Wir Deutschen lieben den Wald. Und das nicht erst seit Peter Wohllebens Bestseller „Das geheime Leben der Bäume“ aus 2015. Der erscheint inzwischen in der 40. Auflage. Verkauft wurden bisher 1,3 Millionen Exemplare allein in Deutschland. In 41 weiteren Ländern ist sein Weltbestseller erschienen und Ende Januar 2020 sorgten die Geheimnisse der Bäume im gleichnamigen Dokumentarfilm auch in den Kinos für Furore.
Was ist dran am Lebensraum der Bäume – dem Wald?
Biologischer Lebensraum
Wälder sind dynamische ökologische Systeme, wie die Wiesen, die Moore, die Seen oder Heiden. Es sind Biotope, die vor lebendiger Vielfalt nur so strotzen. Der Lebensraum Wald steckt voller Geheimnisse und Wunder. Er hat ökonomische Funktionen, etwa als Rohstoff, und weil er das schädliche Treibhausgas CO2 speichert, das inzwischen bepreist ist. Seine ökologische und soziale Funktion ist die Schaffung und der Erhalt standortabhängig variabler Waldgesellschaften mit seltenen und teils bedrohten Tier-und Pflanzenarten. Er ist Erholungs- und Erlebnisraum für uns Menschen. Er strukturiert die Landschaft, produziert lebensnotwendigen Sauerstoff und filtert bzw. speichert Wasser. Er reinigt die Luft, kühlt im Sommer, wärmt im Winter – so dass man sagen könnte, er schafft sogar sein eigenes Wetter.
Wissenswert:
Für jede Tonne Holztrockenmasse werden der Atmosphäre 1.851 Tonnen Kohlenstoffdioxyd entzogen
Mit jeder Tonne Holztrockenmasse werden 1.392 Tonnen Sauerstoff produziert
99 % des Holzes entstehen aus praktisch unsichtbaren Stoffen (50 % Kohlenstoff, 44 % Sauerstoff, 6 % Wasserstoff, 1 % Spurenelemente und Mineralien)
Wald ist nicht gleich Wald
Wald ist mehr als die Summe seiner Bäume und mehr als die Summe der darin lebenden Organismen. Er ist ein gigantisches Netzwerk der Pflanzen-, Tier- und Mikroorganismusgemeinschaften. Darin eingebunden sind Licht, Wärme, Wasser und der Boden. Abhängig von all diesen Faktoren haben sich sehr unterschiedliche Waldtypen entwickelt, die man nach ihrer Artenzusammensetzung oder der Lage bestimmt. So gibt es Hainsimsen-Buchenwälder, Waldmeister-Buchenwälder oder Orchideen- Buchenwälder. Wir kennen Bergmischwälder, Lärchen-Zirbenwälder, Schluchtenwälder, Auwälder sowie Moor- und Eichenwälder. Jeder Waldtyp zeichnet sich durch andere Lebensgemeinschaften mit für ihn typischen Pflanzen und Tieren aus.
Das fünfgeschossige Mehrfamilienhaus
Die meisten Wälder in unseren Breiten umfassen einen mehrgeschossigen Aufbau. Wurzel-, Boden-, Kraut-, Strauch- und Baumschicht bilden die Stockwerke. Die Wurzelschicht bezeichnen Biologen als „Keller des Lebens“. Wurzeln dienen der Verankerung der Pflanzen und Bäume, aber auch, durch das filigrane Netzwerk der Feinwurzeln, zur Aufnahme von Mineralien und Wasser. Ohne Nährsalze, die dem Baum Kalium, Stickstoff, Kalzium, Phosphor und andere chemische Elemente liefern, wäre er gar nicht lebensfähig. Dafür gehen die Bäume mit Wurzelpilzen (griechisch Mykorrhiza) eine segensreiche und lebenslange Symbiose ein. Quid pro quo könnte man sagen: Der Baum versorgt die Pilze mit Zuckersaft aus der Fotosynthese seiner Blätter und Nadeln. Die Pilze liefern im Gegenzug durch gelöste Nährsalze Stickstoff und Phosphor, verbessern die Aufnahme von Wasser und filtern Schwermetalle aus dem Boden. Zusammen bilden sie ein geniales, unsichtbares „wood-wide-web“.
Wissenswert:
In unseren Wäldern leben
5.200 verschiedene Insektenarten
350 verschiedene Einzeller-Arten
380 verschiedene Wurmarten
70 verschiedene Landschneckenarten
560 verschiedene räuberisch lebende Spinnentierarten
Boden- und Krautschicht
Die Bodenschicht ist ebenfalls ein unglaubliches Universum im Kleinen. Das Erdgeschoss ist bedeckt von Flechten, Moosen, Totholz, Laub- oder Nadelstreu. Es lockt eine ganze Armada von Zersetzern wie Fliegenlarven, Asseln und Springschwänzen an. Sie produzieren nährstoffreichen Humus. Die zersetzenden Kleinstlebewesen sind wiederum ein gefundenes Fressen für Spinnen, Kurzflügelkäfer und Laufkäfer. Spinnen wiederum stehen bei Waldeidechsen auf dem Speiseplan. Zum ersten Stock gehören alle Pflanzen, die sich bis zu einem Meter über den Waldboden erheben. In Laubwäldern haben sie es besonders schwer, weil das Blätterdach bis zu 90 % des Tageslichts absorbiert. Auf diese besonderen Lichtbedingungen haben sich die Frühblüher hervorragend eingestellt. Sie blühen geschickterweise, bevor an den Bäumen das Laub wächst. So breiten sich im Frühling ganze Matten des gut 20 cm hochwachsenden Buschwindröschen über dem Waldboden aus. Gelbe Anemonen, Waldveilchen, Lerchensporn und das blaue Leberblümchen benutzen den gleichen Trick. Die Krautschicht ist der Lebensraum der Schmetterlingsarten, die an den Wald gebunden sind, wie der Schillerfalter oder der Kaisermantel.
Wissenswert:
Pro qm Waldboden leben bis zu 400 Regenwürmer.
Sie legen bis zu drei Meter tiefe Wohnröhren an.
In einer Handvoll Walderde leben bis zu 1.052.814.880 Lebewesen.
1 Teelöffel Humus enthält 1 km Pilzfäden.
Strauch- und Baumschicht
Den zweiten und dritten Stock beanspruchen die Sträucher und die Bäume für sich. Während Sträucher im Wald eher an den Waldsäumen oder in den Lichtinseln zu finden sind und Haselmaus, Siebenschläfer und so manchem Vogel eine Heimstatt bieten, recken sich die Riesen des Waldes bis zu 40 m und höher in den Himmel. Hier finden Großvögel wie Specht, Habicht, Kauz oder Singdrossel und Wildtaube ihren Lebensraum. Wenig bekannt ist, dass in und auf einem Baum wiederum tausende von weiteren Tierarten leben. Sie bevölkern die Rinde, die Knospen, die Blätter und die Früchte. Die Larven des Borkenkäfers etwa laben sich an den nährstoffreichen Zuckersaftkanälen im Bast des Baumes und zerstören damit die Versorgung der Wurzeln und der Wurzelpilze. Der „sterbende“ Baum ist wiederum Wohn- und Brutstätte von Spechten. Sie zimmern sich darin Bruthöhlen, die dann in den Folgejahren von anderen Waldbewohnern wie Eichhörnchen oder Kauz weiterbenutzt werden.
Wie lange dauert es, bis Totholz zu Humus zersetzt wird?
Je nach Baumart zwischen 20 und 120 Jahren. Gerbstoffreiche Bäume wie die Eiche verrotten extrem langsam. Buchenholz rascher, bei einer Pappel im Auwald reichen schon 20 Jahre.
Riechen, Baden
Jeder Wald riecht anders. Der würzige Geruch eines Kiefernwaldes, der modrige Duft eines Laubwaldes – alle Walddüfte entstehen durch Moleküle, die an unsere Geruchsrezeptoren in der Nasenhöhle andocken. Für den typischen Holzgeruch sind chemische Verbindungen aus Kohlenwasserstoffen (Terpene) verantwortlich. Sie variieren je nach Baumart. Terpene kommen im Baumharz vor, das ist die zähflüssige und klebrige Masse, mit der etwa Nadelbäume auf Verletzungen reagieren. Für den typischen Waldboden-geruch sind hingegen Duftstoffe verantwortlich, die von Bodenbakterien produziert werden. Auf dieses Odeur reagiert auch der Mensch. Schon die gedimmte Lichtstimmung führt zur Reduktion der Stresshormone. Die ätherischen Waldaromen senken den Blutdruck und die Kohlenwasserstoffmoleküle der Bäume fördern das rasante Wachstum der roten Blutkörperchen, die wiederum eine verbesserte Sauerstoffaufnahme bewirken. Auch das Immunsystem profitiert von den Düften des Waldes, indem es die Produktion körpereigener Killerzellen ankurbelt. Der Wald riecht nicht nur gut – ja er lädt förmlich zum Baden ein.
Der Aufenthalt im Wald …
… senkt den Cortisolspiegel (Stresshormon) im Blut
… steigert die Anzahl der körpereigenen Killerzellen
… senkt Blutdruck und Puls
… erhöht die Produktion von roten Blutkörperchen