In Bonn, wo auch seit 40 Jahren unser Verlag ansässig ist, hat Volker Brusius im Mai 2023 ein Fachgeschäft für Lauf- und Wanderschuhe eröffnet. Klar, dass wir „dem Pilgerjogger“ einmal einen Besuch abstatten mussten. Volker hat sich Zeit für uns genommen und in einem inspirierenden Gespräch über seine persönliche Evolution vom Marathonläufer zum joggenden Pilger und Wanderer gesprochen und darüber, was seine Kundinnen und Kunden im neuen Geschäft finden können.

 

Ihr Geschäft in Bonn heißt „Zum Pilgerjogger“. Sind Sie Jogger oder Pilger oder beides zusammen?

Beides zusammen. Joggend pilgern, das geht tatsächlich. Es ist völlig unabhängig von der Geschwindigkeit, ob man in einen meditativen oder spirituellen Zustand kommt. Pilgern bedeutet für mich auf teils unbekannten Wegen zu sich selbst finden, vielleicht auch Antworten finden auf Fragen, die man sich noch gar nicht gestellt hat.

Wie sind Sie zum joggenden Pilger geworden?

Das ist eine lange Geschichte und eine Entwicklung. Ich bin vom Joggen über Marathons zum joggenden Pilger geworden und schließlich zum Wanderer. Ich laufe schon seit 1999 Marathon und seit 2011 auch Ultramarathon. 2013 bin ich mit zehn anderen Läufern von Königswinter, meiner Heimatstadt, zu unserer französischen Partnerstadt Cognac in der Nähe von Bordeaux gelaufen. Immer einer von uns war auf der Strecke, rund um die Uhr, bis wir nach fünf Tagen in Cognac angekommen sind. Das hat so viel Spaß gemacht, dass wir es wiederholen wollten. Da wir zufällig großteils über Jakobswege nach Cognac liefen, lag es nahe, dass wir bei der Fortsetzung 2015 einfach weiter über Jakobswege liefen, dann von Cognac weiter nach Santiago de Compostela und noch ein Stück weiter bis zum Ort Finisterre, dem Ende der Welt an der spanischen Westküste.

Am Leuchtturm Finisterre am Ende
des Spendenlaufs 2019 © Volker Brusius

Seitdem wir dort am Leuchtturm standen, hatte ich den Traum, einmal allein von meiner Heimatstadt im Siebengebirge bis ans Ende der Welt zu laufen, ca. 2.500 Kilometer. Im März 2019 habe ich es endlich wahrgemacht. Anstoß war eine persönliche Spendenaktion für die Ausbildung eines Assistenzhundes. Ich bin als Spendenläufer gestartet und als spendensammelnder, joggender Pilger angekommen.

Wie äußerte sich diese Veränderung vom Jogger zum Pilger?

Am Anfang war es für mich eine sportliche Sache, aber schon am fünften Tag in Luxemburg wurde das Laufen meditativ. Während des Laufens habe ich kaum Menschen getroffen und hatte sehr viel Zeit für mich. Gerade in den ersten Wochen habe ich mich zum Beispiel mittags gefragt: Wo war ich eigentlich am Vormittag? Ich musste feststellen, dass ich mich teilweise kaum daran erinnern konnte, wo ich vor ein paar Stunden langgelaufen war, so versunken war ich. Es wurde spiritueller. Nach zwei bis drei Wochen habe ich mich wirklich als Pilger gefühlt, ein joggender Pilger.

Ist dabei auch die Idee zum eigenen Geschäft für Lauf- und Wanderschuhe entstanden?

Nein, noch nicht. Nach diesem Spendenlauf hat mich der Drang, wieder los zuziehen, erstmal nicht mehr losgelassen. Eigentlich kam ich danach gar nicht wieder richtig an. Es war diese Freiheit, die glaube ich jede/r Langstreckenwandernde kennt, draußen in der Natur unterwegs sein, sich um nicht viel anderes kümmern müssen als ein bisschen Verpflegung und einen Schlafplatz. Aber Gedanken um meine Altersvorsorge – ich war da Ende 40 und bisher mein ganzes Leben lang selbstständig gewesen, u. a. bereits mit einem Sportfachgeschäft – und natürlich auch die Corona-Restriktionen hielten mich erst einmal von einer weiteren Tour ab. Aber im Februar 2022 musste ich dann einfach wieder los; erst über Holland nach England, dann nach Schottland bis auf die Orkney-Inseln.

Während der Tour kam ich recht schnell zu der Erkenntnis: Wenn ich wieder zuhause bin, wann immer das sein wird, dann mache ich etwas, wofür mein Herz brennt. Draußen zu Fuß unterwegs zu sein, das war mein Leben und so kam die Idee, wieder ein eigenes Geschäft für Lauf- und Wanderschuhe aufzumachen.

Jetzt fehlt in Ihrer persönlichen Entwicklung noch der Schritt zum Wandern.

Das kam erst auf dem Rückweg. Auf dem Hinweg bin ich gejoggt, aber als ich dann nach vielen Wochen im Zelt auf den Orkney-Inseln in Schottland ankam und das erste Mal wieder auf einer weichen Matratze schlief, habe ich einen solchen Hexenschuss bekommen, dass sich das Joggen quasi von allein erledigt hat. Ich musste mich aber irgendwie bewegen und so ist aus dem Lauf dann eine Wanderung geworden. Erst da habe ich es geschafft, runterzukommen, mich zu entspannen.

Ich habe aufgehört Kilometer zu zählen und angefangen, das Wandern als reinen Genuss zu empfinden. In Canterbury, südlich von London, beginnt der Pilgerweg Via Francigena. Dem bin ich gefolgt bis nach Lausanne in der Schweiz und dort bin ich auf den Jakobsweg abgebogen und bis nach Santiago gegangen.

Sonnenaufgang auf dem galicischen Jakobsweg © Volker Brusius

Dann haben Sie so ziemlich jede Facette des Laufens und Wanderns kennengelernt. Was unterscheidet Pilgern vom Wandern?

Das ist nicht so leicht voneinander abzugrenzen. Wandern geht eher Richtung Naturerlebnis, bestimmte Wege und Landschaften sehen. Beim Pilgern sind die abenteuerlichen Pfade vielleicht eher in einem selbst. Aber die Grenzen verschwimmen.

Gehen Sie heute noch wandern oder pilgern? Juckt es Ihnen noch in den Füßen?

Längere Touren gehen im Moment mit dem Geschäft nicht mehr, aber ich versuche meinen Arbeitsweg so gut es geht läuferisch zurückzulegen. Der Juckreiz ist komplett weg. Diesen Drang, wieder losziehen zu müssen, spüre ich nicht mehr. Ich glaube, das was ich unbedingt erleben wollte, habe ich auf meiner letzten großen Tour erlebt. Vor allem zum Schluss auf dem spanischen Jakobsweg habe ich innerlich für mich so viel gefunden, neue Ziele und Erkenntnisse, mit denen ich sage, ich muss nicht mehr auf Reise gehen, das ist ein anderes Kapitel. Meine Motivation ist jetzt der Laden.

Was motiviert Sie in Ihrem Laden?

Ich möchte hier Menschen helfen, ihre Ziele in Sachen Bewegung zu Fuß zu erreichen, egal ob Spaziergänger, Läufer oder Pilger. Es muss natürlich auch Geld reinkommen, aber was mir echt zu Herzen geht, sind die Gespräche und der Erfahrungsaustausch mit den Menschen. Das, was man draußen bei so einer Wanderung erlebt, das nimmt einem keiner mehr, das nimmt man mit. Wenn ich im Sterbebett liege, erinnere ich mich nicht an den Kontostand an einem Tag X, aber an die wunderbaren Erlebnisse schon.

Volker Brusius bietet in seinem Geschäft auch
eine Ganganalyse an. © Volker Brusius

Welchen Anteil haben Schuhe daran?

Also zumindest kann der falsche Schuh unter Umständen dazu führen, dass man die Reise abbricht. Auf dem Jakobsweg sieht man leider recht viele Menschen, die sich quälen und daher schleppen. Ich denke, das liegt vielfach an der falschen Schuhwahl. Das zeigen mir auch meine Begegnungen mit Kundinnen und Kunden. In meinem Geschäft kann ich eine Ganganalyse machen und zeigen, wie der Schuh aufgebaut sein sollte, welcher Schuh für welche Unternehmung richtig ist und mit technisch fundierter Unterstützung helfen.

Was finden Menschen in Ihrem Laden?

Neben den passenden Schuhen auch Motivation und Inspiration, sich auf den Weg zu machen. Ich führe fast täglich schöne Gespräche. Es ist aber auch erstaunlich, wie viele sich mit dem Gedanken beschäftigen, loszugehen und es noch nicht machen. Viele haben Schwierigkeiten gesundheitlicher oder emotionaler Art und versuchen, etwas auf dem Weg zu finden oder etwas dort zu lassen, wie bei mir.

Was haben Sie auf dem Weg gelassen?

Depressionen, Schlafstörungen und zum Ende sogar eine Magen-Darm-Erkrankung, ich nehme keine Medikamente mehr gegen meine Colitis Ulcerosa. Ich finde es toll, wenn ich meinen Teil dazu beitragen kann, dass andere Menschen ähnliche Erfahrungen machen können wie ich. Ob es ein 80-jähriger Mann ist, der mit neuen Schuhen jetzt wieder seinen Spaziergang schafft, ein Läufer, der einen Marathon in drei Stunden läuft oder ein Fernwanderer, der nach Santiago geht.

Vielen Dank, Herr Brusius, für das Gespräch und Ihre Zeit!

 

www.pilgerjogger.de

Die Fragen stellten Svenja Walter und Marieke Wist