Die 90er Jahre waren geprägt von Innovationen und einem fast grenzenlosen Wachstum. Es war die Zeit, in der die Outdoorbranche erwachsen wurde. Nichts verkörpert das mehr als der Start der eigenen Fachmesse OutDoor in Friedrichshafen.
von Ralf Stefan Beppler
Rückblickend sind die 90er Jahre die „gute alte Zeit“ der Outdoorbranche. Der Begriff Outdoor war positiv besetzt, die Branche war eigenständig und wuchs schnell – auch wenn das damals noch nicht überall verstanden wurde. Symptomatisch dafür war die Diskussion über eine eigene Fachmesse. Weil sie auf der Sportartikelmesse in München nicht ausreichend Platz erhielten, orientierten sich etliche Firmen zusammen mit der Fachgruppe Outdoor im Bundesverband der Sportartikelindustrie (BSI) in Richtung eines eigenen Branchentreffens. Schon 1993 fand in Friedrichshafen die erste europäischen Outdoormesse statt: die OutDoor. Die Branche war erwachsen geworden, selbstbewusst und wuchs Jahr für Jahr.
Handel heißt Wandel
Die Outdoorfachgeschäfte, die in den frühen 80ern an Stadträndern eröffnet hatten, zogen in bessere Verkaufslagen. Die Läden wurden heller, größer, ansprechender. Erste Markenstores eröffneten in den Fußgängerzonen der Republik. Spezielle Outdoorausrüstung gab es nur in diesen Fachgeschäften, deren Personal mit viel Begeisterung und Wissen das Gerede von der „Servicewüste im Handel“ Lüge strafte. Im Outdoorladen wurde fundiert beraten. Man fachsimpelte über Denierstärken und Beschichtungen, Wassersäulen und Dampfdurchlässigkeit, Abriebfestigkeit und Trocknungszeiten. Die Kund:innen fragten nach Technologien und kauften bewusst „Funktion“.
Die Folgen des Wachstums
Mitte der 90er Jahre boomte die Outdoorbranche und manche sprachen schon von einem Trend. Das war aber verfrüht. Outdoor war immer noch eine Nische, was daran zu erkennen war, dass es „Billigoutdoor“ bei Discountern oder anderen Trittbrettfahrern noch nicht gab. Das Wachstum war für die Industrie allerdings so groß, dass die Produktion am eigenen Standort nicht mehr ausreichte. Die großen Marken verlagerten die Produktion nach Fernost. Statt Made in Great Britain, Made in Germany oder Made in USA heißt es fortan: Made in China, Made in Vietnam oder Made in El Salvador. Firmen stellten Reisetechniker:innen ein, etablierten Qualitätsmanagement und bauten Zentrallager. Mitte bis Ende des Jahrzehnts wuchs entsprechend der Finanzbedarf. Firmen gingen insolvent, wurden von größeren Marken übernommen oder an Investoren verkauft.
Die Entdeckung der Kundin
Frauen hatten in den 80er Jahren noch große Probleme, hochwertige Ausrüstung zu finden. Zwar gab es schon immer Schuhe, die auf einen Frauenleisten geschustert wurden. Wanderhosen oder -jacken für Frauen von Bekleidungskonfektionären wie Schöffel existierten auch schon. Von den klassischen Outdoormarken gab es aber nur Unisex-Größen – und die wurden anhand von Männergrößen geschneidert. Das änderte sich in den 90ern. Schon zu Beginn des Jahrzehnts startete die erste reine Frauenmarke: Wild Roses – von Frauen für Frauen. Exemplarisch für deren Produkte war das „P-System“, das es Bergsteigerinnen erstmals ermöglichte, sich unterwegs unkompliziert zu erleichtern. Die englische Marke Sprayway stattete die Extrembergsteigerin Alison Hargreaves mit einer Jacke aus, die im Verkauf erstmals die Preisgrenze von 1.000 DM sprengte. Und Lowe Alpine stellte mit den ND-Modellen (Nanda Devi, ein Berg in Indien, der übersetzt „Göttin der Freude“ heißt) erstmals Rucksäcke vor, die für Frauenrücken konstruiert waren. Zwar blieben hochwertige Frauenprodukte weiterhin eine Seltenheit, aber immerhin tat sich etwas.
Die 4. Lage: Travelwear
In den 80er Jahren war Österreich noch des Deutschen liebstes Urlaubsland, gefolgt von Italien und Spanien. Ob der Wegfall des Eisernen Vorhangs oder der neue Wohlstand dafür verantwortlich waren, ist unklar, aber in den 90ern setzte ein Fernreiseboom ohne gleichen ein. Und die Outdoorbranche reagierte, weil Reisen jetzt nicht mehr nur die Expeditionen und Entdeckungen einiger Weniger waren, vor allem von Männern, sondern „Hinz und Kunz“ sich in die Flieger setzten. The North Face entwickelte für diese Zielgruppe „Tech Wear“ aus Polyamid und Fjällräven eine Travel-Kollektion aus Meryl Mikrofaser. Es gab auf einmal Funktionsbekleidung, die nicht in das klassische 3-Lagen-System passte (warm und trocken), sondern vor allem pflegeleicht, bügelfrei, schnelltrocknend und UV-schützend war. Und es waren bunte Styles (vor allem bei den schwedischen Firmen), nicht mehr die Safari-Optik und das Baumwollmaterial der 70er und 80er Jahre.
Megatrend Lightweight
Geringes Gewicht hat bei Outdoorausrüstung zwar schon immer eine Rolle gespielt und ist ein Antrieb für Innovationen, dennoch kann man sagen, dass der Lightweight-Trend in den 90er Jahren anfing. Die offensichtlichste Veränderung ließ sich im Schuhmarkt beobachten. Die 90er Jahre brachten durch neue Technologien wie „Direct Moulding“ Leichtwander- sowie Multifunktionsschuhe erst richtig auf den Weg und verbannten die schweren Wander- und Bergschuhe in die zweite Reihe. Stellvertretend sei hier der Lowa Renegade genannt, den Lowa seitdem mehr als 12 Millionen Mal verkauft hat. Bei Daunen brachte die EU-Norm das Thema Fillpower auf die Tagesordnung und verführte zu immer neuen Die-leichteste-Daunenjacke-der-Welt-Meldungen. Bei der Synthetikisolierung tauchte eine neue Faser auf, die superleicht daherkam: Primaloft. Gore-Tex brachte Paclite auf den Markt und Fjällräven ergänzte das legendäre G-1000 durch G-1000 Lite. Beim Rucksack war das Außengestell endgültig raus und als Material war 1.000er Denier eine Ausnahme, das nur noch bei „Robustmarken“ wie Fährmann oder Dana Design Verwendung fand. „Leichtgewicht“ machte Karriere – so stark, dass das Thema heute manchmal als Light – Ultralight – Stupidlight gesteigert wird. Aber das ist eine andere Geschichte.
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