Der Thüringer Wald liegt „im Herzen Deutschlands“. Stolz nennen ihn die Thüringer auch ihr „Grünes Herz“ – ein kostbarer Schatz zwischen den waldärmeren Landschaften im Süden und dem Thüringer Becken im Norden. Auf meiner Wanderung von Schleusingen mit seiner über 1.000-jährigen Geschichte und sehenswerter Altstadt über Hinternah mit seiner schönen Kirche aus dem 17. Jahrhundert am Eingang des Nahetales wanderte ich zunächst hinauf zur Siedlung Silbach, wo mich bereits größte Einsamkeit umfing, und anschließend über Schmiedefeld nach Ilmenau.

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Erinnerungen und Sehnsucht

Zu einer Wanderung durch oder übers Gebirge gehören Fernblicke einfach dazu. Sie führen oft an Orte mit Erinnerungen an frühere Touren, wecken aber vor allem die Sehnsucht nach weiteren Touren, Touren, die das Sichtbare in weiter Ferne näherbringen. Bereits auf dem Weg hinauf nach Schmiedefeld bieten sich Ausblicke auf die westlich gelegenen Berge des Thüringer Waldes und kurzzeitig ein Blick auf die benachbarten Gleichberge. Kurz vor Schmiedefeld sieht man von einer Waldwiese aus genau im Westen sehr ferne Berge, die vermutlich zur Rhön gehören. Blickhorizonte wecken die Neugier. Unweigerlich wächst die Lust darauf, den fernen Blickpunkten einen Namen geben zu können und idealerweise einmal zurückblicken zu können. 

Schloss Bertholdsburg und Stadtkirche Schleusingen

Das UNESCO-Biosphärenreservat

Nahezu die gesamte Wanderung liegt im Biospährenreservat Thüringer Wald. Dieses Gebiet soll dank seines Schutzstatus in einem möglichst naturnahen Zustand erhalten bleiben. Eine durchgehende Markierung ist nicht vorhanden. Mit Hilfe der hier angegebenen Beschreibung und des GPX-Tracks im Tourenportal ist die Begehung aber kein Problem. Ich war bei meiner Recherche nur mit Kompass und einer nicht sehr genauen Karte unterwegs und fand dennoch problemlos den direkten Weg nach Schmiedefeld. Aber im Gegensatz zum zweiten Tag ist mir in mehreren Stunden außer einigen Waldarbeitern kein Mensch begegnet. Ohne Zweifel hat diese Tour in einer sonst sehr viel bewanderten Mittelgebirgsregion wie dem Thüringer Wald besonderen Reiz. Es ist ein kleines Wanderabenteuer.

Der Kickelhahn einst und jetzt

Am zweiten Tag, gegen Ende der Tour, wandert man sogar auch ein Stück auf dem „Goetheweg“ und kommt am „Goethehäuschen“ vorbei. Wahrscheinlich kann sich niemand dem Zauber der großartigen Worte von Goethe in dieser Gegend entziehen: „Über allen Gipfeln ist Ruh, in allen Wipfeln spürst du kaum einen Hauch; die Vögelein schweigen im Walde. Warte nur, balde ruhest du auch.“ Am Gipfel des Kickelhahns befindet sich ein täglich geöffneter Aussichtsturm. Bei meinem Besuch des Kickelhahns am 16. Juni 2022 (Fronleichnam) war am Gipfel allerdings „keine Ruh“, es herrschte eher Volksfeststimmung.

Auf dem Weg zum Kickelhahn

Auch auf dem langen, steilen, steinigen und auch schmalen Abstieg nach Ilmenau kamen mir unentwegt junge Leuten mit Bierkästen entgegen. Es stellte sich heraus, dass an diesem Tag das Bergfest der Technischen Hochschule Ilmenau mit „Bierathlon“ zum Kickelhahn stattfand. Die Aufgabe: Kostümiert und im Viererteam eine Bierkiste zum Gipfel tragen. Und weil die mit leeren Flaschen leichter zu bewerkstelligen ist, wird auf dem Weg allerhand getrunken. Ich dachte spontan an den Text eines alten Schlagers: „Junge Leute fragen nicht, was man darf und kann / Junge Leute sehen die Welt mit anderen Augen an / Und ist diese Welt auch oft fern der Wirklichkeit / Wo ist der, der ihnen nicht lächelnd das verzeiht?“ („Mit 17 hat man noch Träume“, Text/Musik: Heinz Korn, Interpretin: Peggy March).

Auf der Rückfahrt nach Würzburg hatte ich in Plauen über eine Stunde Aufenthalt. Ich machte es mir am verlassenen Bahnhof auf einer Bank im Schatten gemütlich und blickte auf einen gegenüberliegenden, sonnigen Berghang. In solchen Stunden nimmt man allen Stress und alle Termine einmal aus dem Leben. Die Pause hätte noch länger dauern können und ich war mir wieder einmal sicher, dass das Glück dieser Erde sich nicht nur auf dem Rücken der Pferde, sondern vor allem auch im Wanderschuh befindet.

Bunt bewohnter Blumenteppich – Blumen und Schmetterlinge im Thüringer Wald

Arnika

Eine Besonderheit des Thüringer Waldes sind seine oft versteckt liegenden Wiesen. Man findet hier noch die Arnika mit ihren dottergelben Blütenständen. Sie ist außerhalb der Alpen in ihren Beständen bereits stark zurück gegangen. Das trifft auch auf viele andere Pflanzen zu. Die in Bayern bereits auf der Roten Liste stehende Bärwurz erkennt man an ihrem Blütenstand aus zahlreichen kleinen weißen Blüten, den stark gegliederten Blättern und ihrem würzigen Geruch.

Schlangen-Knöterich

Die Heidenelken haben kleine, karminrote Blüten, die filigran gezeichnet sind. Auf feuchten, etwas moorigen Böden wiegen sich die Blütenstände des Wollgrases bei jeder Luftbewegung. Oft steht in der Nähe der Schlangen-Knöterich mit seinen säulenförmigen, rosa Blütenständen. Auf Lichtungen im Wald findet man auch den Fingerhut. Diese westeuropäische Pflanze, die in den Gebirgen am Rhein so häufig ist, wächst auch im Thüringer Wald.

Kornblume

In größeren Beständen tritt der Wald-Storchschnabel auf, dessen blaue Blüten einen zentralen hellen Fleck besitzen. Dazu schmücken auch häufiger vertretene Blumen die Fluren, die mit ihren Farben einen bunten Beitrag leisten, z. B. Kornblumen mit ihren leuchtend blauen Blütenständen und die Rote Lichtnelke. Schließlich sei noch das etwas unscheinbare, aber oft in dichten Beständen wachsende Harzer Labkraut mit seinen kleinen weißen Blüten erwähnt, da es für kalkarme Heiden sehr charakteristisch ist.

Dukatenfalter

Wo artenreiche Wiesenfluren gedeihen, sind die grazilen Schmetterlinge nicht fern. Leider gehen Arten- und Individuenzahl weltweit derzeit erheblich zurück. Auf dieser Wanderung (ungefähr ab Juni und im Juli) findet man neben den noch häufig vorkommenden Faltern, z. B. dem Pfauenauge und dem Zitronenfalter, auch noch echte Raritäten. Zu dieser Zeit fliegt etwa häufig der Pantherspanner mit gelb gefärbten Flügeln, auf denen sich braune Flecken befinden. Es ist eigentlich ein Nachtfalter, der aber auch am Tag aktiv ist.

Waldbrettspiel

Ebenfalls ziemlich häufig fliegt an den Wegrändern im Sommer das Waldbrettspiel mit seinen Augen auf der Ober- und Unterseite. Seltener findet man das Kaminfegerle mit seinen dunklen Flügeln, das nur an der Spitze der Vorderflügel helle Fransen besitzt (tag- und nachtaktiv). Am Rennsteig bei Allzunah entdeckte ich Anfang Juli 2022 sogar den sehr seltenen Dukaten-Feuerfalter.

 

© Michael Sänger

 

Dr. Konrad Lechner ist passionierter Wanderführer im In- und Ausland und wurde 2008 zum Ehrenwanderführer des Deutschen Wanderverbandes ernannt. Die beliebte Serie "Konrads Überquerungen" erschien von 2002-2012 im Wandermagazin. Wir holen die Touren über große und kleine Gebirgszüge nun aus dem Archiv und veröffentlichen sie hier in überarbeiteter Fassung.