Der Rhein und seine Logen
Jahrmillionenalt ist das Rheinische Schiefergebirge, Vater Rhein brauchte eine Weile, um sich einen Weg mittendurch zu graben. Weil neben Lahn, Wied oder Wisper auch mindestens drei Dutzend Bachtäler, eines bizarrer, enger und wilder eingekerbt als das andere, von der Seite zum Rheine drängen, ist das Relief des Rheinsteigs ein turbulentes Hoch und Nieder. Mal durch Weinterrassen, mal durch Streuobsthänge – nirgends hält der neue Traumpfad länger inne.
Der Lohn der ständigen „Paternosterei“ sind erhebende Aussichtspunkte. Logen für „Fernseher“. Wie am Geisberg. Mitten im Siebengebirge. Für Geologen nüchtern und knapp eine mindestens sechs Millionen Jahre alte, vulkanische Ruinenlandschaft. Für Wanderherzen ein sagenhaftes Filetstück der Natur. 328,7 Meter hoch ist der Balkon. Die Sonne verwöhnt den Ausguck samt blank gescheuerter Holzbank und kleiner Schutzhütte. Es wird einem schwindlig dabei, alle stürzenden Linien bis zum ultimativen Schnittpunkt, der Strommitte zwischen den Inseln Nonnen- und Grafenwerth, zu verfolgen.
Schöner Anachronismus
Vom Bonner Beethovendenkmal bzw. dem Alten Rathaus bis zum Wiesbadener Schloß sind es nur 151 Stromkilometer. Das ergibt 40 Stunden per Schiff oder 2 Stunden mit der Bahn. Der Rheinsteig macht daraus stolze 320 Kilometer und immerhin 20 Tagesetappen. Welch ein Anachronismus.
Rheinschiffe, groß wie Weberschiffchen, schieben sich in das und aus dem Blickfeld am Geisberg. Soviel gab es schon zu sehen: Dornheckensee, die Oberdollendorfer Weinberge und den Petersberg samt Nobelhotel. Drachen-schloß, Drachenfels, der steile Abstieg ins Rhöndorfer Tal, die Breiberge und die Ruine Löwenburg warten noch.
Unverhofft kommt oft
Der Rheinsteig zwingt einem schnell jenen Rhythmus der besitzergreifenden Gelassenheit auf, der sich dann einstellt, wenn sehr menschliche Bedürfnisse die Oberhand gewinnen. Hunger und Durst dirigieren die Pausen. Die bissigen Aufstiege, die abrupten Abstiege steuern Puls und Motorik. Sonne, Wind und Regen be- oder entschleunigen den Takt. Aussichten, Tiefblicke und all ihre virtuosen Mitspieler erhöhen, begeistern und euphorisieren.
So wie Burg Ockenfels über Linz am Rhein. Unvermittelt steht man an ihrer Pforte und gleich darauf auf der Restaurantterrasse. Oder so unverhofft wie die Edmund-Hütte über Leutesdorf. Eben noch Krüppeleichen, felsiger Steilhang, hoch über den Weinhängen – ziemlich genau gegenüber von Namedy, wo ab Frühjahr ein gewaltiger Kaltwasser-Geysir entfesselt wird – und dann diese rustikale Idylle. Das Naturfreundehaus ist von Mai bis Oktober samstags und sonntags geöffnet. Ein Glückspilz, wer Ausblick und Einkehr genießen darf.
Außerdem im Heft: Der Rheinsteig in zehn Etappen
1. Etappe: Von Wiesbaden nach Rüdesheim
2. Etappe: Von Rüdesheim nach St. Goarshausen
3. Etappe: Von St. Goarshausen nach Koblenz-Pfaffendorf
4. Etappe: Von Koblenz-Pfaffendorf nach Leutesdorf
5. Etappe: Von Leutesdorf nach Unkel
6. Etappe: Von Unkel nach Bonn
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