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Von Redakteurin Svenja Walter
Geht es euch auch manchmal so, dass ihr denkt: "Der Wald sieht ganz schön unordentlich aus"?
Ich denke das tatsächlich öfter, wenn ich beim Gehen links und rechts ins Unterholz schaue. Die Natur ist natürlich nicht unordentlich, schießt es mir dann sofort in den Kopf, das ist ein total menschliches Konzept. Aber ich kann mir nicht helfen: Immer wieder denke ich, dass da ein ganz schönes Durcheinander herrscht.
Es gehört sich so. In einem halbwegs gesunden Wald zumindest, wachsen Bäume schief und krumm, haben Beulen, liegen abgebrochene Äste sowie tote Bäume kreuz und quer übereinander. An manchen Bäumen baumeln selbst im Winter noch einzelne Blätter, die sie offenbar nicht rechtzeitig losgeworden sind und jetzt einfach hängen bleiben. Da sind viele nackte dünne Äste, dazwischen eine immergrüne Stechpalme, verrottendes Laub auf dem Boden und überall wuchert die wilde Brombeere. Was ein Dickicht!
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Bin ich vielleicht einfach ein sehr ordnungsliebender Mensch? Ordnung ist das halbe Leben, heißt es ja. Wenn man bedenkt, wie viel Zeit wir damit verbringen, die Dinge in Ordnung zu halten, z. B. bei der Arbeit oder im Haushalt, dann kommt das vielleicht hin. Nach mehr als zehn Jahren in verschiedenen Wohngemeinschaften und mit wechselnden Mitbewohner:innen glaube ich außerdem, dass jede/r ihre oder seine eigene Ordnung hat, auch wenn die für jemand anderes vielleicht unordentlich erscheint. Ich muss z. B. an eine meiner Aufbewahrungskisten denken, mit verschiedensten Dingen darin, von der Stirnlampe übers Ladekabel bis hin zu Halstüchern oder Medizin – eine Kramskiste eben. Man könnte darüber diskutieren, ob Medizin in einer Kramskiste gut aufgehoben ist, aber irgendwie ist das meine Ordnung und ich finde die Medizin immer dort unten links in der Kiste. Immer wieder mal, wenn es meiner Meinung nach zu unordentlich in der Kiste geworden ist, habe ich das Bedürfnis, den Inhalt wieder in eine Ordnung zu bringen. Ähnlich verhält es sich mit den Schränken in der gemeinsam genutzten Küche oder der Garage und ich glaube, dass jede Person einen eigenen Stil und ein eigenes Bedürfnis für Ordnung hat.
Auch die Natur hat ihren ganz eigenen Sinn für Ordnung. Sie folgt ihren eigenen Regeln und Bedürfnissen. Was wächst, orientiert sich am Licht, was fällt, wird von der Schwerkraft angezogen oder vom Wind getragen und bleibt dort liegen, wo es landet, egal wie krumm oder schief.
Vielleicht ist es gerade diese in unseren menschlichen Augen vermeintliche "Unordnung", die so anregend und wohltuend wirkt, wenn wir durch den Wald gehen. Wahrzunehmen, dass alles wild durcheinander wächst und gedeiht, steht und verrottet. So ein Durcheinander gibt es in der von Menschen aufgeräumten Welt nicht. In ihr ist fast alles gerade, auf eine bestimmte meist funktionale Art und Weise angeordnet oder nach ästhetischen Prinzipien – vielleicht mal schräg oder rund, aber meist doch bewusst in eine bestimmte Ordnung gebracht. In der Natur wächst ein Baum so, wie es für ihn richtig ist, sodass er als Lebewesen funktionieren und überleben kann. Er folgt den Gesetzen der Natur. Auch wenn es bei den wilden Brombeerranken schwer nachvollziehbar erscheint …
Ich bin sicher, dass es vor allem ordnungsliebenderen Menschen wie mir zur Abwechslung guttut, die natürliche Ordnung draußen im Wald wahrzunehmen, das scheinbar willkürliche Durcheinander auf uns wirken zu lassen. Der Kontrast zu unserer Lebenswelt aus Wohn- und Arbeitsräumen, zu unseren Städten und sogar unseren gepflegten Gärten erfrischt, entwirrt, lässt unsere Gedanken in anderen Bahnen verlaufen, bietet neue Reize und Perspektiven und Anlass zum Staunen. Darüber wie die Natur ordnet, wie sie gestaltet. Denn manchmal sieht man inmitten der "Unordnung" plötzlich die schönsten von der Natur geschaffenen Muster.
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