Dieser Beitrag wurde aktualisiert und erschien ursprünglich am 14.02.2020.

Schmerzen können einem den Spaß am Wandern echt verderben. Der Schulter- und Nackenbereich ist eine der häufigsten Problemzonen, die Ursachen dafür sind jedoch vielfältig. In Teil 2 der Reihe „Schmerzfrei Wandern“ gehen wir auf die Ursachen unspezifischer Nacken- und Schulterschmerzen ein. Ich zeige Ihnen, wie Sie dem schmerzfreien Wandern mit gezielten Übungen ein Stück näher kommen.



Warum muss man sich überhaupt fürs Wandern fit machen? Was sind die häufigsten Ursachen für Schmerzen beim Wandern?

Marwin Isenberg ist Sportwissenschaftler und Personaltrainer und hat sich mit seinem Studio Gipfelgang auf Wanderfitness spezialisiert. In einem Interview mit dem Wandermagazin beantwortet er unsere Fragen. 

Um Probleme im Nackenbereich loszuwerden, ist ein ganzheitlicher Ansatz notwendig. Keine einzelne Übung und auch kein neuer Rucksack allein werden eine schnelle Verbesserung bringen. Die Behandlung von Triggerpunkten oder das Einsalben kann lediglich die Symptome kurzfristig lindern. Es sollte vielmehr darum gehen, die Ursachen zu bekämpfen. Gehen wir davon aus, dass Sie den passenden Rucksack für Ihren Rücken tragen und ihn richtig einzsutellen wissen, dann liegen die Ursachen häufig in einer Instabilität der Schulter und einer geschwächten Rumpfmuskultur. Deshalb möchte ich Ihnen mit den folgenden Übungen praktische Möglichkeiten mit an die Hand geben, um diese Beschwerden beim Wandern zu vermeiden.
 

Diagnose versus unspezifische Schmerzen

Natürlich gibt es spezielle Diagnosen, Verletzungen und Vorgeschichten, die eine ausgiebigere Betrachtung und Anamnese erfordern. Rheumatische Entzündungen, Arthrose oder orthopädische Fehlstellungen im Schultergelenk können nicht mit den folgenden Übungen pauschal verbessert werden. In diesem Beitrag geht es um unspezifische Schmerzen – also ohne vorliegende Diagnose – vor allem im Nackenbereich. Diese werden oft durch eine Schulter-Instabilität und eine geschwächte Rückenmuskulatur in Kombination mit einem erhöhten Stresslevel hervorgerufen. Auch eine eingeschränkte Beweglichkeit in der Brustwirbelsäule und dem Schultergelenk selbst kann darauf einen Einfluss haben.

Rumpf ist Trumpf! Eine eingeschränkte Bewegungsfähigkeit der Brustwirbelsäule oder eine schwache Rumpfmuskulatur wirken sich ebenfalls negativ auf den Schulter und Nacken. Lesen Sie dazu Teil 1 – Rücken.

Wir begegnen diesen Ursachen mit einem ganzheitlichen Lösungsansatz:

  • Brustwirbelsäule mobilisieren
  • Schultergelenke stabilisieren
  • Rückenmuskulatur stärken
  • erhöhtem Stresslevel entgegenwirken
     

Welchen Einfluss hat Stress auf meinen Nacken?

Eine der Hauptgründe für Nackenverspannungen ist Stress. Stress hat wiederum einen gewaltigen Einfluss auf Ihre Atmung. Wer bewusst oder unbewusst gestresst ist, gewöhnt sich ein Atemmuster an, welches dazu passt: Schnelles und flaches Atmen in den Brustkorb, das ist unsere Stress-Atmung.

Wie hängt das mit einem verspannten Nacken zusammen? Zur Brustatmung brauchen wir die Atemhilfsmuskulatur, u. a. im Nacken. Muss dieser übermäßig viel arbeiten – wir machen immerhin ca. 20.000 Atemzüge täglich – , verspannt und verhärtet er und es kommt aufgrund der Spannung zu hochgezogenen, vorgefallenen Schultern. Na, wer kennt’s?

Wenn Sie nicht gerade einen Ausdauerlauf machen, sollten Sie im Alltag in den Bauch atmen! Wenn Sie beispielsweise im Büro arbeiten und vor lauter „To-Do’s“ nicht mehr wissen wohin mit sich, achten Sie mal auf Ihre Atmung. Wenn Sie feststellen, dass Sie in die Brust atmen, probieren Sie folgende einfache Übung direkt im Büro oder zuhause aus: die Krokodilatmung!

Übung: Krokodilatmung

Legen Sie sich bäuchlings auf den Boden oder ihr Bett und legen Sie die Hände untere Ihre Stirn. Im Büro lehnen Sie sich einfach zurück und platzieren Sie eine Hand auf der Brust und eine auf dem Bauch. Atmen Sie nun durch die Nase vier Sekunden gegen Widerstand (Hand oder Boden) in den Bauch ein. Atmen Sie dann über vier Sekunden durch den Mund aus. Sie sollten versuchen keine Bewegung im Brustkorb zu merken. Machen Sie einen richtigen Blähbauch! Spüren Sie, wie Sie auch den seitlichen Bauch und den unteren Rücken mit Luft füllen. Wiederholen Sie das für mindesten 18 Atemzüge oder drei Minuten am Stück. Lassen Sie sich einfach darauf ein und probieren Sie es aus. Die richtige Ruheatmung macht einen gewaltigen Unterschied!

 

Ich finde es sollte möglich sein, die Natur und das Draußensein zu genießen. Deshalb zeige ich Ihnen in diesem Beitrag vier effektive Übungen für Nacken und Schultern, die Sie zu Hause ausprobieren und an Ihre derzeitige Fitness anpassen können.

Übung 1: Beweglichkeit der Brustwirbelsäule

Die Idee ist, Ihren Körper aus der „Bürohaltung“ herauszuholen und in die Gegenbewegung zu arbeiten. Die folgende Übung streckt die Brustwirbelsäule und entlastet dadurch Ihre verspannte Schulter-/Nackenpartie.

Ausgangsposition: Knien Sie sich hin und legen Sie Ihre Handkanten auf eine Erhöhung. Dies kann beispielsweise eine Bank, ein Gymnastikball oder Ihr Schreibtischstuhl sein. Stellen Sie Ihre Füße auf und halten Sie das Gesäß hinter den Knien.

Ausführung: Versuchen Sie nun mit der Brust nach unten zu gehen und atmen Sie dabei aus. Die Daumen und Zeigefinger machen ein „V“. Gehen Sie nicht vor und zurück, sondern nur gerade runter und hoch.

Modus: Wiederholen Sie diese Streckung für 3 Sätze mit je 12 Wiederholungen also 3 Mal 12 Atemzüge


Übung 2: Beweglichkeit der Schulter

Gegen die typische Bürohaltung zu arbeiten, bedeutet nicht, von nun an eine vermeintlich „optimale“ Haltung aufrechtzuhalten. Stattdessen wollen wir die Schultern in ihrem gesamten Bewegungsumfang, 360°, trainieren. 

Ausgangsposition: Die Übung kann in Bauchlage oder im Stehen ausgeführt werden. Strecken Sie einen Arm nach oben aus, die Hand ist ebenfalls ausgestreckt. Fallen Sie dabei nicht ins Hohlkreuz. Halten Sie Ihren Rücken gerade. Ziehen Sie dabei die Schultern weg von den Ohren und die Schulterblätter zusammen. Bauen Sie Spannung auf, das bedeutet: Spannen Sie auch Bauch und Gesäß an.

Ausführung: Führen Sie den gestreckten Arm seitlich bis auf Schulterhöhe. Dort drehen Sie Ihren Arm ein, sodass Ihr Daumen nach unten zeigt. Führen Sie die Hand nun langsam Richtung Gesäß und achten Sie darauf, nicht mit dem Oberkörper nach vorne nachzugeben. Bleiben Sie mit der Hand so weit wie möglich hinten, jedoch ohne den Schultergürtel mitzuverdrehen. Sie versuchen nun die Hand möglichst hoch an den Rücken zu führen, ohne dass Ihre Schulter nach vorn fällt. Behalten Sie einen geraden Rücken und vermeiden Sie es gerade in den Start- und Endphasen in ein starkes Hohlkreuz bzw. einen Rundrücken auszuweichen.

Modus: Absolvieren Sie je 2 Durchgänge mit jeweils 5 Wiederholungen pro Seite. Arbeiten Sie nicht auf Schnelligkeit, sondern auf Kontrolle in jeder Gelenkposition!


Übung 3: Schulterblätter aktivieren

Es gibt keine Positionen, die Ihre Schulter per se nicht einnehmen darf. Diese Übung wird Ihnen sicherlich zunächst etwas komisch vorkommen, weil sie einige ungewohnte Schulterhaltungen beinhaltet. Ihr zentrales Nervensystem (ZNS) reagiert auf unbekannte Drehungen oder Bewegungen der Schulter sehr sensibel. Kommt es dabei zu Gelenkpositionen, die ihr ZNS nicht kennt, reagiert es u. a. mit Schutzspannung oder Schmerzen. Dies können nur sehr kleine Veränderungen zu sonst sein, ein "Verliegen" oder eine "komische" Bewegung. Sie sollten alle Gelenkstellungen täglicih aktiv einnehmen, um Ihrem ZNS und Ihrer Schulter darin Sicherheit zu vermitteln. Arbeiten Sie täglich den gesamten natürlichen Bewegungsradius der Schulter durch. Dann gibt es langfristig keinen Grund mehr Schutzspannung in bestimmten Muskelpartien aufzubauen und Sie können Nackenverspannungen vorbeugen.

Ausgangsposition: Sie können diese Übung ganz einfach im Bürostuhl sitzend ausführen. Strecken Sie Ihren einen Arm nach vorn aus und ballen Sie eine Faust. Aufgabe soll es nun sein, das Schulterblatt durch sein gesamtes Bewegungsspektrum zu führen, ohne dass die Faust ihre Position deutlich verändert. Stellen Sie sich vor, Sie wollen mit Ihrer Schulter den größtmöglichen Kreis in die Luft malen.

Ausführung: (1) Ziehen Sie zunächst die Schulter nach oben zum Ohr. (2) Anschließend bewegen Sie Ihre Schulter nach vorn, schieben dabei den Arm „heraus“ und machen ihn „extralang“, ohne dass Ihr Schultergürtel sich mitdreht. (3) Ziehen Sie nun die Schulter nach unten (4) und dann das Schulterblatt nach hinten/unten zur Wirbelsäule. Bewegen Sie die Schulter dann wieder in die Ausgangsposition und fahren Sie den Kreis zurück. Versuchen Sie dabei wirklich jeden Millimeter an Bewegungsradius mitzunehmen!

Modus: Führen Sie diese Übung im schmerzfreien Bereich aus. Führen Sie 5 Wiederholungen am Stück pro Seite aus.


Übung 4: Oberen Rücken stärken!

Ihre verspannte Nackenmuskulatur benötigt kräftige Gegenspieler, welche der Spannung „nach oben“ entgegenwirken. Hier hilft Ihnen das Training des oberen Rückens und der Muskulatur zwischen den Schulterblättern. Der Merkspruch lautet: „Schultern weg von den Ohren!“ Die folgende Übung, auch Körpergewichts-Rudern genannt, vermittelt Ihnen diese motorische Kontrolle sehr gut. Wenn es Ihnen sehr schwer fällt, haben Sie Ihre Baustelle gefunden! Für Einsteiger ist diese Variante sehr gut geeignet. Achten Sie auf eine korrekte Ausführung. Jedes Detail der Übungsbeschreibung hat seinen Sinn.

Ausgangsposition: Halten Sie sich am Pfosten oder an den Türklinken fest. Stellen Sie die Füße hüftbreit vor der Tür/dem Pfosten auf und strecken Sie dann die Arme aus. Setzen Sie sich mit einem geraden Rücken nach hinten. Ziehen Sie die Schulterblätter nach hinten/unten weg von den Ohren.

Ausführung: Mit eingezogenem Bauchnabel ziehen Sie Ihre Ellbogen nun seitlich an Ihrem Rumpf nach hinten. Lassen Sie sich anschließend wieder über einen Zeitraum von vier Sekunden herunter und stoppen Sie am Ende. Arbeiten Sie ohne Umkehrschwung und bewahren Sie Haltung! Atmen Sie während des Heranziehens aus und beim Zurücklassen ein.

Modus: Führen Sie mindestens 3 Sätze mit 15 bis 20 Wiederholungen aus. Um die Schwierigkeit zu erhöhen, stellen Sie die Füße weiter von sich weg.


Meine Tipps:

  • Tragen Sie während des Wanderns bei kühleren Temperaturen oder an windigen Tagen ein Schlauchtuch um den Hals. Damit vermeiden Sie, dass Sie bei Kälte automatische Ihre Schultern hochziehen und verkrampfen.
  • Die hier gezeigten Übungen können Sie täglich durchführen, um die Beweglichkeit zu trainieren. Sollten Sie am folgenden Tag Ermüdungserscheinungen spüren, ist auch ein Pausentag ok.

  • Falls Sie einen längeren Wanderurlaub planen, beginnen Sie rechtzeitig mit dem Training, ca. 12 Wochen vorher. Setzen Sie sich jedoch nicht unter Druck. Das Training soll Ihnen guttun und Ihre Vorfreude auf die Wanderung steigern.

  • Stellen Sie Ihren Rucksack optimal ein und lassen Sie sich gegebenenfalls in einem Fachladen beraten.

>> Ergänzende Übungsbeschreibungen, weiterführende Erklärungen und detailliertere Informationen finden Sie bald auch auf dem Gipfelgang-Blog unter www.gipfelgang.de/blog.
 

Info: www.gipfelgang.de

In den folgenden Beiträgen zeigt Marwin Isenberg Übungen für Knie und Füße. Hier geht's zum Interview mit Marwin Isenberg und zum "Schmerzfrei Wandern Teil 1 – Rücken".


 

Haftungsausschluss:

Dieser Beitrag ersetzt nicht den Besuch bei einem Arzt. Der Autor übernimmt keinerlei Haftung für eventuelle Schadensfälle, Verletzungen oder Folgeschäden, die mit der Durchführung der Übungen in Zusammenhang stehen könnten. Das Training erfolgt auf eigene Gefahr.