Einige hundert Meter vor mir sehe ich die gelb leuchtende Jacke hinter einer Biegung und tiefhängenden Tannenzweigen verschwinden. Unsere Bergführerin Daniela hat an diesem, auf gut rheinisch, usseligen Nachmittag genau die richtige Signalfarbe gewählt. Konzentriert richte ich meinen Blick wieder auf den Boden vor mir. Loses Geröll, nasse Wurzeln und natürliche, unebene Stufen bringen mich jetzt auf dem letzten Drittel des Aufstiegs ins Schwitzen. Doch das Ziel, die Schwarzwasserhütte im Kleinwalsertal, ist nicht mehr fern.

Der Start der knapp neun Kilometer langen Strecke zur Hütte beginnt für unsere kleine Gruppe an der Ifen Bergbahn, oberhalb von Hirschegg. Das Tal ist an diesem Tag von einem anhaltenden feinen Regen eingenommen. Angeblich kein Wanderwetter. Wir schultern dennoch die Rucksäcke über die Regenjacken, zurren an den Gurten und Striemen des für uns noch unbekannten Begleiters auf dem Rücken. Denn die heutige Wanderung zur Schwarzwasserhütte in der wunderschönen Landschaft des Kleinswalsertals kombinieren wir mit einem Rucksacktest.

⇒ Erfahre mehr zum Rucksack Baltoro/Deva im Testbericht

Bergführerin Daniela begrüßt uns lächelnd und strahlt nicht nur wegen der gelben Jacke. Ich glaube, sie würde mich mit ihrer motivierenden und unkomplizierten Art sogar über die schwersten Wanderwege lotsen. Wir halten uns nicht lange auf, sondern stapfen los, denn beim Stillstehen merkt man schnell, wie Nässe und Kälte durch die Kleidung kriechen. Um vier Uhr nachmittags kommen uns auf dem Abschnitt die letzten Grüppchen und Familien auf ihrem Weg ins Tal entgegen. Wir sind die einzigen, die in die entgegengesetzte Richtung laufen. Dabei fällt mir auf, dass niemand unter der grauen und vor allem nassen Wolkendecke davoneilt. Die meisten Gesichter lächeln mir freundlich entgegen, ich höre entferntes Lachen. Ähnlich wie bei uns lässt sich hier niemand von dem Wetter den Tag vermiesen. Schließlich reist man ins Kleinwalsertal, um die Natur zu durchstreifen. Zugegeben, die Aussicht auf ein warmes Essen und vielleicht auch ein entspannter Gang in die Sauna lassen einen Wandertag bei Regen nicht mehr ganz so unattraktiv wirken.

Wir halten am Rande eines künstlich angelegten Sees. Er speist im Winter die Schneekanonen. Mit der von den Tropfen aufgewühlten Wasseroberfläche und dem satten Grün der Tannen im Hintergrund zeigt sich der Ort von seiner besten Seite. Wir schreiten weiter auf dem einfach zu laufenden Abschnitt. Hier bleibt genug Zeit nach rechts, links und in die Höhe zu schauen. Mein Rucksack sitzt mittlerweile ordentlich eingestellt am Rücken und zwischendurch lockere ich hier und da ein paar Riemen, mache mich vertraut mit den Einstellungen, die helfen, die Lastenschwerpunkte je nach Gelände besser zu positionieren.

Parallel zum Weg bahnt sich ein bewachsener Steinwald seinen Weg. Massige Gesteinsbrocken, die sich von den Hängen der auftuenden Berge gelöst haben müssen, sind mit Moosen, Farnen und ganzen Bäumen überwachsen. Ein wunderschöner Anblick. Wenn im Winter alles unter einer Schneedecke versteckt ist, kennt Daniela Schneeschuhtouren durch dieses Gelände. Dann öffnet sich vor mir eine Ebene, eingerahmt von Berghängen. Der Schwarzwasserbach gluckert leise vor sich hin, während der schmale Pfad dem mäandernen Bachbett folgt. Wir kreuzen das Wasser über eine Holzbrücke. Der Name des Baches ist selbsterklärend. Durch das dunkle Gestein im Bachbett wirkt das Wasser sehr dunkel bis schwarz.

Alp Melköde

Ebene bei der Alp Melköde

Unsere Gruppe hat sich etwas entzerrt und als ich über die Weidefläche der idyllisch unterhalb der Berge eingerahmten Alp Melköde blicke, kann ich unseren Weg weit im Voraus erahnen. Ich fühle mich seltsam distanziert von allem. Kaum zu glauben, dass ich am Morgen noch im Zug saß und im „Flachland“ und dem hektischen Treiben von Bahnhöfen und Städten unterwegs war. Jetzt blicke ich auf harmonische Farben, höre Kuhglocken in der Nähe läuten und spüre die frische und nasse Luft auf dem Gesicht und den Händen. Um mich herum ragen Gipfel empor und lassen mich erahnen, welche Wege es noch zu entdecken gibt. 

 

Tourentipps in der Nähe 

kleinwalsertal.com

Schneegrenze

Wir haben einige Höhemeter bereits hinter uns gelassen. Zwischen den Regentropfen fallen erste Schneeflocken zu Boden. Über Nacht ist Schneefall angesagt und die Wettergötter scheinen ihr Versprechen einzulösen. Innerlich reibe ich voller Vorfreude die Hände zusammen. Könnte es sein, dass wir morgen durch eine Schneelandschaft wandern?

Hüttenwirt Dominik

Hinter der Alp beginnt das letzte Drittel des Weges zur Hütte. Ein Schild weist den Weg, welcher sich von nun an in Serpentinen bis zur Hütte auf 1.651 m hochschlängeln wird. Die unebenen Stufen und Wurzeltritte sind vom Regen bereits rutschig. Durch die unterschiedlichen Tritthöhen müssen die Beine ordentlich arbeiten. Je höher es geht, desto mehr Schneeflocken dominieren den Regenfall. Pflanzen und unberührte Flecken an Gras und Moos am Wegesrand werden weiß bestäubt. Zur linken Seite berührt der kurvige, schmale Pfad immer wieder den schnell herabfließenden Schwarzwasserbach. Immer weiter geht es bergauf und ich versuche einen langsamen, aber stetigen Rhythmus aufzubauen. Zwischendurch bieten dichte Tannen einen trockenen Platz. Ich bleibe stehen und blicke zurück und zur Seite. Ein erster Mast des Versorgungslifts der Hütte ist zwischen den Wipfeln zu erspähen. 

Schließlich trete ich aus dem bewaldeten Hang. Die Baumgrenze ist überschritten und ein Pfad weist den letzten Anstieg zur Hütte, die aber erst oben an der Schwelle zur Ebene zu sehen ist. Ein Wort platzt in meinen Kopf: Postkartenmotiv. Die Hütte liegt in einem grauen Regendunst, kein Gipfel ist zu sehen, doch im Hintergrund kann ich Berghänge erahnen. Der Schneefall hat weiter zugenommen und hinterlässt seine weißen Tupfer auf den grünen Grasflächen. Die letzten Meter sind schnell zurückgelegt, denn die Hütte verspricht Wärme. Dominik, der Hüttenwirt, erwartet uns bereits und begrüßt uns am Ziel.

Blick ins Kleinwalsertal

Nach einem gemütlichen Abend in der Stube und einer erholsamen Nacht in unglaublicher Stille, verlassen wir die Hütte am Morgen im hellen Glanz frisch gefallenen Schnees. Das Tal ruft und kindlich begeistert von den knirschenden Eiskristallen unter den Schuhen, schultere ich meinen Rucksack und folge Daniela mit der restlichen Gruppe auf dem Weg zurück. Obwohl wir dem Weg von gestern folgen, sieht alles anders aus unter der weißen Pracht. Schließlich erreichen wir den Dorfeingang, lassen den Schnee hinter uns und blicken weit ins Kleinwalsertal. Die Berge umrahmen die Häuser und Wiesen schützend und ich habe eigentlich das Bedürfnis, einfach immer weiter zu wandern.