„Früher waren wir den ganzen Tag draußen“, sagen Eltern und Großeltern oft verständnislos. Klar, früher ist nicht heute. Der Alltag von Kindern ist verplant, Freizeitaktivitäten sind streng reguliert und viele Eltern führen selbst ein Leben fern der Natur - physisch, mental und emotional. Die Aufforderung „Geh doch mal nach draußen spielen!“ erntet genervte Blicke, die Aussichten auf eine Wanderung am Sonntag lassen schlechte Laune aufkommen. Ist die Natur langweilig geworden? Was macht sie für Kinder interessant? Und wie bewegen wir sie zum Wandern?

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Dieser Beitrag erscheint im Rahmen der Initiative „Spielend wandern“ von Österreichs Wanderdörfern. Ziel der Kampagne ist es, Kinder und Familien zum Draußensein zu inspirieren, wandernd und spielerisch die Natur (als Spielplatz) zu entdecken. Auf wandermagazin.de veröffentlichen wir dazu jede Woche einen Tourentipp für Familien und Kinder in Deutschland und eine ortsunabhängige Spielidee.

Zwischen Langeweile und Abenteuer

Die Natur ist heute nicht langweiliger als früher. Nur ist sie für viele weiter weg, erscheint gefährlich und unbequem oder sie steht einfach nicht oben auf der Prioritätenliste. Was Kindern Spaß macht, ist nicht erlaubt, unterliegt einem strengen Zeitplan oder Sorgen, bspw. um zu viele Zecken. Den ganzen Nachmittag auf einem Baum herumklettern, mit nassen Schuhen im Bach stehen und abends dreckig nach Hause kommen, wird nicht gern gesehen. Ein solcher Nachmittag ist heute für viele fast exotisch. Das macht wehmütig und sagt viel über unsere Beziehung zur Natur aus.

Zwischen niedlich und gefährlich

Der Natursoziologe Rainer Brämer hat durch Studien und Befragungen von Kindern und Jugendlichen festgestellt, dass viele ein verzerrtes Bild von Natur haben, ein Symptom des sogenannten Bambi-Syndroms. Wie Bambi im gleichnamigen Walt Disney Film wird die Natur von vielen Kindern und Jugendlichen als niedlich empfunden und zu einer harmonischen Parallelwelt idealisiert, in der der Mensch nichts zu suchen hat. Das klingt zunächst nicht allzu schlimm, ignoriert aber die Tatsache, dass in der Natur auch ein Überlebenskampf herrscht, und hat zur Folge, dass die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Mensch und Natur nicht verstanden werden – genauso wenig wie die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen. 

© pixabay

Verschiedene Studien belegen, dass Kinder und Jugendliche immer weniger draußen sind, sozusagen unter einem Natur-Defizit, einem Mangel an Naturerleben, leiden und sich von der Natur entfremden. Während z.B. im Jugendreport der Universität zu Köln 1997 über die Hälfte aller befragten Kinder und Jugendlichen aus den Schulklassen 6 und 9 angaben, dass sie gerne alleine durch den Wald laufen, waren es im aktuellen Jugendreport von 2016 nur noch 29%. Im Gegensatz zu 1997 fühlte sich 2016 die Hälfte der Kinder alleine im Wald sogar unwohl. Gründe für den Mangel an Naturerlebnissen sind wenige gut erreichbare Naturräume, Zeitdruck, die steigende Bedeutung von Medien, die Kommerzialisierung der Kinderkultur und auch das Sicherheitsbedürfnis der Eltern. Tatsächlich zeigen nicht nur die Kinder das Bambi-Syndrom.

Mal ehrlich: Auch viele Erwachsene sehen sich selbst eher als Gast in der Natur oder gar als Fremdkörper. „Wenn heutzutage von`'Natur'´die Rede ist, dann vor allem in einem Ton fast schon pseudoreligiöser Verklärung“, sagt Rainer Brämer. Augenblicklich meldet sich - wie aus dem Unterbewusstsein immer da - ein Schuldgefühl in uns, gehen wir doch unentwegt gegen die Natur vor. Der Mensch richtet in der Natur viel Schaden an, darüber sollten wir uns ebenso im Klaren sein wie darüber, dass wir als Menschen Teil der Natur sind. Die unberührte Natur bleibt der nie erreichte Sehnsuchtsort. Wenn das niedliche Luchsbaby später eine kleine Maus frisst, sorgt das für Irritationen. Vielleicht können wir die Natur als ein Spannungsfeld sehen, zwischen niedlich und gefährlich, zwischen idyllisch und bedrohlich, zwischen sanft und rau – in dem wir eine positive oder negative Rolle spielen können.

Zwischen Wandern und Spielen

Was wäre nun, wenn wir unserer Sehnsucht und Irritation draußen begegneten und sie den Kindern näherbrächten? Wenn wir die Vorschriften, Zeitlimits und Sorgen zu Hause ließen? Die Freiheit draußen mit Freunden unterwegs zu sein, selbst zu entscheiden, was sie wie lange spielen wollen. Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, selbst zu erkennen, was gut und was schlecht für sie ist. Der aktuelle Kinderreport 2020 des Deutschen Kinderhilfswerks zeigt, dass das Draußenspielen für 70% der befragten Kinder und Jugendlichen wichtig oder sehr wichtig ist. Bei den befragten Erwachsenen sind es sogar 99%, die dem Draußenspielen eine sehr wichtige bis wichtige Bedeutung beimessen. Eine gemeinsame Wanderung, am besten mit befreundeten Kindern, lässt sich hervorragend mit Spielen in der Natur verbinden. Die Natur selbst ist die pädagogische Kraft. Im freien Spiel – ohne vorgefertigte Spielgeräte und geregelten Spielablauf – gewinnen Kinder an Selbstbewusstsein, lernen Ungewissheiten auszuhalten, orientieren und organisieren sich selbst, entwickeln Kreativität und Flexibilität, ganz zu schweigen von der gesunden Bewegung, der verbesserten Konzentrationsfähigkeit und den komplexer verknüpften Gehirnzellen.

© James Wheeler, unsplash

Dem freien Spiel steht beim Wandern häufig eine bestimmte Kilometerzahl gegenüber und ein Weg, dem es zu folgen gilt. Eine für Kinder spannende und abwechslungsreiche Wegführung und genügend Zeit sind die Vorraussetzungen für ein positives Wandererlebnis. Zum Glück gibt es in Deutschland eine ganze Menge Kinder- und Familenwanderwege. Anlässlich des Internationalen Weltspieltags am 28. Mai, stellen wir Euch unter dem Titel "Spielend wanden" Wanderweg in Deutschland vor, die besonders für Kinder und Familien garantiert nicht langweilig werden, die Euch in die Natur bringen und Zeit und Platz zum Spielen bieten.

Zu jedem Wanderweg gibt es außerdem eine Spielidee aus der großen Naturspiele-Sammlung der Kampagne „Spielend wandern“ von Österreichs Wanderdörfern. Die Regeln sind bewusst kurz und knapp gehalten und regen an, das Spiel selbst weiter zu gestalten. Außerdem gibt es keine Altersangaben, die vorgeben, was ein Kind bis wann können sollte oder was ab wann uninteressant wird. Die Initiative zeigt uns vielmehr, dass auch wir Erwachsenen noch spielen und lernen können. Die Fähigkeit, sich für ein besonders großes Blatt begeistern zu können, unterliegt keiner Altersbegrenzung, ebenso wenig wie der Spaß daran, einen Holzturm zu bauen. Und wenn wir mal nicht weiterkommen, geben wir doch, frei nach Herbert Grönemeier, einmal den Kindern das Kommando und entdecken zusammen. Beim Wandern mit Kindern kommt es auf die Perspektive an. Die Natur bietet jedenfalls alles, was wir zum Spielen brauchen!

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