Text & Bilder: Janna Kamphof 

Aufstieg zur Schwarzwasserhütte

Aufstieg zur Schwarzwasserhütte

Am Freitagnachmittag fahre ich auf den Nachtparkplatz der Ifenbahn, im österreichischen Kleinwalsertal. Sechs Frauen packen ihre Rucksäcke um, ziehen kurze Hosen an oder schnüren Wanderschuhe. „Du bist bestimmt Janna.“ Die Frau mit blondem, festgebunden Haar und festem Händedruck ist Alix von Melle, Höhenbergsteigerin, Yogalehrerin und unser Guide. Fünf andere Frauen haben sich für das Yoga- und Wanderwochenende mit Hüttenübernachtung von der Allgäuer Bergschule AMICAL ALPIN angemeldet. Dass wir uns heute zum ersten Mal sehen, wird man schon bald nicht mehr merken. „Wir gehen etwa eine Stunde über einen flachen Schotterweg bis zur Materialseilbahn. Dort können wir die großen Rucksäcke transportieren lassen und entspannt zur Hütte aufsteigen“, erklärt Alix. Beim Wandern wird viel gequatscht, nur bei steileren Anstiegen wird es leiser. Nach etwa zwei Stunden erreichen wir die Schwarzwasserhütte. „Grüßt euch!“ Hüttenwirt Dominik Müller empfängt uns mit einem breiten Grinsen, dem man nur mit gleichem begegnen kann. 

Gemütlicher Hüttenabend

Alix von Melle führt die Gruppe durch die Übungen
und auf die Berge.

Nicht viel später sitzen wir an einem Holztisch mit Blick auf den Hohen Ifen. Vor uns stehen dampfende Teller Spaghetti mit hausgemachter Tomatensoße und frittierter Aubergine. „Wir machen nachher Yin Yoga, das schafft ihr auch mit vollem Bauch“, sagt Alix lachend. Also genießen wir nicht nur die Nudeln, sondern auch den Apfelkuchen mit Walnusseis. Zufrieden sitzen wir später auf unseren Yogamatten. Der Regen prasselt gegen die Fenster. „Yin Yoga ist ein sanfter und passiver Yogastil. Ich werde euch gleich durch verschiedene Posen anleiten, die wir für mehrere Minuten halten.“ Alix‘ aufgeweckte Stimme ist nun ruhiger geworden. Die sitzende Vorbeuge, die Twists und die Kerze: Durch das lange Halten der Asanas wird auch das tief liegende Bindegewebe erreicht und werden verklebte Faszien aufgelockert. Dadurch sollte die Energie wieder besser strömen. „Manche tun sich schwer mit der Stille, mit den eigenen Gedanken“, sagt Alix leise, „Dann kann es helfen, sich auf den Atem zu konzentrieren und immer gleich lange ein- wie auszuatmen.“ Wenn es Zeit für die Endentspannung ist, wüsste ich kaum, wie ich noch entspannter werden könnte. „Wir könnten jetzt bestimmt alle so ins Bett schweben“, sagt Alix, „Ich möchte euch aber gerne noch einladen, den Tag in der Gaststube auszuklinken.“ Länger als ein Drink hält aber keiner mehr durch und noch bevor Hüttenruhe herrscht, sind alle schon tief eingeschlafen.

Wanderung zum Hählekopf mit Hohem Ifen im Hintergrund.

Abenteuerwanderung 

Knappe sieben Stunden später stehen Katrin, Uli und ich schon wieder draußen. Das Hüttenteam hatte sich gestern ein bisschen über uns lustig gemacht; wegen der Wolkendecke würde vom Sonnenaufgang kaum etwas zu sehen sein. Aber dann kommen einer nach dem anderen die Sonnenstrahlen über den Bergrücken des Hohen Ifen und hüllen die Landschaft in ihren goldenen Schein. Die Tautropfen verwandeln sich in kleine, schimmernde Perlen. Es verspricht, ein guter Tag zu werden. 

Gratweg Hählekopf

„Habt ihr Lust auf ein bisschen Abenteuer?“, fragt Alix beim Frühstück. „Hüttenwirt Dominik hat uns den Hählekopf empfohlen. Da würden wir teilweise durch wegloses Gelände wandern.“ Bis zum Gerachsattel geht der Wanderweg, danach müssen wir unsere eigenen Pfade suchen. Plötzlich hören wir ein Knarren – ein Dinosaurier? Noch ganz so alt ist das Tier nicht, dafür aber selten zu sehen. Langsam entfernt sich das Alpenschneehuhn von uns. Dann wandern wir die letzten Meter über den Bergrücken auf den 2.058 Meter hohen Gipfel, markiert mit einem Mini-Gipfelkreuz, das aus einem Wanderstock gemacht wurde. Das 360-Grad-Panorama auf die hunderte von Gipfel ist sehr imposant. An einer herausfordernden Stelle im Abstieg bittet uns Alix, die Gespräche zu unterbrechen und uns auf die Tritte zu konzentrieren. Wer mit dem Bergsteigen vertrauter ist, unterstützt diejenigen, für die es noch Neuland ist, mit kleinen Hilfestellungen und ermutigenden Worten. Es ist erstaunend, wie Menschen, die sich noch keine 24 Stunden kennen, so harmonisch miteinander unterwegs sind. Sobald ich nicht mehr mit Quatschen abgelenkt bin, holen mich die Gedanken ein. Ich denke an den gestrigen Wörter Alix und konzentriere mich auf meine Schritte und meinen Atem. Die Gedanken verstummen. Dafür höre ich das Rauschen des Bachs und das Vogelgezwitscher umso lauter. Ich rieche den Geruch von aufgewärmten Nadelbüschen in der Sonne. 

Yoga mit Bergblick

Kurz vor der Hütte treffen wir Hüttenwirtin Tine. Sie läuft noch schnell auf den Berg, bevor das Gewitter kommt. Alix zieht die Yogastunde vor. Wir rollen die Matten auf dem Rasen neben der Hütte aus. „Wir tun unserem Körper etwas Gutes mit Rücken-Yoga. Der Schwerpunkt liegt auf Übungen, die unsere Wirbelsäule auflockern“, erzählt Alix. Sie verknüpft verschiedene Asanas zu einem flowigen Ablauf. Mein Körper entspannt sich mit jeder Haltung etwas mehr. Ich höre das Rauschen des Wasserfalls, manchmal ein pfeifendes Murmeltier. Ansonsten fällt es mir ganz leicht, bei mir und meinem Atem zu bleiben. Ob das wohl der Effekt der Natur ist? „Dann könnt ihr euch jetzt gerne warm anziehen für die Endentspannung“, höre ich Alix sagen. Gedanklich gleite ich in die Leere. Erst wenn Alix uns ganz leise zurück in die Realität holt, nehme ich meinen Körper wieder so richtig wahr. Der fühlt sich gut an. „Namaste“, beschließt Alix die Stunde.

Über Gipfelglück und Gewitter-Inferno

Yoga in der Bergkulisse auf der Schwarzwasserhütte.

Den Nachmittag verbringt jeder in seinem eigenen Rhythmus. Wir genießen einige der letzten Stücke von Tines frischem Käse-Rhabarber- und Buchweizenkuchen. Danach entspannen wir auf der Wiese, bevor wir uns eine Stunde vor dem Abendessen im Seminarraum treffen. Beim Aufstehen merke ich, dass ich mich nach der Wanderung erstaunlich gut fühle – das muss der wohltuende Effekt von Yoga sein.
Im Seminarraum erzählt Alix von ihren weltweiten Expeditionen. Bergziege war sie aber nicht schon immer: als Hamburgerin kam sie erst während dem Studium in München über das Skibergsteigen so richtig zum Bergsport. Ihren ersten hohen Berg bestieg sie, als ihr Partner Luis Stitzinger sie nach Nepal einlud, wo er eine Expedition leitete. „Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, warum man irgendwo hinfliegen würde, um in die Berge zu gehen“, lacht sie.  25 Jahre lang bestieg sie mit Luis die höchsten Berge der Welt, darunter sieben 8000er. Doch es ist nicht die Höhe, die das Gipfelglück ausmacht: „Es ist meine Liebe zum Bergsport in der Natur, die mich treibt”. Deshalb begeistert sie sich auch für Wanderungen in heimischen Bergen, wie die heutige Tour. Beim Abendessen erzählt Alix von einer gescheiterten Expedition am Manaslu. „Nur 200 Meter unter dem Gipfel mussten wir wegen eines unerwarteten Gewitter-Infernos umkehren.“ Einige Jahre später schafften sie es schließlich. Auch der tödliche Unfall ihres Mannes vor fast einem Jahr kommt kurz zur Sprache. „Wir fanden uns im Bergsport und hatten 25 perfekte Jahre zusammen“, sagt Alix. Ihr Lächeln verschwindet kurz. „Natürlich hätte ich gerne noch 25 Jahre mit ihm gehabt. Aber selbst wenn ich jetzt ein Couchpotato werden würde, habe ich schon unglaublich viel erlebt.“ Dann lächelt sie wieder. „Aber fürs Nichtstun bin ich nicht der Mensch. Ich bin lebensbejahend und gespannt, was die Zukunft mir bringt.“

Mit Sonnengrüßen in den Tag

Am nächsten Tag stehen wir wieder früh auf. Dieses Mal nicht, um uns den Sonnenaufgang anzuschauen, sondern für eine morgendliche Yogastunde. Alix macht zunächst verschiedene kleine Übungen mit uns, die langsam zum Sonnengruß aufbauen. Daraus folgt dann schließlich der gesamte Flow. Dreimal wiederholen wir sie. Dann dürfen wir uns für die Bergmeditation hinsetzen. In dieser Visualisierungsübung werden wir dazu eingeladen, selbst zum Berg zu werden und uns dadurch mit seiner Stabilität und Unerschütterlichkeit zu verbinden. „Sitze wie ein Berg. Gerade, aufrecht und voller Kraft. Bei jedem Wetter, bei allem, was passiert. Genieße noch mal die Stille und die Stabilität, die du in dir geschaffen hast …“ Danach lösen wir die Hände und öffnen die Augen. Startklar für den letzten Tag!

Zusammen auf dem Hählekopf

Die Berge verbinden

Nach dem gemeinsamen Frühstück machen wir eine letzte Tour, bevor wir ins Tal absteigen. Heute steht das Steinmandl auf dem Programm. Der Aufstieg zum 1.982 Meter hohen Gipfel dauert etwa eine Stunde. Der Weg ist matschig und rutschig wegen des vielen Regens, aber wir mögen ja Abenteuer. Zufrieden setzen wir uns am Gipfelkreuz. „Komm, lass uns ein Gruppenbild machen. Wie wäre es mit der Berg-Asana?“ schlägt eine vor. Danach steigen wir zur Hütte ab. Nach der Mittagspause geht es die letzten Kilometer zurück ins Tal. Es wird viel gequatscht und gelacht. Andere Wanderer würden nie erahnen, dass wir uns erst seit 48 Stunden kennen. Die Berge verbinden – und Yoga auch.


Infos zum Angebot: www.amical-alpin.com/yoga-und-wandern
Infos zur Schwarzwasserhütte: www.kleinwalsertal.com/de/Schwarzwasserhuette