Text & Bilder Ricarda Große

 

Stadtnah und doch in die Ferne schweifen können

Lichtmomente auf Etappe 6 der SaaleHorizontale

Mein Blick ins Tal hinein fokussiert sich immer wieder auf die Stadt Jena. Gedämpft erreichen mich Geräusche des urbanen Lebens und gleichzeitig zwitschern die Vögel um mich herum. Alles scheint in diesem Moment greifbar nahe, die Stadt, der Trubel auf den Straßen und doch auf sonderliche Weise weit von mir entfernt. Ich glaube, das ist der Charme des Weitwanderwegs SaaleHorizontale und ich beginne zu verstehen, warum sie zu „Deutschlands Schönstem Wanderweg 2023“ gewählt wurde. Auf meiner Reise durch die Region werde ich öfters solche Momente erleben, innehalten und genießen. Denn hier treffen Wanderfans auf wasser-, wald- und aussichtsreiche Touren, auf Bollwerke des Mittelalters, liebevoll erhaltene Barockbauten, moderne Architektur, einladende Weinhänge und regionale Produkte. Hier kann man mit nur einem Schritt auf über 1.000-jährige Geschichte treffen und dabei den Musikschüler:innen der nächsten Generation lauschen. Hier berühren die Hände mühsam und robust gebaute Trockenmauern aus vergangener Zeit im Weinberg. Hier läuft man zwischen den Spuren von Bauhaus und Schiller entlang in das grüne Paradies am Rande der Stadt.

Die Saale zu meinen Füßen, Stuckmarmor und Goethes Schreibtisch

Aussicht auf die mittelalterliche Burg und das Saaletal an den Dornburger Schlössern

Nördlich von Jena, ca. 15 Minuten Zugfahrt, überblickt das Ensemble der Dornburger Schlösser die Region von einem Felsenbalkon aus. Gleich drei Gebäude bilden eine Geschichte aus über 800 Jahren. Die Stile aus Mittelalter, Barock und Rokoko sind hier mit einer einladenden Parkanlage miteinander verbunden. Von den Wegen und Terrassen direkt am Hang hat man einen tollen Blick über die mäandernde Saale. Es ist mein Zieleinlauf für den Wandertag auf der SaaleHorizontale. Die Barock- und Rokokobauten sind ein Museum, die mittelalterliche Anlage Tagungszentrum. Ich mache einen Erkundungsgang durch die festlichen Salons im Lustschlösschen aus dem 18. Jh., mit Pastellfarben, Stuckmarmor und klar definierten Farbschemen, je nach Nutzung des Raumes. Ich schreite über die Zimmerschwelle des Raumes, den Johann Wolfgang von Goethe für einige Wochen 1828 im ehemaligen Ritterhaus bezog, und trete an den Schreibtisch, den er damals benutzt hat. An meiner Seite ist Schlossverwalterin Fanny Rödenbeck. Sie erzählt vom Auf und Ab der Geschichte der Dornburger Schlösser, den Familien, Bewohnern und (Bau-)Entwicklungen. Ein Ort, an dem ich gerne etwas länger verweile, die verschiedensten Perspektiven in den Gärten und Architekturdetails fotografiere und einer Holzbiene bei ihrem Flug durch duftende Blüten zuschaue. 

Den Besuch der Dornburger Schlösser habe ich mit einer Wandertour auf der SaaleHorizontale verbunden. Etappe 6 des insgesamt 91 km langen Weitwanderweges führt, je nach Gehrichtung, am Anfang oder am Ende hier vorbei.

Einer der vielen Aussichtmomente
auf Etappe 6 der SaaleHorizontale

Tourentipp Nr. 1

SaaleHorizontale Etappe 6

Von Jena-Zwätzen nach Dornburg | ca. 13 km | 4 Std. 

Muschelkalk, Burgkulisse & der Wein an Saale und Unstrut

Über die unebenen und ausgetretenen alten Stufen im Herzoglichen Weinberg Freyburg steht ein letzter Aufstieg für diesen Tag für mich an. Meine Begleitung durch die Welt dieses barocken Weingartens mit pittoreskem Weinberghaus ist Rüdiger Bier. Er steuert eine Bank an und gemeinsam blicken wir über das Tal der Unstrut, das sich vor uns auftut. Der Blick reicht bis zum Kloster Zscheiplitz. Die Nachmittagssonne lässt die Weinberge und ihre Trockenmauern erstrahlen. Ich fühle mich an meine Wanderung auf der SaaleHorizontale erinnert: Das Gefühl nicht weit entfernt vom Trubel der Straße und Stadt zu sein und gleichzeitig distanziert von allem die Ruhe zu finden. Gedanken schweifen umher, Herr Bier erzählt mir eine amüsante Legende nach der anderen und ich merke gar nicht, wie die Zeit vergeht.

Kurz vor Nißmitz wird vom Weg aus das Schloss Neuenburg sichtbar

Am Morgen noch startet die Wandertour in Balgstädt, einem kleinen Ort unweit von Freyburg entfernt. Ich bekomme einen Einblick in die regionale Produktvielfalt bei MaMa's Unstruttaler, während ich mit Matthias Schmidt an einem der mobilen Hühnerställe mit Außengehege nahe der Unstrut stehe. Gemeinsam mit seiner Schwester Madleen Schmidt hat er die Firma gegründet. Beiden geht es u. a. darum, mehr auf regionale Lebensmittel und landwirtschaftliche Produkte aufmerksam zu machen und diese ortsnah und unkompliziert kaufbar zu machen. In Sichtweite steht einer der Eierautomaten. Hier kann man Eier und weitere Produkten, wie frisches Rapsöl oder Senf, einfach kaufen und die Tiere beobachten. 

Tipp: Unter der Marke „handgemacht Saale-Unstrut" finden sich allerhand tolle regionale Produkte. Mit dabei ist auch MaMa's Unstruttaler und der Obsthof Müller in Querfurt.

Blick in Richtung Rödel vom Herzoglichen Weinberg Freyburg

Jetzt geht es los auf Wanderschaft aufwärts in Richtung Rödel. Das Besondere an diesem Areal sind die alten Laubmischwälder, die mageren Flachlandmähwiesen und Kalktrockenrasen auf dem oben liegenden Hochplateau im Naturschutzgebiet Tote Täler". Hohlwege und schmale Pfade führen zur Anhöhe. Wer Glück hat, erspäht auf Abstand vielleicht auch die Gärtner dieser Wiesenlandschaft – die Koniks, eine robuste Pferderasse. An einigen Stellen sind Überreste alter Steinbrüche zu finden, wo früher Muschelkalk abgebaut wurde. Die Ebene, die sich vor mir auftut, kommt unerwartet. Ich finde den Wechsel von dichtem Waldhang zu offener Savanne" sehr reizvoll. Das Kloster Zscheiplitz ist am Horizont zu erkennen und über mir zieht ein Greifvogel seine Kreise. Die überschaubare Wanderstrecke von Balgstädt über den Rödel nach Freyburg und dessen Highlights, mit Weinhängen und Schloss Neuenburg, verbindet sehr viel mehr als nur zwei Bahnhöfe als Ausgangspunkte. 

Aussichtsplattform auf dem Rödel über das Plateau

Tourentipp Nr. 2

Über den Rödel: von Balgstädt nach Freyburg

ca. 7 km | 2 Std. 

Großer Eichenwald, Fruchtiges & eine Filmburg

Unter dem dichten Laubdach liegt ein Teich, der von einer steinernen Eule bewacht wird. Die Skulptur steht auf einem Sockel mitten im Wasser und wacht über den Ort. Ein Blickfang, der dem Ort etwas Fantastisches verleiht.

Wenige hundert Meter vorher startete die Wanderrunde am Jägerhaus im Ziegelrodaer Forst. Mit Wildtiergehege, Einkehrmöglichkeit und flachen Wegen ist der Wald eine tolle Ausflugsadresse für Familien. Aber auch ich komme hier auf meine Erlebniskosten und genieße die kleine Runde sehr. Durch die einfachen Wege und gute Markierung kann ich meinen Blick schweifen lassen, Details beobachten und ein Fotomotiv nach dem anderen finden. Das Totholz und die grotesken Überreste von Baumstämmen lassen erahnen, dass sich hier einige Waldbewohner, wie der Specht, sehr wohlfühlen. Neben Teichen mit dichten Schilfflächen geht es auch an neu emporwachsenden Nadelbäumen vorbei. Ein kleiner Frosch hüpft vor meinen Schuhen durch das Gras, Vögel singen um mich herum. An einem Feldrand eröffnet sich der Blick dann in die Weite, warmer Wind zieht vorbei. Zusammen mit einer Stärkung im Jägerhaus verknüpft die Wanderrunde auf nur wenigen Kilometern viele Eindrücke. Und der Tag ist noch nicht vorbei, denn vor oder nach der Tour rundet ein Besuch auf der Burg Querfurt den Ausflug ab.

Ruheoase an einem der Teiche auf dem Weg

Tourentipp Nr. 3

Durch den Ziegelroader Forst:
Wanderrunde am Hermannseck

ca. 5,2 km | 1,5 Std.

Die Burg ist die größte und älteste Burg an der Straße der Romanik. Bereits seit dem 10. Jh. war sie Stammsitz der edlen Herren von Querfurt. Während man über die Anlage läuft, fallen besonders der Bergfried aus dem 12. Jh. als auch die zentral platzierte Burgkirche ins Auge. Das Museum im alten Korn- und Rüsthaus gibt Auskunft über das Leben auf der Burg und das Adelsgeschlecht. Ich steige ein paar Stufen am alten Eselstall auf eine Art Aussichtsterrasse hoch. Von hier blickt man über die Wehranlage hinaus auf das Städtchen, aber auch auf den großen Innenhof mit der Kirche. Die Sonne spielt heute Spotlight und lässt die Gemäuer erstrahlen. Kein Wunder, dass diese Szenerie in zahlreichen Filmen bereits genutzt wurde. 

Nur einen Katzensprung von der Burg entfernt, erstrecken sich Reihe um Reihe die Spaliere von 14 Apfelsorten in die Ferne. Ein Blick hinter die Kulissen des Obsthofs Müller versüßt den Tag zum Abschluss. Aus Äpfeln, Kirschen, Aprikosen, Pflaumen und Beeren wird in dem Familienbetrieb allerhand produziert: Marmeladen, Liköre, Säfte, Smoothies etc. Nicht unweit vom Hof finden sich alle Produkte im hauseigenen Laden. Ein Zwischenstopp auf dem Weg zur Wanderrunde im Ziegelrodaer Forst (s. Tourentipp 3) sollte eingeplant werden – es macht große Freude in den Regalen zu stöbern. 

Abstecher: Lichtstadt Jena & das Paradies

Aussicht vom JenTower über die Stadt und die umliegende Landschaft

Die Universitätsstadt punktet an einem sonnigen Vormittag bei mir mit ihrer Mischung aus Alt und Neu. Geprägt durch die Optik- und Feinmechanikindustrie rund um das Unternehmen Carl Zeiss, finden sich zwischen den Straßen und Plätzen die ersten Hochhäuser Deutschlands und viele Bauhaus-Einflüsse. Dann wiederum läuft man am Pulverturm und Resten der alten Stadtmauer aus dem Mittelalter entlang oder nimmt Platz in Schillers Garten, wo er u. a. den Wallenstein zu Ende schrieb. Die Eindrücke sind mannigfaltig und dank der großzügig angrenzenden Grünoase, dem Paradies, gelingt der Wechsel von Stadttrubel zu Ruhetankstelle in einem Rutsch. Auch hier komme ich in den Genuss der doppelten Empfindung: Die Geräusche der Stadt kommen gedämpft bei mir an, gefiltert und gebremst von der Natur um mich herum am Ufer der Saale. Von Jena aus sind Wanderausflüge in die Umgebung einfach mit dem Zug zu planen. 

Ich empfehle, eine Stadtführung mitzumachen, damit die Fülle an namenhaften Personen und die Geschichte und Entwicklung Jenas nachvollziehbar werden. www.visit-jena.de

Noch mehr Reise-Tipps für Saale-Unstrut

Von A nach B: Die Anbindungen zwischen den Städten und Ortschaften als Ausgangspunkte sind gut mit der Bahn zu erreichen, sodass die Region von einer zentralen Unterkunft aus erkundet werden kann. Die Fahrtzeit zwischen Jena und Naumburg z. B. beträgt ungefähr 30 Minuten. Weiter hoch nach Freyburg bleibt es mit Umsteigen bei unter einer Stunde. Tagesausflüge sind also kein Problem.

Unterkunft: In Naumburg direkt am Dom findet sich seit neustem die Pension Alter Bischofshof". Hier kann man in individuell und liebevoll modern eingerichteten Zimmern übernachten oder auch ein Appartement beziehen. Morgens gibt es dann leckeres Frühstück unterm Dach des Hauses mit Blick auf das Gemäuer und die Fenster des Doms. Eine tolle Location, in der man übrigens als Gast einen Eintritt in den Dom inklusive hat. 

Naumburger Dom: Absolut einen Besuch wert, aber genügend Zeit einplanen. Neben der berühmten Figur der Uta sind unzählige Details zu erleben. Wer keine Führung buchen möchte, kann sich mit dem Audioguide ebenfalls sehr informativ durch das Monument führen lassen. Mein persönlicher Tipp: Morgens und Abends hat man besonders tolle Lichtverhältnisse im Dom, aber auch im Kreuzgang und Garten. www.naumburger-dom.de

JenTower: Zum ersten Mal in der Stadt? Für mich war die Aussicht vom ca. 160 m hohen Tower mitten in der Stadt eine tolle Gelegenheit, einen Überblick zu gewinnen und die Weite des Talkessels und der Saale aufzunehmen. 

Paddeln, Radfahren & Camping: Nicht nur zu Fuß ist Saale-Unstrut zu erleben. Mehr dazu gibt es in der Reportage von Svenja Walter auf outdoor-welten.de zu lesen.