Unser Treffpunkt ist Oberstdorf, der bekannte Wintersportort zu Füßen der Allgäuer Alpen. Ich möchte mit Peter Schöffel wandern, dem Chef des gleichnamigen Unternehmens aus Schwabmünchen, einer Gemeinde südlich von Augsburg. Seit 1804 handeln und produzieren die Schöffels, mittlerweile schon in der siebten Generation, in Schwabmünchen (Outdoor-) Kleidung. Ein klassisches, mittelständisches Familienunternehmen also. In Schwabmünchen, dem Tor zum Allgäu, ist es noch topfflach, aber um Oberstdorf türmen sich die Berge.

Wir starten unsere Wanderung an der Mittelstation der Nebelhornbahn, Peter Schöffel, Jörn Homburg (Marketingleiter der Nebelhornbahn), Wandermagazin-Chef Michael Sänger und ich. Wir verabreden das Wander-Du. Peter hat mir auf der Fahrt hinauf zur Mittelstation erzählt, er hätte einen großartigen Job, an vier von fünf Tagen würde es ihm riesigen Spaß machen zu arbeiten. Hoffentlich fällt unsere heutige Wanderung nicht auf diesen ominösen „fünften“ Tag. Die Voraussetzungen für ein gelungenes Wanderabenteuer sind nämlich eher suboptimal. Es regnet heftig, drei von vier Männern in unserer Gruppe haben eine Regenhose, ich nicht. Drei Männer haben Regenjacken, ich nicht, ich habe doch einen Regenschirm. Zwei Männer haben Stöcke, Michael und ich nicht. Ich komme mir vor – wie so oft im Hochgebirge – wie ein Trabi auf einer Formel-Eins-Strecke.

Direkt am Start der Wandertour der erste Wegweiser: zwei Stunden bis zum Rubihorn, da wollen wir hin. Beim ersten Hingucken habe ich Rubikon gelesen, den will ich ja eigentlich heute nicht überschreiten. Dann geht es einen schmalen Pfad entlang, noch keine Steigungsmeter, nach zweihundert Metern der nächste Wegweiser: Rubihorn, 2 1/2 Stunden. Wenn dieser Weg immer länger wird, je weiter man geht, dann wird das ja noch eine Zehn-Stunden-Tour werden! Es regnet weiter, aber Peter versprüht eine unglaublich positive Energie. Er erzählt mir, dass er oft und gerne in der Natur ist, ungefähr dreißig bis vierzig Mal im Jahr. Außerdem kenne er schlechtes Wetter nicht, ihm sei Regen egal. Hauptsache: „Ich bin raus“. „Ich bin raus“ ist ganz ganz zufälligerweise auch der aktuelle Slogan von Schöffel. Nicht „Draußen zu Hause“, das sind die meisten Obdachlosen ja auch, nein, der Schöffel-Mensch ist „raus“. Peter verbindet damit nichts weniger als eine gesellschaftliche Utopie, um nicht zu sagen, Revolution. Der moderne Mensch, so Peter, sei doch viel zu fremdbestimmt, immer im Stress, immer erreichbar, immer online. Immer öfter müsste sich der moderne, vernetzte Mensch eigentlich sagen: Nein, ich bin raus. Übrigens auch im Freizeitbereich, auch dort gebe es ja durchaus ein Höher-schneller-weiter. Peter meint: „Gnadenlose Performance-Orientierung ist vor allem beim männlichen Geschlecht extrem.” Sehr schön formuliert.

Die Marketing-Idee der Schöffels scheint zu funktionieren. Im Segment der Wanderkleidung ist Schöffel mit 12,5 Prozent Marktanteil in Deutschland (knapp hinter dem Marktführer mit der Tatze) auf Platz zwei aller Outdoor-Unternehmen unterwegs. Daher hat Schöffel in den Boomjahren alle zwei Wochen ein Übernahmeangebot bekommen. „Das hat so genervt, wir haben dann ein standardisiertes Absageschreiben entworfen“, so Peter Schöffel. Im Moment aber funktioniere das Wachstum im Outdoor-Markt nur über die Steigerung des Marktanteils, der Gesamtmarkt stagniert seit drei Jahren. „Die Frage ist“, so Peter, „ist der Outdoor-Markt schon an seinem Gipfel angekommen, oder ist das noch das Basislager?“


Wir sind auf jeden Fall noch lange nicht am Gipfel, und aus dem doch eher gemütlich-gleichmäßigen Bergan-Wandern ist eine wahrhaft alpine Kletterei mit Stahlseilen, Trittstufen und Spreizschritten geworden. Ich merke, dass auf dieser Tour alle meine Extremitäten gefordert sind, im Klartext: BEIDE Hände, aber eine Hand muss ja immer diesen Regenschirm halten. Also weg mit dem blöden Schirm! Nun ja, besser ein wenig nass als abgestürzt. So ganz raus möchte ich nicht sein. Peter steigt ganz locker vor mir bergan. Er verspricht mir, dass wir heute noch Gämsen sehen werden, es gebe am Rubihorn, vor allem Mitte Mai, quasi eine GGG, eine Gämsen-Guck-Garantie. Da bin ich ja mal gespannt. Ich muss mich jetzt wirklich anstrengen, die alpine Wegstrecke zu meistern, will aber die anderen drei Jungs nicht bremsen. Jörn, der Nebelhornmann, hält mich ein wenig zurück. „Mach’ hofele“, rät er mir, schön langsam, so wie man es hier im Allgäu sagt. Plötzlich ein Geräusch, direkt über unserem Pfad kreuzt eine Gruppe den Weg. Peter grinst. Schließlich, nach einer schönen Gratwanderung, – der Gipfel. Von 1.230 Meter an der Mittelstation sind wir auf 1.957 Meter gestiegen. Fast das Dach der Welt, Schöffel-Werbe-Ikone Gerlinde Kaltenbrunner wäre stolz auf uns. Glückwünsche, Berg Heil, Fotos, was man da oben eben so macht. Wir waren flott gewesen, in eindreiviertel Stunden auf dem Rubihorn. Und die Belohnung: Eine Brotzeit der Extraklasse. Wir suchen uns eine windgeschützte Stelle zehn Meter unterhalb des Gipfelkreuzes, und Jörn packt regionale Käse-, Speck- und Schinken-Spezialitäten aus. Danach verschwindet er hinter einer Latschenkiefer und kommt mit einer Flasche Rotwein wieder heraus. Überraschenderweise wächst auch Wein am Rubihorn, wer hätte das gedacht? Ein Weinanbaugebiet, wo der Wein direkt in die Flasche hineinwächst. Wie groß Jörns Rotwein-Depot am Rubihorn ist, will er aber nicht verraten. Im Graupelschauer stehen wir dort oberhalb von Oberstdorf und genießen das Leben. Herrlich!

Peter (Mitte), Manuel (rechts) und Jörn genießen das Gipfelpanorama vom Rubihorn. Foto: Wandermagazin / M. Sänger

Ich kapiere dort oben auch, warum Peter den Regen so mag: Er ist umsatzfördernd! Wenn’s freitags und samstags regnet, so Peter Schöffel, ist das gut für den Outdoor-Kleidungsverkauf. Wenn es zum Beispiel im Herbst durchgehend schön ist, wird ergo wenig verkauft. Der Käufer entscheidet sehr kurzfristig. Beim Abstieg vom Rubihorn geht dann doch tatsächlich die Sonne auf und wärmt uns Herzen und Körper. Ich muss an den ziemlich pfiffigen Schöffel-Spot denken. Man sieht in dem Werbe-Clip einen einsamen Wanderer bei Schnee, Regen, Sonne. Dazu aus dem Off eine Ansprache an alle Hippster, eine sehr lustige, dadaistische Aufzählung von Anglizismen und Business-Sprech, eine Art Poetry-Slam-Beitrag. Es heißt dort:

„An alle High Potentials und Key Performer
Global Player und Opinion Leader
An Deep Diver und Innovation Driver
An alle Indoor Stepper und Power Napper
Alle Urban Gardener und Facebook Farmer
An alle Laufband-Läufer und Proteindrink-Trinker
Alle Insider und Upgrader
An alle Euch Meilenmillionäre:
Macht erst mal ohne mich weiter…“

Am Ende der Tour, beim Belohnungsbier in Oberstdorf, mache ich die Probe aufs Exempel, den Praxistest: Ist Peter Schöffel wirklich komplett kompatibel zur Message seines Werbespots? Oder kann er sich in dem einen oder anderen schicken Begriff doch wiederfinden?    


Ein Stichwort-Blitz-Interview:

Peter Schöffel ist leidenschaftlicher Wanderer und Chef von über 200 Mitarbeitern. Das Wandergen hat er von Vater Hubert geerbt. Er liebt die Berge und ist mit der Familie häufig in den Allgäuer und Kitzbüheler Alpen unterwegs.Foto: Wandermagazin / M. Sänger

Proteindrink-Trinker? „Hä, was ist denn das?“
Meilenmillionär? „Nein, obwohl, ich bin schon viel unterwegs, Asien und so, da sammelt man ein paar Meilen, aber Millionen? Nein.“
Global Player? „In dem Sinne, dass ich weltweit vertreibe? - Nein!“
Opinion Leader? „Das schon eher, lässt sich oft nicht vermeiden.“
Indoor Stepper? „Definitiv: NEIN!“
Urban Gardener? „Gardener ja, urban nein.“
Upgrader? „Nein, ich bin zufrieden mit dem, was ich habe.“
Laufband-Läufer? „Eindeutig nein!“


Das glaube ich sofort, bevor Peter Schöffel auf dem Laufband läuft, geht er lieber raus in die Natur und sagt: „An alle Urban Gardener und Facebook Farmer, ihr Laufband-Läufer und Proteindrink-Trinker, ihr Insider und Upgrader und an alle Euch Meilenmillionäre: Macht erst mal ohne mich weiter…“

Obwohl er als Chef eines mittelständischen Unternehmens nicht richtig „raus“ sein kann, sucht er das authentische Naturerlebnis, wenn es seine Zeit ermöglicht. Die Wanderung auf das Rubihorn mit dem Schöffel-Chef war auf jeden Fall, so denke ich, für uns als „High Potentials“ ein ganz besonderes Erlebnis.