"Das unruhige Herz ist die Wurzel der Pilgerschaft“ lese ich in meinem Pilgerheft zum Klostersteig und staune darüber, dass die Gedanken des Kirchenvaters Augustinus aus dem 4. Jh. so nah am Zeitgeist sind, denn Pilgern ist in. Der 30 km lange Klostersteig im Rheingau ist jedoch ein Neuling unter den Pilgerwegen, wobei die sechs Klöster auf der Wanderung vom Kloster Eberbach bei Eltville bis zum Kloster Marienhausen in Rüdesheim-Aulhausen alle eine lange Tradition haben. Am besten verteilt man die Wanderung auf dem Klostersteig auf zwei Tage.

HOCH HINAUS

Ich starte meinen Pilgerweg am 1136 gegründeten Kloster Eberbach. Die nicht mehr bewohnte Klosteranlage ist bekannt für ihre exzellenten Weine, die zu den Hessischen Staatsweingütern Kloster Eberbach gehören. Besonders beeindruckt mich die große romanische Basilika. Ich lasse das Kloster hinter mir und es geht gleich hoch hinaus. Auf dem Weg zur Hallgartener Zange lädt ein erster Ruhepunkt am Unkenbaum zum Erholen ein. Das Pilgerheft liefert mir zu jeder Station meines Weges Impulse mit spirituellen Texten. An der 580 m hohen Hallgartener Zange angekommen, blicke ich ein wenig außer Atem auf die Baumwipfel des Taunus. Aber höher als hier muss ich nicht mehr hinaus. Es geht bergab durch das Pfingstbachtal. Weinberge umsäumen den Weg hinauf zum Schloss Johannisberg. Einst gehörte auch ein Kloster zu der Basilika neben dem Schloss, in dem sich heute die Verwaltung eines berühmten Weinguts befindet. Nachdem das Kloster verfiel, bauten 1716 die Fuldaer Fürstäbte an diesem exponiert liegenden Ort ein Schloss. Vor der Kirche lockt der Goetheblick, der echte Rheinromantik liefert. Die Hälfte des Weges ist hier erreicht und mein erster Pilgertag geht zu Ende.

TIEF VERSTECKT ODER WEIT BLICKEND

Am nächsten Tag starte ich wieder am Johannisberg und laufe durch die Rebstöcke des Weinguts bergab. Den Wiesen und Feldern folgt ein Waldweg, der zum Kloster Marienthal führt. Der Guardian des Klosters, Pater Bernold, zeigt mir das Prunkstück der Kirche. In einem großen runden Marmorstein sitzt Maria mit ihrem toten Sohn. Jährlich pilgern tausende Gläubige zu diesem Wallfahrtsort. Ein kleiner Pfad schlängelt sich weiter durch den Wald und die Zivilisation erscheint weit weg. Versteckt liegt hier das abgeschiedenste Kloster des Weges: Nothgottes. Der vietnamesische Pater Anselm zeigt mir seine kleine ursprüngliche Kirche aus dem 14. Jh. mit großer Herzlichkeit. Ich verabschiede mich von diesem verwunschenen Ort und wandere weiter durch den Wald, bis ich wieder auf das Rheintal treffe.

Das vollgestempelte Pilgerheft des Klostersteigs © Wiesbaden Marketing

Schon von weitem erblicke ich die stolz über den Weinbergen thronende Abtei St. Hildegard. 45 Nonnen kümmern sich um dieses von Weinreben umsäumte Kloster, natürlich auch um den Weinbau. Der Garten vor der erst 1904 erbauten Kirche blüht auf das herrlichste. Ein idealer Ort, um sich im Kloster-Restaurant mit einem Pilgertrunk zu belohnen. Gestärkt ziehe ich weiter und durchstreife die blühenden Wiesen des Ebentals. Mein Blick reicht weit über den Taunuswald. Der Weg schlängelt sich hinein in den Wald und das Ziel rückt immer näher. Durch naturnahe Waldwege erreiche ich das ehemalige Kloster Marienhausen auf dem Gelände des St. Vinzent Stifts. Pfarrer Weigel steht vor der hölzernen Christusstatue hinter dem Altar der Marienkirche und berichtet begeistert von dessen Künstler. Wie alle Kunstwerke der Kirche hat sie ein geistig beeinträchtigter Mensch erschaffen. Bei der Neugestaltung dieser 800 Jahre alten Kirche entstand übrigens die Idee zum Klostersteig, um den Klosterreichtum des Rheingaus erlebbar zu machen. Zur Belohnung für mein vollgestempeltes Pilgerheft finde ich am Ende meiner Pilgerreise in der Kirche noch ein Geschenk, das Eberbacher Kreuz, das alle Pilger erhalten. Eine Wanderung, die mich auf vielfache Weise reich beschenkt hat. 

INFO: www.kulturland-rheingau.de