Die ersten zehn Jahre des neuen Jahrtausends brachten der Outdoorbranche die ersten Dellen im bis dahin stetigen Aufwärtstrend. Zum „Jammern auf hohem Niveau“ gesellten sich zum Glück zwei Megatrends, die bis heute wirken. Und: Die Branche entdeckte Ethos.
von Ralf Stefan Beppler
Natürlich konnte es im neuen Jahrtausend nicht mit den Wachstumszahlen der 90er Jahre weitergehen. Die Outdoorbranche hatte ein hohes Niveau erreicht und – wichtiger als die reinen Verkaufszahlen – Outdoor war dabei, gesellschaftlich akzeptiert zu werden. Es waren nicht mehr nur die bärtigen, verwegenen Kerle, die raus gingen, sondern Hinz & Kunz, Du und ich, Frauen und Männer aller Altersklassen. Outdoor wurde gar zum Hype. Gartencenter und Baumärkte warben für Holzspalter und Kettensägen mit dem Verweis, dass es sich um Ausrüstung für Outdooraktivitäten handelte. Die Zeit der Trittbrettfahrer begann. Outdoorfunktion gab es überall – bei Aldi, Lidl & Co., bei H&M und C&A – ohne dass den Verantwortlichen die Schamröte ins Gesicht stieg.
Outdoor für den Alltag
Und man muss sagen, dass die Branche selbst, zumindest teilweise, für diese Entwicklung mitverantwortlich war. Die Firmenchefs träumten von den Umsätzen der 90er Jahre und die waren nur mit Outdoorausrüstung möglich, die alltagstauglich war: „Urban Outdoor“ sollte zum Heilsbringer werden. Einerseits logisch, denn warum sollte man beim Pendeln mit dem Rad oder beim Picknick im Park auf Funktionen wie Wasserdichte und Atmungsaktivität, UV-Schutz, Insektenschutz oder Feuchtigkeitsmanagement verzichten? Andererseits gefährlich, weil „Funktion“ bisher nur ein Charakteristikum von Outdoorbekleidung war. Als Fast Fashion-Marken damit anfingen, wuchs die Sorge, dass der Nimbus der Outdoor-Marken und -Fachhändler schwinden könnte. Dabei war noch nicht mal klar, wie „Urban Outdoor“ umgesetzt würde. Es konnte hochwertig, edel und teuer sein, wie etwa bei Alchemy Equipment, oder, wenn es für die Masse gedacht war, auch „abgespeckt“: weniger technisch (z. B. einfachere Schnitte oder Basic statt High Loft Fleece), weniger hochwertig (z. B. 2,5- statt 3-Lagen Jacken) und weniger auffällig (gedeckte statt auffallende Farben). Urban Outdoor wurde im wahrsten Sinne des Wortes grau, beige, dunkelblau – und natürlich schwarz.
Neue Trends im neuen Jahrhundert
Zwei Megatrends bestimmten die Nullerjahre. Die Anfänge finden sich zwar schon früher, aber durchgesetzt haben sich die Trends erst im neuen Jahrtausend: der Funktionstrend Softshell und der Materialtrend Merinowolle. Ende der 90er Jahre konnten selbst eingefleischte Outdoorer:innen nichts mit dem Begriff Softshell anfangen. Warum sollten Jacken auf einmal Softshell heißen? Softshells waren eine neue Generation von Jacken, die zwar Schutz boten, aber nicht absolut wasserdicht waren – und wasserdichte Jacken heißen in Amerika Hardshells.
Das Besondere an den Neuen: Sie sollten Atmungsaktivität auf eine neue Stufe hieven. Das war aufwendig und teuer und konnte nicht jeder. Die heutigen Softshells haben meist eine winddichte Membran. Das ist einfach und günstig (Urban Outdoor). Was neu war: Softshell Materialien sind weich und elastisch und nicht hart und brettig wie die von Hardshells. Das hat zumindest die Designer dazu gebracht, den Jacken eine engere, formschönere Silhouette zu geben. Softshells wurden so schnell zu Lieblingen der Kundinnen.
Wolle gilt heute als das Funktionsmaterial schlechthin. Das war mal anders. Früher war Wolle kratzig und gar nicht funktionell. Dann kamen Smartwool und Icebreaker mit einer neuen, extrem feinen, hochwertigen und vor allem kratzfreien Wolle: Merinowolle. Seitdem hat Merinowolle die synthetischen Funktionswäschematerialien im Outdoorbereich an den Rand gedrängt. Und nicht nur das. Merinowolle als Wollfleece oder Strickware hat sich auch in der 2. Lage breit gemacht – als Walkwolle oder Loden sogar auch in der 3. Lage.
Verantwortlich und ethisch handeln
Zu Beginn der Nullerjahre demonstrierten Tierschutzorganisationen vor Messehallen und kreideten Lebendrupf, Stopfleber oder „Mulesing“ als Schande an. Zu Recht! Im Sport- und Fashionbereich standen die großen Marken am Pranger – wegen Sweat-Shops, also der Ausbeutung von Näherinnen, Kinderarbeit oder anderen schlimmen Arbeitsbedingungen. Da die Outdoorprodukte mittlerweile zu fast 100 % in Asien oder Lateinamerika hergestellt wurden, stand Outdoor auch bald im Fokus. Da war es unerheblich, dass Produzenten-Hopping – also die Suche nach immer billigeren Produktionsmethoden und -orten – gar nicht zu Outdoor passte. Firmen wie Vaude, Schöffel, Deuter, Tatonka, Jack Wolfskin oder MaierSports arbeiteten seit 20, manchmal 30 Jahren mit den gleichen Firmen, die sie als Partner ansahen. Weniger der schlechte Ruf als vielmehr das echte Verständnis, Ausbeutung nicht zu wollen, brachte viele Outdoormarken dazu, sich um faire Sozialstandards zu kümmern. Am Ende der Dekade waren die wichtigsten europäischen Outdoormarken Mitglied der Fair Wear Foundation, einer Multistakeholder Initiative, die die strengsten Sozialstandards propagierte, auditierte und umzusetzen half.
Und es ging weiter: Outdoor lebt von Aktivitäten in der schönsten Natur. Die zu erhalten war also eine Überlebensnotwendigkeit. Zurückgeben („Giving Back“) war also ein Anliegen. Dazu gründete die Branche eine eigene Umweltorganisation, die European Outdoor Conservation Association (EOCA), deren einzige Aufgabe es war und ist, Geld aufzutreiben, um damit Graswurzel-Gruppen, NGOs (Nicht-Regierungsorganisationen) und andere Initiativen zu fördern, die sich um Artenerhalt, Natur- und Umweltschutz, Umweltbildung oder Aufforstungsprojekte kümmerten. Übrigens ist der Autor dieses Artikels der einzige Journalist, der zahlendes Mitglied der EOCA und damit gleichzeitig die kleinste Mitgliedsfirma ist. Am Ende der Dekade war Outdoor in der Mitte der Gesellschaft angekommen, aber doch irgendwie anders: Faire Arbeitsbedingungen, Tierwohl und Umweltschutz waren wichtig.
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