von Michael Sänger
Gründer und Herausgeber des Wandermagazins
Am Ende der 2010er Jahre hatte das Wandern ein komplett neues Image. Es entwickelte sich zur farbenfrohen Freizeitaktivität, was Ausrüstung und Outfit angeht. Erste Bemühungen zum Einsatz nachhaltiger Materialien werden erkennbar. Das Einstiegsalter der Wanderklientel sank rapide und es wurde weiblicher. Allerdings sank auch die durchschnittliche Länge der absolvierten Wanderungen. Man wanderte zunehmend mit hohen Ansprüchen an Wegstrecke und ein Erlebnisversprechen bei wachsendem Genussverlangen.
Den Wegen wurden kreative Namen, ein regional angepasstes Freizeitmobiliar und ein spezifisches Zielgruppenprofil verpasst. Unaufhaltsam wuchs die Prädikatisierung runderneuerter Wegeklassiker und immer neuer Tages- und Mehrtagestouren, wobei sich der Deutsche Wanderverband mit seinem Wege-TÜV „Qualitätsweg Wanderbares Deutschland“ und das Deutsche Wanderinstitut mit den Premiumzertifikaten im friedlichen Wettstreit um die Aufwertung immer neuer Wanderregionen in Hochform zeigten. Die für kurze und längere Standort-Wanderurlaube geeignete Entwicklung von Wege-Netzwerken, die Vernetzung von Wertschöpfungsstrukturen und Wegenetzen in Form von zertifizierten Qualitäts- oder Premium-Wanderregionen nahm Fahrt auf. Es bildeten sich neue Angebotsstrukturen des Wanderns und letztlich erreichte die enorme ökonomische Bedeutung für den nationalen Tourismus auch die Marketingorganisationen der Bundesländer, von den Stadtstaaten einmal abgesehen.
Erkenntnisgewinn auf verschiedenen Wegen
Wandern wurde Forschungsgegenstand und brachte valide Erkenntnisse über die Bedürfnisse der Wandernden einerseits und zu den wirtschaftlichen Effekten des Wanderns andererseits hervor. 2010 erschien eine repräsentative bundesweite Studie, finanziert aus Mitteln des Bundeswirtschaftsministeriums unter Federführung von Prof. Dr. Heinz-Dieter Quack, die die enormen ökonomischen Effekte des Wandertourismus hervorhob. Das Deutsche Nationalmuseum in Nürnberg widmete dem Wandern Ende 2018 unter dem Namen Wanderland.
Eine Reise durch die Geschichte des Wanderns eine vielbeachtete eigene Ausstellung, in der die historische Entwicklung der alten und neuen Kunst des Wanderns auf eindrucksvolle Weise gezeigt wurde. Gleichzeitig widmete sich in Berlin die Alte Nationalgalerie die Gemäldeausstellung Wanderlust dem Wandern in der Malerei mit Caspar David Friedrichs Gemäldeikone „Wanderer über dem Nebelmeer“. Publizist Ulrich Grober initiierte 2017 während des 117. Dt. Wandertages in Eisenach die kleine, aber feine Wanderausstellung „Wanderlust oder Die Sehnsucht nach dem Paradies“ und verband sie mit einem hochkarätig besetzten zweitägigen Kolloquium gleichen Namens.
Das Schisma des Wanderns
Kurzzeitig erlangten in diesem Jahrzehnt gleich drei Persönlichkeiten die Gunst des Wanderpublikums. Während Dr. Rainer Brämer mit seinen Profilstudien Wandern gut zehn Jahre lang neue Facetten der praktizierten Wanderlust zutage förderte, eroberte Manuel Andrack als Seiteneinsteiger und omnipräsenter Wanderpromi die Herzen der Wandertouristiker und -touristikerinnen und der Wandernden. Quack hingegen profilierte sich mit feinsinniger Rhetorik als neuer Wanderforscher und übernahm Brämers Nachfolge als unermüdlicher Motor des Erkenntnisgewinns. Dabei frönte er selbst mit großer Begeisterung dem Wanderhobby.
Das hingegen musste Manuel Andrack erst nachholen. Mit spektakulären Wanderabenteuern wie der Besteigung der Watzmann- Ostwand, humorvoll geschriebenen Wanderbüchern, einem satirischen Wanderkabarett, seinen Kolumnen und genussgeneigten Reportagen im Wandermagazin festigte er seinen Nimbus als „Wandermeister“. Mit Heinz-Dieter Quack, der, wie auch ich, in der Kindheit durch die Eltern wandersozialisiert wurde, und Manuel Andrack traten zwei interessante Persönlichkeiten in mein Leben. Wenngleich sie charakterlich kaum unterschiedlicher sein könnten, so sind ihr Einfluss in der Wanderszene, ihre Beziehung zu mir und die gemeinschaftlichen Projekte aus meiner Sicht herausragend. Der eine als wissenschaftlicher Kopf, leidenschaftlicher Brainwalker, Laudator, Moderator, Workshopleiter und Vortragender. Der andere als Kolumnist und Genusswander-Rechercheur für das Wandermagazin, Wanderpromi und Moderator bei den jährlichen Preisverleihungen für die Siegerwege unseres Wettbewerbs „Deutschlands Schönster Wanderweg“. Mit beiden bin ich bis heute in Freundschaft verbunden.
Und wie erging es dem Wandermagazin?
Wir schwammen auf der Erfolgswelle eines wachsenden Wandermarktes. Wir begleiteten die zahlreichen Eröffnungen neuer Wege, darunter Albsteig, Moselsteig, Pfälzer Weinsteig, Heidschnuckenweg, Natursteig Sieg oder die Wandertrilogie Allgäu. Wir begleiteten die Inhaber und Inhaberinnen führender Outdoor- und Sportartikelhersteller beim Wandern. Dabei übernahm Manuel Andrack den Part des Interviewers. Ich lieferte die fotografische Begleitung. Unvergessen die Interview-Wanderung mit Antje von Dewitz (VauDe), Lukas Meindl (Meindl Shoes) oder Peter Schöffel (Schöffel). Es folgte ein neues Konzept, bei dem wir Persönlichkeiten der unterschiedlichsten kulturellen Bereiche zum Gespräch bei Wandern einluden. Mit der wörtlich gemeinten Fragestellung „Wie geht‘s?“ erprobten wir das Konzept mit Stefan Zindler, Geschäftsführer der Rheinland-Pfalz Tourismus GmbH oder Andreas Braun, damals Geschäftsführer der Baden-Württemberg Tourismus Marketing GmbH. Das Wandermagazin entwickelte neue Reportageformate wie das Regiopanorama, bei dem wir Profis der Wander- und Naturfotografie wie Klaus-Peter Kappest oder Dominik Ketz in die verschiedensten Regionen entsandten, um landschaftliche oder kulturelle Höhepunkte auf unverwechselbare Weise abzulichten.
Mit den Serien „Deutschland zu Fuß entdecken“ oder „Hoyer macht Strecke“ trugen wir einerseits dem wachsenden Interesse an bislang unentdeckten Wanderperlen Rechnung, andererseits dem an vielen nahezu unbekannten Weitwanderwegen wie dem Elisabethpfad, dem Weg des Westfälischen Friedens oder dem Fördesteig durch die Schleiregion in Schleswig-Holstein. Das Wandermagazin beschäftigte sich auch mit spirituellen Fragen und ergründete die verschiedensten Spielweisen der Outdooraktivitäten. Mit Ulrike Poller und Wolfgang Todt, zwei begeisterten Wanderscouts, starteten wir die Serie der Praxistests. Jeweils drei Monate lang nahmen und nehmen die beiden nützliche Tools beim Wandern, wie Schuhwerk, Bekleidung, Wanderstöcke, Handschuhe und vieles mehr beim Wandern unter die Lupe und testen alles auf Herz und Nieren beim konkreten Einsatz. Vom Gebrauch bis zur Pflege schauen sie sich Nützlichkeit, Haltbarkeit und Verhalten genau an. Mit Ralf Stefan Beppler lieferten wir in der Serie „Leben im Gleichgewicht heftigen Zündstoff zum Thema Ewigkeits-Chemikalien in der Outdoorbekleidung, zu den Sozialstandards bei der Produktion und dem ewig aktuellen Thema „Greenwashing“.
Weiterentwicklungen
Mit dem Magazin „OutdoorWelten“ kreierten wir, gemeinsam mit Lutz Bormann und Ulrich Pramann vom Magazin „Wanderbares Deutschland“, einen neuen „Guide für aktive Naturgenießer“. Das Magazin sollte die Aktivitätsmöglichkeiten in den Regionen weiter fassen als das Wandermagazin und sich eine Nuance sportlicher beim Einsatz in der Natur geben. Mit Ulrich Pramann hatten wir zuvor die Verschmelzung seines Magazins „Nature-Fitness“ mit dem Wandermagazin realisiert. Das Wandermagazin trieb die Idee des Wanderdorfes auf den klassischen Reisemessen in Deutschland voran. Wir brachten auf diese Weise wandertouristische Regionen aus Deutschland und Europa nach Hamburg und nach Karlsruhe. Gespräche mit Messegesellschaften in Essen, Nürnberg, München und Stuttgart mit dem gleichen Ziel wurden geführt.
Für mich herausragender Höhepunkt war freilich die bereits in den Nullerjahren gestartete Weiterentwicklung und Durchführung der öffentlichkeitswirksamen fünfwöchigen Wander- Kampagne „5 Wochen – 5 Trails“. Kern der Idee war es, eine fünfköpfige Wandergruppe fünf Wochen lang auf fünf verschiedenen Streckenwegen zu begleiten. In der Reinform gelang uns die Umsetzung immerhin einmal mit Westweg, Rothaarsteig, Saar-Hunsrück- Steig, dem damals neuen Eifelsteig und dem Rheinsteig. Dreimal wiederholten wir das leicht modifizierte Konzept dann durch Hessen. Zum Knackpunkt entwickelte sich allerdings der Umstand, dass die gruppendynamischen Konflikte der auf- wändig gecasteten Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den fünf Wochen immer mehr in den Vordergrund gerieten und der eigentliche Zweck, eine entdeckerfreudige und genussvolle Eroberung bislang unbekannter Landschaften, mehr und mehr in den Hintergrund traten. Schade, aber allzu menschlich... Bei diesen Gelegenheiten lernte ich u. a. den umtriebigen Peter Klein kennen, seines Zeichens Chef der Kreistouristik im saarländischen Landkreis Merzig-Wadern, und bin ihm bis heute freundschaftlich verbunden.
Mein Werdegang
Im Februar 2016 ging ich ein erstes Mal in Rente. Andrea Engel übernahm Ende 2015 die Bürden und Freuden der Chefredaktion von mir. Ich übernahm als Freiberufler die Betreuung der Regiopanoramen für das Wandermagazin. Es war die Chance, mich mit Muße und Intensität der Wanderrecherchen vor Ort zu widmen. Ich übernahm ein Beratungsmandat der Messe Düsseldorf für die Wandermesse TourNatur und hatte das Vergnügen, im Auftrag der Allgäu-Touristik die knapp 1.300 km der neuen Wandertrilogie Allgäu mit all ihren Sonderschleifen, Verbindungswegen und den drei großen Runden (Wiesengänger-Route, Wasserläufer- Route und Himmelsstürmer-Route) zu erwandern und daraus im KOMPASS-Verlag einen dicken Wanderführer zu veröffentlichen.
Daneben entwickelte ich „Storytellings“ für verschiedene Traumschleifen rund um Losheim am See und ein Storytelling- Konzept für die Rhön-Touristik zum Leitweg „Hochrhöner“. Schon einen Monat nach meinem Ausscheiden aus dem Verlag erkrankte der geschäftsführende Gesellschafter. Mit neuer Gesellschafterstruktur und Ralph Wuttke als neuem Geschäftsführer übernahm ich Ende 2017 wieder das Amt des Chefredakteurs. Die Suche nach einem geeigneten Nachfolger, einem anerkannten Wanderexperten und profilierten Gesicht in der Branche, währte knapp zwei Jahre. Ich konnte meinen langjährigen Freund Thorsten Hoyer, Autor zahlreicher Wanderführer, Extremwanderer mit großer Bekanntheit und leidenschaftlichem „Lautsprecher“ gewinnen, der nun seit Anfang 2019 mit großer Begeisterung die Chefredaktion des Wandermagazins innehat.
Fazit: Wandern war in den 2010er Jahren einfach „in“. Herrlich!