von Michael Sänger
Gründer und Herausgeber des Wandermagazins 

Touristisches Reisen? Unmöglich! Hotels und Gaststätten geschlossen. Wirtschaftliche Existenzen vernichtet. Das war auch für das Wandermagazin der Super-Gau. War es das? So fragten wir uns in heller Aufregung. Erstmals seit der Gründung 1984 ordneten wir Kurzarbeit an. Hygienevorschriften wurden für drinnen und draußen konzipiert. Die Maske wurde zum prägenden Stilelement menschlichen wir betrieblichen Miteinanders. Frische Luft, Sich-in-der-Natur-bewegen entwickelte sich zur gesellschaftlichen Antwort auf kollektive Freiheitseinschränkungen. Doch die für den Tourismus so wichtige Wertschöpfung konnte so nicht gelingen. Die Sorgenfalten im Wandermagazin wurden tiefer und tiefer. Mit der Herstellung eines rein digitalen Magazins gelang uns ein erster Befreiungsschlag. Irgendwie, wie genau, kann ich nicht mehr mit Gewissheit darstellen, auf jeden Fall aber mit dem Mut der Verzweiflung, dem bewundernswerten Einsatz der Mitarbeiter:innen und der Treue unserer Abonnent:innen, schafften wir es. Wir konnten die Erlöse allmählich wieder steigern.

Am 24. Februar 2022 überfielen russische Truppen die Ukraine. Der Welt stockte der Atem. Es war der Beginn der viel zitierten „Zeitenwende“. Sie mischte den Energiemarkt auf und erzeugte durch Energieversorgungsängste und -engpässe für teils astronomische Gas- und Strompreise. Hunderttausende ukrainische Familien flüchteten, auch nach Deutschland. Eine Gesellschaft in höchster Erregung. Dass Terroristen dann am 7. Oktober 2023 aus dem Gazastreifen nach Israel eindrangen und mordeten, machte die Welt nicht lebenswerter. Nur ein Jahr später scheint der Nahe Osten einem Pulverfass kurz vor der Explosion zu gleichen. Zehntausende, größtenteils unbeteiligte und wehrlose Menschen, verloren ihr Leben. Was ist nur los mit dieser Welt?

Und das Wandern in unruhigen Zeiten?

Der Staffelstab wird zwischen den E1-Wandernden weitergereicht
© Wandermagazin

Corona provozierte tatsächlich einen wahren Wanderboom. Deutschland, das Land der Waldenthusiasten, präsentierte sich als einig Wanderland. Mit den zunehmenden Lockerungen beim Reisen entwickelte sich der Inlandstourismus wieder und die traditionell beliebten Reiseziele innerhalb Europas zum absoluten Hit. Radeln entwickelte sich zur echten Nummer 2 hinter dem Wandern. Es wurde und wird geradelt, was das Zeug hält. Während der Coronoa-Krise zeitigten die Fahrradhersteller Umsatzrekorde. Die aufziehende Wirtschaftsflaute, als Folge einer phasenweise zweistelligen Inflationsrate, verhagelte der Radindustrie freilich zuletzt die Bilanzen. Die zunehmende Kauf- und Konsumzurückhaltung machte und macht sich auch beim Kauf von Zeitschriften bemerkbar. Unsere Verkäufe im Handel brachen 2023 förmlich ein. Erst seit dem Frühjahr 2024 verspüren wir wieder eine gewisse Belebung. Fern- oder Weitwanderungen erfreuen sich in dieser Dekade einer wachsenden Beliebtheit. Immer weiterwandern, jedenfalls eine gewisse Zeit, so mein Eindruck, ist wie eine alles umfassende Therapie. Ein Zwiegespräch mit dem eigenen Ego. Ich plädiere leidenschaftlich für diese Königsdisziplin des Wanderns. Nicht wissen, was mich erwartet, wie mein Zwischenziel aussieht, wem ich unterwegs begegnen werde. Weiterwandern adelt.

Was sich im Wandermagazin tat?

Sehr bestürzt hat uns der viel zu frühe Tod meines Freundes und OutdoorWelten-Chefredakteurs Lutz Bormann am 15. Dezember 2021. Er fehlt mir! Sehr berührt hat mich auch das Reifen und Wachsen meines Verlagsteams. Was für ein Klima der gegenseitigen Zuneigung, des Miteinanders im Ringen um die tägliche Bewältigung der zugegebenermaßen heftigen Wellenbewegungen in unserer Branche. Die Transformation klopft vernehmlich an die Türe. Die Angebotsvielfalt für das wandernde Publikum einerseits und der Instrumentenreichtum für die werbende Touristik verändern sich fortlaufend. Aus welchen Medien und Plattformen bedienen sich die Wandernden von morgen? Welcher Strategien bedienen sich Tourismusakteurinnen und -akteure demnächst? Werden Magazine wie unsere bald nur noch auf Laptops, Smartphones und Tablets konsumiert? Übt das haptische Lesevergnügen schon bald keinen Reiz mehr aus? Werden Algorithmen der mächtigen Techfirmen und -plattformen künftig darüber entscheiden, wohin geneigte Wanderfreundinnen und -freunde gelenkt werden? Wir wissen es nicht. Noch nicht. Ich persönlich habe den Glauben an das gute alte gedruckte Magazin, bildgewaltig, inspirierend mit authentischen Reportagen und handverlesenen Tourentipps, noch nicht aufgegeben. Was mein Team in den letzten Jahren in Sachen Webcontent, SocialMedia und vor allen Dingen bei der Entwicklung unserer Newsletter auf die Beine gestellt hat, ist aller Ehren wert.

Das Wandermagazin-Team 2024 beim neuen Event „OutdoorWelt“ in Köln
© Michael Sänger

Unsere Mediaberatung lernte und lernt die Beherrschung einer epochalen Veränderung der touristischen Branche. Vom taktischen Verkaufsgespräch zur strategischen Beratung – und das bei einer fortlaufend schrumpfenden Zahl der touristischen Player. Mit dem zweitägigen Event „Outdoor- Welt“ in Köln im August 2024 hat unser Team in Kooperation mit dem von Tambiente ein erfolgreiches Eventformat entwickelt. Mit dem österreichischen Partner TAO setzten wir die Kampagne „12 Wege – 1 Europa“ in Szene. Nach dem furiosen Startschuss am 22. Mai 2022 in Detmold nahm ein fünfköpfiges Team unseres Verlags 1.900 km Strecke auf dem Europäischen Fernwanderweg 1 (E1) aus Anlass seines 50. Geburtstages vom dänischen Padborg quer durch Deutschland bis Konstanz unter die Füße. Die täglichen Eindrücke wurden digital und analog jedem interessierten Fan der zwölf E-Wege zugänglich gemacht. Stark entwickelt hat sich der Wettbewerb „Deutschlands Schönster Wanderweg“ mit den beiden Kategorien Mehrtagestouren und Touren. Nicht nur die Belebung der fünfköpfigen Jury mit neuen Wanderexpertinnen und -experten, sondern die Ausrichtung der Siegerehrungen in der Region des jeweiligen Gewinnerweges haben die Attraktivität und die mediale Bekanntheit des Wettbewerbs gesteigert. Regelmäßig beteiligen sich inzwischen rund 40.000 Wanderfreundinnen und -freunde an der Wahl.

Mein Wanderweg

Team-Wandertag im Juni 2024 im Siebengebirge © Ricarda Große

Glückwunsch, rufe ich mir zu. Nach 40 Jahren gibt es mein Magazin immer noch. Eher unaufgeregt, still und leise, aber voller Stolz feiern wir 2024 das 40-jährige Jubiläum des Wandermagazins. Ein langer Wanderweg, fürwahr. 2020 übernahm ich die Herausgeberschaft für die beiden periodischen Magazine Wandermagazin und OutdoorWelten. 2022 war ich für elf von insgesamt 78 Etappen Mitglied des Wanderteams auf der großen E1-Wanderung. Ich hatte die Ehre, in Konstanz vor der Bronzetafel zum Gedenken der Eröffnung des E1 am 02. Juli 1972 den symbolischen Staffelstab unserer Nord-Südquerung abzulegen. In Vorbereitung meines finalen Ausstiegs aus der aktiven Mitarbeit gründete ich Ende 2023 einen sechsköpfigen Führungszirkel aus dem Verlagsteam und führe ihn aktuell zu unternehmerischem Denken und Handeln. Der Führungszirkel unterstützt die Verlagsleitung und mittelbar auch die Geschäftsführung bei der Sicherung der Arbeitsplätze durch die fortlaufenden Anpassungen an die Bedürfnisse des Marktes mit dem Ziel, ein erfolgreiches Verlagsunternehmen zu betreiben.

Stolz bin ich auf die Konzeption eines vierten Redaktionsspecials, das im Herbst 2025 erstmals erscheinen wird. Digitale Reichweitensteigerung, wachsende Verkaufserlöse mit der gedruckten Auflage, sprudelnde Anzeigenerlöse und eine mindestens kontinuierliche Steigerung der Abonnementzahlen sowie die Stärkung der Marke Wandermagazin sind unsere Ziele. Wie meine Nachfolge als aktueller Verlagsleiter und Herausgeber konkret aussehen kann, soll sich im Verlaufe des Jahres 2025 zeigen. Eines erscheint mir, frei nach David le Breton, sicher: Das Wandern bleibt ein Universum der geteilten Überraschungen und Geheimnisse, es erregt Verwunderung über das Dasein und lässt den Menschen einen Fetzen der Zerbrechlichkeit der Zeit erhaschen. Es stimmt, Wandern entfernt dich vom täglichen Chaos des Seins und führt dich zum Wesenskern unseres Aufenthaltes auf dieser Erde.

Darum: Entdecke Deine Natur!

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