Eine Schneeschuhtour im Thüringer Wald, und dann noch in Begleitung einer regionalen Berühmtheit – das lasse ich mir nicht entgehen! Der Tag startet vielversprechend mit Sonnenschein und leichten Nebelschwaden, die über die Talgründe mit ihren gewundenen Flüssen und Bächen hinwegziehen. Bei der Anfahrt nach Schmiedefeld türmt sich zusammengeschobener Schnee in Häufen rechts und links der Straßenränder. Frau Holle schüttelte in den letzten Tagen noch einmal kräftig ihre Betten aus – sehr zur Freude der Wintersportler! Und ich freue mich umso mehr auf meine erste Tuchfühlung mit Schneeschuhen.
Fast ist mir während der Autofahrt danach, einen eigenen Song zu komponieren – so begeistert bin ich über diese tiefverschneite Landschaft im Thüringer Wald! Ringsum bewaldete Hügel, der Schnee hängt schwer auf den Ästen, die sich unter der Last zu biegen beginnen. Die Sonne bringt alles zum Funkeln und Strahlen, und der Kontrast zwischen dem reinen Weiß und dem tiefblauen Himmel könnte anmutender nicht sein. Die Anfahrt ist jedenfalls schon mal ein Genuss. Das Ankommen in der Wintersport-Verleihstation von Marcus Clauder ebenso. Mit einem herzlichen „Hallo!“ werde ich willkommen geheißen und sofort geht es locker ins Du über. Zugegeben: Ein bisschen habe ich vorher recherchiert um zu wissen, wer hier vor mir steht.
Marcus Clauder, waschechter Schmiedefelder, hatte noch nicht einmal das 30. Lebensjahr überschritten, als er zum Bürgermeister dieses Wintersportidylls gewählt wurde. Gute sechs Jahre leitete er erfolgreich die Geschicke der Stadt – und so ganz „nebenher“ koordinierte er Europas größten Crosslauf. Eine immer größer werdende Herausforderung, weshalb er sich heute voll und ganz den sportlichen Aktivitäten widmet: als Geschäftsführer und Hauptorganisator des legendären GutsMuths-Rennsteiglaufes, als Inhaber des Unternehmens „Aktiv am Rennsteig“ und, so es die Zeit zulässt, als Skilehrer bzw. Schneeschuhguide. Was habe ich doch für ein Glück, ihn heute höchstpersönlich an der Seite zu haben!
Kaffeekränzchen in der Verleihstation
Während er mir die Ausrüstung für die bevorstehende Wanderung zeigt und die Unterschiede zwischen den verschiedenen Schneeschuhmodellen erklärt, schweift mein Blick über die farbenreiche Sammlung in der Verleihstation. Beeindruckend! Bei einem Becher Kaffee in der Hand möchte ich wissen, wer denn hier nun alles aufschlägt an Besuchern und woher sie so herkommen. „Der Großteil der Gäste sind tatsächlich Thüringer, oder eben von angrenzenden Regionen wie Franken. Typisch sind auch „Karnevalsflüchtlinge“ aus dem Ruhrpott, die kommen gern zu uns. Hier können sie ebenso gut Ski fahren und müssen nicht erst den weiten Weg in die Alpen antreten.“ Woher die weitgereisten Touristen kommen, möchte ich wissen und hake nach. „Ich habe schon Besucher aus Dänemark, den Niederlanden und Großbritannien gehabt. Ab und an ist auch mal jemand aus Übersee dabei, ist aber eher selten.“ Marcus Clauder erzählt mir, dass es ihm ein Herzensanliegen ist, die Menschen hinaus in die Natur zu bringen, denn Bewegung an der frischen Luft sei so wichtig. Das ist unser Stichwort! Wir packen Schneeschuhe und Rucksack in seinen Kleinbus, und ab geht’s zum Startpunkt am Ortsrand von Schmiedefeld.
Vom Staksen zum Schneeschuhlaufen
Marcus Clauder ist natürlich bestens mit dem Gebiet vertraut. Kennt jeden Baum und jede Wurzel höchstpersönlich, schließlich streift er hier von Kindesbeinen an umher. Ortskenntnis ist von großem Vorteil, denn unter dem Schnee verbirgt sich so mancher Sumpf und Bachlauf. Seine Einstellung, der Natur mit dem nötigen Respekt zu begegnen, ist mir sympathisch: „Ich gehe grundsätzlich nicht zu Stellen, wo Wild gefüttert wird, und man muss auch nicht durchs tiefste Dickicht stapfen. Außerdem spreche ich meine Routen mit Förstern und Jagdpächtern ab – zur Sicherheit“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Und nun wird es spannend: Die Schneeschuhe werden angelegt, noch kommen sie mir wie Flossen vor. Die ersten Schritte fühlen sich ungewohnt an und ich stakse eher wie ein Storch umher. Doch schnell habe ich das Gefühl für die gitterartigen Bretter unter den Füßen bekommen und kann langsam Tempo aufnehmen. Marcus schaut sich regelmäßig um und vergewissert sich, dass alles in Ordnung ist. Jetzt beginnt, was ich mir schon so lange vorgestellt habe: Fernab von Trubel und Pistengaudi die traumhafte Winterlandschaft erkunden.
Ein Traum wird Wirklichkeit
Ja, es ist genau so, wie ich mir es vorgestellt habe: Ein wahres Wintermärchen! Wir stapfen über den unberührten tiefen Schnee, passieren kleine plätschernde Bäche, die am Rande zugefroren sind. Ich bestaune die kunstvollen Eisgebilde am Gablenzebach, bevor ich einen großen Schritt mache und über das Bachbett steige. Marcus geht voran und zeigt mir einen seiner Lieblingsplätze unterhalb einer riesigen Buche. Wir sind auf einer kleinen Anhöhe und vor mir liegt ein malerisches Panorama: die mit Schnee bedeckten Dächer Schmiedefelds im Hintergrund, eingebettet in einen weißen Watteteppich, der sich hier und da ein wenig nach oben wölbt. Rechts und links erstrecken sich Wälder, und unweit entfernt sehe ich die Skipiste und frisch gespurte Loipen. Die überqueren Marcus und ich später – verbunden mit einem doch ganz ordentlichen Anstieg, zumindest für mich. Ein bisschen komme ich hier tatsächlich außer Atem – aber das liegt wohl eher am Schwatzen und den vielen Fragen, mit denen ich Marcus löchere. Und an meiner viel zu dicken Jacke, die kurzerhand zusammengeknautscht im Rucksack verschwindet. Schon viel besser! Die Kondition meines Schneeschuhguides Marcus Clauder ist jedenfalls bestens, aber das wundert mich nicht. Er hat schon allerhand anspruchsvolle Marathons absolviert, darunter den Stelvio Marathon, der übers Stilfser Joch in den Alpen führt – den zweithöchsten Gebirgspass Europas. Sport ist für ihn so wichtig wie das tägliche Brot. Nach seiner Theorie leben die Menschen im Thüringer Wald ohnehin gesünder, denn hinauszugehen in die Natur, und sei es nur für einen kurzen täglichen Spaziergang, ist der heimischen Bevölkerung bis ins hohe Alter wichtig. Deshalb möchte er mit seinen Touren zeigen, wieviel Spaß es macht, sich draußen im Freien zu bewegen. „Aber nicht quälen, sondern alles nach Augenmaß! Es muss Freude machen.“, betont er.
Schmiedefelder Insider
Während wir durch die glänzende weiße Pracht stapfen und ich die herrliche Waldluft genieße, geraten wir ins Philosophieren über die verschiedenen Dialekte im Thüringer Wald. Was in einem Ort gesprochen wird, versteht man unter Umständen im Nachbarstädtchen nicht mehr. Kommt darauf an, auf welcher Seite des Rennsteiges man Zuhause ist, denn der Kammweg des Thüringer Waldes ist seit jeder Sprachgrenze zwischen dem Thüringischen und dem Hennebergisch-Fränkischen. Zwischen Stützerbach und Schmiedefeld gäbe es jedenfalls gravierende Unterschiede, betont Marcus. Ein paar echte Mundart-Köstlichkeiten der Schmiedefelder möchte ich jetzt schon gerne wissen. Und Marcus plaudert aus dem Nähkästchen: „Also Schneeschuhe sind bei uns Schnähschuh.“ Ja, und was noch? Er lächelt verschmitzt und sagt: „Zu Touristen sagen wir scherzhaft Luftschnapper.“ Ich muss losprusten und mir den Bauch halten vor Lachen. Und ja, nach Luft schnappen! Ein wenig später passieren wir eine wunderschön verschneite Bergwiese, genannt „Leiberflößle“. Das Spiel zwischen Licht und Schatten der Bäume ist magisch, ein scheues Häschen hat uns entdeckt und hoppelt hastig davon. Mitten durch den Wald geht es zurück in Richtung Schmiedefeld. Und ich schmiede bereits Pläne, wann ich auf dieses Feld zurückkehre.
Info: www.thueringer-wald.com