von Redakteurin Svenja Walter
Seid ihr schon mal einen Wanderweg bewusst andersherum gegangen, also entgegen der ausgewiesenen Laufrichtung?
Die meisten Wanderwege sind standardmäßig in beide Richtungen ausgeschildert, das heißt, auf einem Rundwanderweg ist es egal, ob ihr vom Startpunkt aus links- oder rechtsherum geht, ihr werdet sicher wieder an den Ausgangspunkt zurückgeführt. Trotzdem: Eine Entscheidung muss getroffen werden und bei einem Streckenwanderweg kann man sich z. B. aus logistischen Gründen vorab überlegen, vom eigentlichen Zielpunkt zum Startpunkt zu laufen, also in umgekehrter Richtung. Spricht eigentlich nichts dagegen, oder doch? Und wer legt die Laufrichtung überhaupt fest?

Mir erschien die Frage das erste Mal besonders relevant, als ich auf Kreta mehrere Schluchtenwanderungen gemacht habe. Es waren Rundwege, Start- und Zielpunkt also identisch, und die Wege verliefen jeweils zur Hälfte unten in der Schlucht, quasi in einem ausgetrockneten Flussbett, und zur anderen Hälfte oben mehr oder weniger am Rand der Schlucht entlang. Ich hatte also zum Beispiel die Wahl, zuerst oben entlang der Schlucht durch offenes Gelände in der Sonne zu gehen, um dann zur Mittagszeit unten im Schatten zwischen den Felswänden zu sein, je nach dem welche Laufrichtung ich einschlug. Man könnte alternativ durch die Schlucht hin und zurück gehen, denn allein durch das Ändern der Laufrichtung ergeben sich auf dem gleichen Weg unterschiedliche Perspektiven. Ich persönlich gehe aber immer lieber einen „neuen“ Weg zurück.
Bei einer anderen Schluchtenwanderung lag der Start- und Zielpunkt am Strand und ich überlegte, wie schön es wäre, mit Blick auf das Meer zu wandern. Da in der Schlucht die hochaufragenden Felswände die Sicht „versperren“ würden, entschied ich mich dazu, zuerst durch die Schlucht und dann oberhalb mit Blick aufs Meer, dem blau leuchtenden Ziel vor Augen, zurück zum Ausgangspunkt zu wandern.
Wieder eine andere Wanderung verlief exakt in Ost-West-Richtung. Ich müsste bei einem Start früh morgens also ständig in die tief stehende Sonne schauen, was ich persönlich sehr anstrengend finde. Außerdem bot dieser Rundweg die Möglichkeit, nicht nur die Laufrichtung, sondern auch zwischen zwei Startpunkten zu wählen, einer am Eingang der Schlucht im Westen, der andere am Ausgang der Schlucht im Osten. Ich startete also am Ausgang der Schlucht im Osten, sodass ich in Richtung Westen wanderte und die Sonne im Rücken hatte. Das hat sich auch für die Fotos gelohnt.
Ist das nicht ein bisschen verkompliziert? Vielleicht. Und das sind ja nur ein paar der Überlegungen, die man in Bezug auf die Laufrichtung anstellen könnte. Ich gebe zu, dass ich zwischendurch selbst etwas verwirrt war von meinem Hin- und Herüberlegen, aber dann fand ich es auch irgendwie spannend, darüber nachzudenken, wie die gewählte Laufrichtung mein Erlebnis vermeintlich positiv oder negativ beeinflusst. Manchmal lohnt sich ein Umdenken und „Andersherumgehen“ mit Blick auf die Topografie, also Höhenunterschiede und Geländestruktur, bestimmte klimatische Bedingungen oder die Tageszeit. Je nach Laufrichtung verändert sich die Dramaturgie des Wanderweges, manchmal gar die Schwierigkeit, z. B. wenn der Aufstieg erst am Ende der Wanderung bewältigt werden muss. Viele gehen gerne am Anfang den spannenden, wurzeligen Pfad und schlendern am Ende, wenn die Beine müder werden, lieber über breitere und einfachere Weg.
Meistens gibt es kein richtig oder falsch. In der Regel hat sich die Tourismusorganisation, die den Weg entwickelt und ausgeschildert hat, aber etwas bei der Laufrichtung gedacht. Es kann z. B. Sinn machen den Weg in eine bestimmte Richtung zu gehen, weil dann das Highlight der Tour nicht direkt am Anfang kommt, oder eine Einkehrmöglichkeit eher auf der zweiten Hälfte der Wanderung liegt. Bestimmte Sichtachsen und der Wow-Moment beim Anblick eines Bergpanoramas ergeben sich womöglich nur in eine Laufrichtung, nicht aber in die andere.
Und letztlich liegt es auch an der persönlichen Präferenz, ob man z. B. den steileren Hang auf einer Tour lieber bergauf oder bergab geht, eine Flusswanderung lieber zur Quelle oder zur Mündung und und und … Bei vielen Wegen lohnt es sich, der Laufrichtung, die ihr der Karte oder dem GPX-Track entnehmen könnt, zu folgen. Aber nicht umsonst, sind viele Wege in beide Richtungen ausgeschildert und vielleicht überlegt ihr ja bei eurer nächsten Wanderung auch einmal, andersherum zu gehen.
Vielen Dank an dieser Stelle auch an meine Kolleg:innen für den gedanklichen Austausch zu dieser Fragestellung!
Hier geht´s zu den drei Schluchtenwanderungen in Kreta, zu lesen auf outdoor-welten.de,
hier direkt zu den komoot-Tourentipps:
Kritsa Gorge
Schlucht der Toten bei Kato Zakros
Richti Gorge


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In unserer Kolumne "Veni.Vidi.Wandern" setzen wir uns mit verschiedenen Gedanken rund um unsere Leidenschaft und Arbeitswelt, dem Wandern, auseinander. Mal ernst hinterfragt, mal amüsant erzählt, vielleicht auch mal auf Abwegen – kurzum, hier schreiben wir nach Lust und Laune, was uns beim Wandern durch den Kopf geht.