Das Wandermagazin avancierte binnen zehn Jahren vom Nischenmagazin zum Platzhirsch der Wanderszene. Mehr noch, bei allen spektakulären Neuentwicklungen und bei allen Versuchen zur Steigerung des Grundrauschens „Wandern“ war das Wandermagazin vorne mit dabei. Doch lest selbst.
von Michael Sänger
Gründer und Herausgeber des Wandermagazins
Was ich erinnere ...
Die 2000er, im Volksmund die Nullerjahre, haben das Wandern und damit das Wandermagazin förmlich wachgeküsst. Trotz 9/11, dem anschließenden Einmarsch ausländischer Truppen unter Führung der USA in Afghanistan und dem Einmarsch der USA in den Irak 2003 – die 2000er waren ein Aufbruch-Jahrzehnt. Weltweit globalisierten sich die Wirtschaftsströme, Barak Obama obsiegte 2008 im Kampf um die amerikanische Präsidentschaft mit dem Slogan „Yes we can!“. Der Euro wurde zum 1.1.2002 eingeführt, acht osteuropäische Staaten und die Inselrepubliken Malta und Zypern traten am 1.5.2004 der Europäischen Union bei und drei Jahre in Folge schauten unsere Kinder mit ihren Partner:innen und mit den Eltern gemeinsam die drei Folgen der Filmtrilogie „Herr der Ringe“ an. Unvergessen ist das alles. Wie die Einführung von „Wikipedia“ 2001. Technisch begeisterten uns Klapphandys und MP3-Player. Das Brennen eigener CDs wurde en vogue. Und noch ein Detail: im November 2005 wählte Deutschland Angela Merkel zur ersten Bundeskanzlerin.
Der Wanderboom
Wie ein Flächenbrand sollte sich die „Erfindung“ der Qualitätskriterien für Wanderwege über Deutschland und das europäische Ausland ausbreiten. Nahezu drei Jahre lang trafen sich im sauerländischen Schmallenberg Psychologen, Dr. Rainer Brämer als wissenschaftlicher Mentor und Motor, Förster:innen, Touristiker:innen und Veranwortliche aus Politik unter Leitung von Thomas Weber, seinerzeit Touristikchef im Schmallenberger Sauerland, und entwickelten den deutschlandweit ersten inszenierten und erlebnisoptimierten Weitwanderweg – den Rothaarsteig. Mit dabei auch das Wandermagazin. Am 6.5.2001 wurde der erste Prädikatswanderweg als 154 km langer Streckenwanderweg eröffnet. Ihm folgten viele weitere „tüv-geprüfte“ Streckenwanderwege wie Rheinsteig und Frankenweg (2004), Hochrhöner (2006), Saar-Hunsrück-Steig (2007), WesterwaldSteig (2008) oder der Eifelsteig (2009). Zu den ersten Wandernden für die komplette Begehung gehörte, natürlich, das Wandermagazin.
Erdacht und gemacht
Das Wandermagazin übernahm bei mehreren Wanderinnovationen die Rolle des Machers. 2003 öffnete die TourNatur in Düsseldorf erstmals ihre Pforten. Aus den erfolgreichen Auftritten des Wandermagazins während der Messe Outdoor in Friedrichshafen 2001 und 2002 entstand in Kooperation mit der Messe Düsseldorf die erste lupenreine Wandermesse für das Publikum. Das erste Wanderfestival, draußen und umsonst, realisierte das Wandermagazin 2005 mit dem aufstrebenden Wanderland Saarland im idyllischen Losheim am See. Es folgten 2006, 2007, 2008 und 2009 vier weitere WanderFestivals.
Das Wandermagazin initiierte 2003 bis 2004 im Rahmen des Initiativkreises Wandern die Gründung eines „Marketingclubs“ zur Vermarktung und Bewerbung prädikatisierter Weitwanderwege (länger als 100 km), aus dem in der Folge die „Top Trails of Germany“ entstanden. Das Gründungsprotokoll vom 15.11.2004 unterzeichneten Harzer-Hexen-Stieg, Westweg, Almühltal- Panoramaweg, Rothaarsteig, Rheinsteig, Eifelsteig und Frankenweg. Sprecher war meine Wenigkeit. Auch der Königswinterer Kreis, als Thinktank Wandern mit Beteiligung der verschiedensten „Wanderexperten“ gedacht und umgesetzt, erfolgte durch das Wandermagazin. Im Juli 2024 traf sich der Kreis wieder zu seiner jährlichen Strategietagung in Bonn.
Der Wettstreit der Siegel
Auch beim Wettstreit der Wege-TÜVs für Wanderwege engagierte sich das Wandermagazin nachhaltig. Warum muss es eigentlich zwei konkurrierende Wegezertifikate und damit auch Prädikatssiegel geben, so die Überlegung? Hier das Prädikat „Qualitätsweg Wanderbares Deutschland“ des Deutschen Wanderverbandes und dort das Prädikat „Premiumweg“ des Deutschen Wanderinstituts? Nach vielen Gesprächen, nach Bemühungen des Königswinterer Kreises, einigten sich Deutscher Wanderverband und Deutsches Wanderinstitut am 3.3.2005 in einer „Vereinbarung zur Vergabe von Gütesiegeln für Wanderwege in Deutschland“ auf ein faires „Miteinander“ mit verbindlichen Aussagen zur Sprachregelung (hier Premiumwege und dort Qualitätswege – überbegrifflich Prädikatswege) und zur Fortführung der bereits eingeführten Marken.
5 Wochen – 5 Trails
Damit waren der Erfindungsreichtum und die Inspiration des Wandermagazins zum Wohle der Wanderbranche mit dem Ziel einer Transformation des tradierten Wanderimages längst noch nicht versiegt. Mit der Wander-Kampagne „5 Wochen – 5 Trails“ entwickelte das Wandermagazin ein neues, bewegendes „Draußenformat“. Fünf gecastete Wanderer und Wanderinnen mit Ambition schickten wir in Kooperation mit touristischen Partnern in fünf Wochen auf fünf verschiedene Prädikatswanderwege. 2007 startete die erste Kampagne auf dem rheinland-pfälzischen Saar-Hunsrück-Steig, setzte sich auf Rothaarsteig, Westweg und zwei weiteren Prädikatswanderwegen fort.
Insgesamt dreimal wiederholten wir die enorm aufwendige Kampagne in der Folge. Damit inspirierten wir andere wandertouristische Regionen zu interessanten Eventformaten, darunter auch das Format „4 Tage 4 Gipfel“ im Ahrtal. Das 1. Ahrtaler Gipfelfest fand 2006 statt und geht auch 2024 wieder an den Start. Angestoßen durch den sich rasant entwickelnden Wanderboom gab es auch neue Hotelkooperationen, so etwa die Tiroler Wanderhotels oder im heimischen Sauerland die „Sauerländer Wandergasthöfe“. Der Deutsche Wanderverband erweiterte seine Siegel dann auch konsequenterweise um eines für wanderaffine Gastgeber- und Einkehrbetriebe, die eigentlichen Wertschöpfungsquellen des Wandertourismus.
Die Menschen
Für mich entwickelten sich die 2000er auch zu einer Vielzahl wertvoller menschlichen Begegnungen, von denen viele bis heute noch mit viel Emotion und geistigem Austausch gelebt werden. Dazu gehört an erster Stelle mein Wanderfreund und Inspirator Dr. Konrad Lechner. Keine andere Verbindung aus, um, über und mit dem Wandern ist so tief wie die Freundschaft mit Konni. Ein Wissender, ein Wanderer vor dem Herrn und ein Menschenfänger. Jeder Wanderkilometer in Gemeinschaft mit diesem wandelnden Lexikon der Natur ist ein Erlebnis. Mit Achim Laub und Peter Klein, der eine Mentor und Motor des saarländischen Wanderbooms, der andere Förderer und Genussexperte als Chef der Touristik im saarländischen Landkreis Merzig-Wadern, verbindet mich bis heute eine wander- und wunderbare Freundschaft. Birgit Grauvogel und Stefan Zindler, beide in führenden Positionen in Landesmarketingorganisationen (Birgit als Geschäftsführerin der Tourismuszentrale Saarland und Stefan Zindler heute als Geschäftsführer der Rheinland-Pfalz Tourismus GmbH), die sich bei der Entwicklung des Wanderbooms enorme Verdienste erworben haben, haben mich u. a. bei gemeinsamen „Brainwalks“ ungemein inspiriert.
Ulrike Poller und Wolfgang Todt haben mir und dem Wandermagazin in den Nullerjahren mit Ideen und vor allen Dingen mit Wandertaten geholfen. Nicht vergessen möchte ich Sabine Malecha, Joachim Lutz, Marita Janssen oder Reiner Penther, die zu den von mir ausgebildeten Scouts der ersten Stunde gehörten. In diesen Jahren lernte ich auch Manuel Andrack kennen. Vom Sidekick des nationalen Muntermachers Harald Schmidt reifte er zum Wanderautor, Wanderpapst und Wandermeister. Vieles verband und verbindet uns bis heute mit ihm. Erst als Kolumnist, Wanderpromi, dann als Juror und Interviewer. Unsere Wege kreuzen sich bis heute.
Das Wandermagazin
In den sogenannten Nullerjahren erlebte auch das Wandermagazin einen fulminanten Aufschwung. Wir nahmen die Volontariatsausbildung für mehrere Generationen von Wanderredakteur:innen auf, die draußen als Text- und Fotoredakteur: innen unterwegs sind. Andreas Vierkötter, Beate Wand, Natalie Glatter oder Patrick Stark gehörten zu den Wandereleven, die teils bis heute als freiberufliche Journalist:innen mit dem Schwerpunkt Wandern unterwegs sind. Mit der Einstellung von Andrea Engel starteten wir den Aufbau einer eigenen Onlineredaktion. Wir kauften das jährlich erscheinende Magazin „Wandern & Radwandern“, das sich später als „Ideenlexikon“ und „20 dB“ in stets neuer Aufmachung zeigen sollte. Mit Konrad Lechner recherchierte ich große Sonderpublikationen zu Finnland, Zypern, Fichtelgebirge, Berchtesgadener Land oder zu neuen TopTrails wie Hermannshöhen, Hochrhöner oder Frankenweg. Kaum eine deutsche Wanderregion, die sich mit neuen Prädkatswanderwegen dem gewandelten Wanderpublikum vorstellen wollte, versäumte es, uns mit umfangreichen Wanderrecherchen zur Herstellung von Sonderheften zu beauftragen. Mit WM-Live entwickelte das Wandermagazin eine blätterbare E-Paper-Grundlage und schuf mit dem amerikanischen Tech-Konzern Adobe erstmals eine digitale Wanderproduktion, für die sogar audiovisuelle Medien integriert wurden.
Licht und Schatten
Es war auch die Zeit der PocketGuides. Mit der Erfindung handlicher und detaillierter Wanderwegeführer im Miniformat eroberte sich das Wandermagazin vorübergehend einen Platz in der Beliebtheit gedruckter Handreichungen. Vorübergehend, weil sich mit der digitalen Tourenplattform der bayerischen Firma Alpstein (heute Outdooractive) aus Immenstadt ein veritabler digitaler Konkurrent für uns herausbildete. Hatte das Wandermagazin den Digitalexperten noch mit Hunderten von Tourentipps zum Start der Plattform ausgeholfen, traten die Kollegen wenig später mit digitalen und preiswerten PocketGuides in Konkurrenz mit unseren aufwendig im Gelände recherchierten Produkten. Eine menschliche Enttäuschung war die Erfahrung mit einem unserer Verkaufsmitarbeiter, der nicht nur die ihm anvertraute Kundendatenbank heimlich zu eigenen Zwecken kopierte, sondern auch ungeniert auf Titelrechte des Verlages zugriff.
Mit Monika Trunk und ihrem layouterischen Können kehrte in den Wandermagazin-Ausgaben ein frischer Wind ein. Mehr noch, mit der Integration des Magazins in die W&A Marketing & Verlag GmbH erwuchs uns ein solides administratives Umfeld mit kaufmännischer Expertise. Tourismusmesseveranstalter wie Stuttgart, Karlsruhe, Köln, Hamburg oder Essen suchten bei uns Rat, um im Rahmen ihrer eingeführten Reisemessen mit dem Thema Wandern einen eigenen Schwerpunkt zu setzen. Was soll ich sagen? Die 2000er veränderten das gesellschaftliche Bild des Wanderns, erteilten der Outdoorindustrie einen Weckruf und brachten der Tourismusszene europaweit eine wohltuende Fokussierung auf das Wandern. Was für eine interessante Zeit!
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