„Liebe zum Leben“ stammt aus dem Griechischen und heißt übersetzt „Biophilia“. Es war Erich Fromm, der Psychotherapeut und Philosoph, der für die spezifische Sehnsucht des Menschen nach der Natur den Begriff „Biophilia“ prägte. Wir kommen aus der Natur, sind Teil der Natur und leben mit ihr. Kein Wunder also, dass wir ein urmenschliches Bedürfnis nach einer tiefen Beziehung mit und zur Natur haben. Mehr noch, bereits im 12. Jh. sprach Hildegard von Bingen von der „Grünkraft“. Jener Kraft, die in den Pflanzen und in allen anderen Lebewesen wirkt.

Von allen Lebens- und Naturräumen übt der Wald auf uns Menschen, vielleicht in besonderem Maße auf uns Europäer, eine herausragende Anziehungskraft aus. Wald ist anspruchs- und vorbehaltlos. Wald bewertet und urteilt nicht. Er spendet Schatten, sendet bioaktive Substanzen als Teil eines gigantischen, meist unsichtbaren Kommunikationssystems aus. Wald ist Zuflucht und Heimstätte zugleich. Der Wald, seit der Romantik von jahrtausendealten gefahrvollen Attributen befreit, ist einer der beliebtesten Sehnsuchtsorte für den modernen Menschen geworden. Es gibt ihn, den Mythos Wald. Hinzu kommt das Wissen darum, dass alles in der Natur für einander Wert hat (Karl Popper), da alles einander braucht für sein Leben. Das gilt für den Lebensraum Moor, Heide, See und selbstverständlich auch für den Wald und uns Menschen.

Und was rät uns die Biophilie in diesen Tagen? Die Natur beinhaltet einen universellen Symbolvorrat, der uns Menschen allzeit für die Selbst- und Weltdeutung zur Verfügung steht. Es ist dieser symbolische Weltzugang mit dem Wald als herausragendem Protagonisten, der uns dazu befähigt, das Leben als ein sinnvolles Leben zu interpretieren. Nach Ulrich Gebhard könnte man sagen: Im Kern ist das die romantische Idee. Attribute wie der therapeutische oder mythische Wald zielen daher nicht auf die physischen Attribute eines Waldes, sondern vor allem auf die darin enthaltene symbolische bzw. kulturelle Bedeutung.

Welche Schlussfolgerung drängt uns der durch Hitzesommer, Borkenkäfer, Feuersbrünste und Stürme gebeutelte Wald in diesen für alle Menschen so gefahrvollen Tagen mit Covid-19 auf? Der Wald kennt alle möglichen Gefahren. Er kennt auch alle Antworten. Dazu zählt die den Bäumen eigene „Entschleunigung“, das kollektive Einstehen für alle Lebewesen dieser Lebensgemeinschaft und den unsterblichen Impuls, dass es weitergeht. Für die von Borkenkäferplagen massakrierten Wäldern des Nationalparks Bayerischer Wald ebenso wie für die durch katastrophale Windwürfe namens Kyrill und Lothar umgemähten Mittelgebirgswälder. Stets startet die Natur einen „Reset“. Lässt Pionierpflanzen sich ansiedeln, weckt Jahrzehnte im Waldboden schlummernde Samenkörner auf, weht neue Samen heran und verwandelt bizarre Baumruinen in neuen, überbordenden Lebensraum.

Liebe zum Leben heißt für mich gerade jetzt: Selbstsorge, Fürsorge und Vorsorge. Für sich und seine Lieben sorgen und vielleicht eine Weile nur den Wald vor der Haustüre betreten. Für die Mitmenschen sorgen durch Abstand, Beistand und kreative Kommunikation. Vorsorgen für die künftigen wie aktuellen Lebensbedingungen. Ist weniger nicht wirklich mehr? Die Triebkraft sollte die Liebe zum Leben sein. Unser geliebten Wälder leben es doch vor...