Hüften sind, desto eher kann der Körper gereizt reagieren. Das kann beispielsweise auf steilere Passagen der Fall sein, bei einer ungewohnten Gangart wie Wandern mit schwerem Gepäck, Klettersteiggehen und Schneeschuhwandern. Auch aufgrund anderer Gelände- und Wetterbedingungen wie ein rutschiger Untergrund, Schnee und Glatteis, Geröll oder allgemein auf unwegsamen Wegen kann es sich lohnen die Muskeln vorher aufzuwärmen und die Gelenke zu mobilisieren.

Aufwärmen von Oberschenkelmuskulatur
und Hüftbeuger © Justyna Schwertner

Grund 2: Sportlicher Anspruch
Willst du eine Tour besonders schnell absolvieren, mit mehr Gewicht auf dem Rücken oder eine sehr weite Strecke zurücklegen, dann fordert das den Körper intensiv. Durch das Warm-Up bist du anschließend nicht nur weniger verletzungsananfälliger, sondern auch zügiger in einem höheren Leistungsbereich. Das heißt du verkürzt das „Einlaufen“ und kannst direkter dein eigenes Tempo finden. Auch wenn du nicht sportlich ambitioniert wanderst, kann ein Warm-Up dabei helfen, deinen eigenen Gehrhythmus schneller zu finden. 

Grund 3: Sitzende Anfahrt
Wer neue Wege erkunden möchte, muss nicht meist erst einmal sitzend anreisen, also mit der Bahn oder dem Auto. Biomechanisch steht die Gewöhnung an diese sitzende Position dem dynamischen Wandern extrem entegegen. Die Hüfte wird von jetzt auf gleich in einer viel gestreckteren Position belastet. Die Kniescheiben, Sehnen und Menisken werden belastet, ohne im Zweifel vorher ordentlich mit Gelenkflüssigkeit durchsaftet zu sein. Warm-Up-Übungen erleichtern den Start in die Wanderung, indem sie Muskeln und Gelenke auf die bevorstehende Belastung vorbereiten.
 
Grund 4: Temperaturausgleich
Der Begriff Warm-Up bezieht sich nicht nur auf deine Muskeln. Mein Warm-Up hilft dir auch grundsätzlich warm zu werden und den Körper in den „Aufheizmodus“ zu schalten. Gerade nach der Anreise und im Winter ist der kälteste Punkt eben jener direkt nach dem Aussteigen aus der klimatisierten Bahn oder dem warmen Auto. Auch wenn du direkt aus deiner Unterkunft auf den Weg startest, beginnen viele Bergtouren mit einem Anstieg, der uns gleich mal aus der Puste bringt und vor allem bei kalten Temperaturen, die Lunge vor eine Herausforderung stellen kann. Hilf deinem Körper direkt in den Betriebsmodus umzuschalten – nicht nur im Winter. Ein Warm-Up erleichtert die ersten Meter und vor allem den ersten Anstieg ungemein. 

Warm-Up mit der "Wadenpumpe" © Justyna Schwertner

Grund 5: Selbstwahrnehmung
Oft erfahre ich von Wandernden, dass Schmerzen nicht plötzlich auf einer Wanderung zum ersten Mal auftreten, sondern regelmäßig tagesformabhängig Thema sind. Es baut sich langsam auf oder bei einer ungewohnten Bewegung tritt ein bekanntes Schmerzmuster auf. Nutze das Warm-Up, um dich auf die anstehende Wanderung einzulassen und scanne deine Tagesform! Höre in dich hinein und erkenne mögliche Schmerzpunkte bevor es losgeht. So kannst du achtsam in deine Wanderung starten. Im Zweifel merkst du bereits bei den Warm-Up-Übungen, dass eine besonders beanspruchende Tour vielleicht heute nicht drin ist. Präventiv kannst du die Route – sofern möglich – anpassen und dich nicht in unnötige Gefahren begeben. Auf der anderen Seite kannst du angestaute Energie wahrnehmen und potentielle Problemstellen gezielt mobilisieren und stärken. Wenn du hierzu konkrete Fragen hast, schreib mir gerne eine Mail.
 
Grund 6: Spaß
Der morgendliche Blick auf die Berge, die ersten Sonnenstrahlen fallen ins Gesicht – genau der richtige Augenblick, um selbst aktiv zu werden. Mit einem Warm-UP stimmst du dich nicht nur mit deinem Körper ab und auf die Wanderung ein, sondern sorgst in einer kleinen Gruppe auch für Spaß. Ein kleines Ritual zu Beginn einer Tour baut Vorfreude auf, eventuelle Sorgen ab und sorgt für ein starkes Gemeinschaftsgefühl, wenn du mit anderen zusammen wanderst. Dazu können auch lustige, koordinative Übungen ergänzt werden. Mit einem Warm-Up ist der Start in die Wanderung schon gemacht.

© Lea Jörres Fotografie

 

Marwin Isenberg, Sportwissenschaftler und Personaltrainer, hat sich mit seinem Studio Gipfelgang auf Wanderfitness spezialisiert. In einem Interview mit dem Wandermagazin beantwortet er Fragen wie z.B. „Warum muss man sich fürs Wandern fitmachen?" Oder „Was sind die häufigsten Ursachen für Schmerzen beim Wandern?"

Sein Buch „Endlich wieder schmerzfrei Wandern“ ist 2023 im Becker Joest Volk Verlag erscheinen.