Als Radiomoderator und Podcaster von "Philipps Playlist" beim NDR besteht der gesamte Alltag von Philipp Schmid aus Musik. Doch welche Melodien kommen ihm beim Pilgern in den Kopf, wenn alles rund herum still wird und er in sich hineinhört? In einem Gastbeitrag für das Wandermagazin erzählt er uns von der Musik seiner Pilgerreise.
Mein halbes, nein, mein ganzes Leben besteht aus Musik. Als Frühmoderator in einem Radiosender geht es um 5 Uhr los mit dem Gedudel. Schon auf dem Arbeitsweg höre ich Musik, den ganzen Arbeitstag über, auf dem Heimweg. Zuhause. Tag und Nacht. Musik.
Was für eine willkommene Abwechslung könnte ein Pilgerweg sein? Endlich die Natur hören, den Wind, das Rascheln der Blätter in den Bäumen, die Schafe am Wegesrand, die Vögel in den Lüften. Vor allem aber – in sich hineinhören: Was klingt und schwingt in mir? Was ist meine Lebensmelodie, die Sinfonie meiner Seele, mein Herzenssong? Diese Fragen haben sich mir während meiner Pilgerreisen gestellt. Und an genau diese musste ich kürzlich denken, als ich für meinen NDR Kultur Podcast „Philipps Playlist“ die passende Musik zum Wandern zusammengestellt habe.
Der Moderator und Radiopreisträger Philipp Schmid stellt in seinem Podcast für NDR Kultur jede Woche eine kleine Playlist zu unterschiedlichsten Bereichen und Aktivitäten des Lebens zusammen: Musik für den Frühjahrsputz, zum Mailchecken oder zum Wandern. Hier geht's zu "Philipps Playlist – Musik zum Wandern"
Während der Arbeit an der Folge habe ich mich an meine Pilgerreisen zurückerinnert. Beim Pilgern kann man wunderbar seine Gedanken ordnen und zu sich selbst finden. Deswegen beinhaltet meine Playlist einige ruhige, klassische Stücke aber eben auch etwas flottere und modernere Stücke – denn beim Wandern schreiten wir beherzt voran, voller Neugierde darauf, wohin der Weg uns führt und welche Überraschungen am Wegesrand darauf warten, von uns gesehen zu werden.
Ich war während meiner Pilgerreise überrascht, wieviel Musik in mir ist, was alles zum Vorschein – oder besser gesagt zum Vorklang – kommt. Ohrwürmer, Wanderlieder, Schlagerperlen, Kinderreime, Fetzen aus Popsongs und Themen aus Sinfoniesätzen. Wie bei einem vollen Fass, so denke ich während des Gehens, sprudelt erst einmal alles Überschüssige heraus. Alles, was sich in den letzten Wochen und Monaten an Tönen angesammelt hat, rinnt aus den Ohren, bleibt auf dem Weg liegen, zappelt noch kurz und streckt sich dann kraft- und tonlos hin. Platte, matte Töne, zerlaufene Notenköpfe am Wegesrand. Freigelassen, zurückgelassen, vergessen.
Was ist deine Herzensmelodie?
Und dann? Stille, die neu mit Musik angefüllt werden will. Fenster auf, frische Musik hinein! Herz und Seele neu mit Tönen versorgt, wie der Wüstenwanderer an der Oase das Wasser mit vollen Händen schöpft und wie der erste Atemzug von frischer Bergluft schmeckt, wenn wir die stickige Gondel verlassen haben. Was hörst du? Was ist die Melodie deines Herzens? Was sind die Töne, in denen deine Seele gestimmt ist? Was kommt dir als erstes ins Ohr?
Auf unseren Pilgerreisen haben wir oft und gerne zusammen musiziert. Popsongs, Kirchenlieder, Choräle – was uns eben grade ins Herz, ins Ohr und über die Lippen kam. Und oftmals gab es abends ein Klavier, an dem ich eine der frischen Seelenmelodien spielen konnte, genau die musikalischen Gedanken und Gefühle, die den Tag über zu mir kamen. Oder morgens an der Orgel einer Kirche. Das Improvisieren, das Töne Erfinden und vor allem das Finden von Tönen, wo Worte enden, ist eine große Gabe der Musik und für mich als Talent auch ein Geschenk. Gleichzeitig Aufgabe, es an andere weiterzugeben, zu teilen, Mut und Kraft zu spenden, zu trösten und kleine Knoten in der Seele zu lösen.
In der NDR-Mediathek findet ihr auch die Dokumentation "Pilgern im Norden" mit Philipp Schmid:
Pilgern im Norden: Von Swinemünde bis Greifswald
Pilgern im Norden: Von Greifswald bis Bad Doberan
Pilgern im Norden: Von Bad Doberan nach Lübeck
Pilgern im Norden: Von Lübeck nach Hamburg
Das alles kann Musik. Mal ernst, mal albern. Oft mit ein paar einzelnen Tönen. Der eine beginnt, alle anderen fallen ein. Eine einzelne Stimme wird zum Chor. Herzen klingen und schwingen im selben Rhythmus, zur selben Melodie. So entsteht Harmonie. Wir haben “Let It Be” gesungen, “Alt wie ein Baum”, “Laudate Dominum”, “Dona nobis Pacem” und “Über sieben Brücken musst Du geh’n”.
Und wie so oft beim Pilgern – auf einmal fügen sich Dinge zusammen, erscheinen Zeichen, erhellt sich ein Sinn. Einzelne Textzeilen passen haargenau zu den Fragen, die sich mir auf dem Weg stellen. Als ich mit Bernd, dem Pilgerpastor auf dem Weg “Let It Be” singe (oha - sehr textsicher, der Gottesmann!) begreife ich erst die tiefere Bedeutung des Beatlessongs. “When I find myself in times of trouble” heißt es da – für viele ist eine Krise, ein Knacks, eine Erschütterung Anlass, loszulaufen. “For though they may be parted” – getrennt sein von den Liebsten zu Hause, in einer neuen Gemeinschaft, der Pilgergruppe, und doch auf sich selbst zurückgeworfen, und, ja, manchmal auch allein. “And when the night ist cloudy” – dunkle Nächte im Schlafsack, erste Sonnenstrahlen, Licht, Wärme, erhellende Erkenntnisse, “there will be an answer” – Losgehen als Frage, Ankommen als Antwort.
“Let it be” bedeute auch “Amen”, erklärt mir Bernd. Und wenn ich das Lied jetzt im Alltag höre, ist meine Übersetzung, meine Meditation, mein kleines Gebet: Lass es zu, lass los, lass ihn machen.