Stadtwälder sind besonders während der Pandemie für viele Menschen zu einem Zufluchtsort geworden. Eine Studie und ein besonderes Kunstprojekt im Bonner Kottenforst zeigen, dass Stadtwälder auch wertvolle Orte der Begegnungen sind – mit der Natur und den Veränderungen unserer Zeit.
Ganz schön viel los im Wald
Eine Studie des European Forest Institute (EFI) in Bonn bestätigt den Eindruck, der sich vielen Waldbesuchern bereits aufgedrängt haben dürfte: Es ist voller geworden im Wald. Während des ersten Lockdowns konnten die Forscher im Kottenforst an der Stadtgrenze zu Bonn eine Steigerung der Besucherzahlen von 210% feststellen. Jakob Derks, Forscher am EFI in Bonn, wollte mit der Studie jedoch nicht nur die Menschen im Kottenforst zählen. Ihn interessierte auch, wonach die Menschen im Wald suchen, welche Einstellungen sie gegenüber der Natur und der Forstwirtschaft hegen und was sie bei der Betrachtung unterschiedlicher Waldareale empfinden.
Das European Forest Institute forscht am Standort in Bonn zur Widerstandsfähigkeit der Wälder und will unter anderem den Austausch zwischen Wissenschaft, Politik, Forstwirtschaft und der Bevölkerung fördern.
Deshalb führen Derks und seine Kollegen bereits vor der Pandemie knapp 300 Interviews mit den Besuchern des Bonner Stadtwaldes, 50 weitere während des ersten Lockdowns. Die meisten der befragten Waldbesucher leben in der Nähe des Kottenforstes und gaben an, im Wald Ruhe, Erholung und frische Luft zu suchen. Laut Derks verbinden viele Menschen bestimmte Gerüche und Geräusche mit dem Kottenforst, wie Blätterrascheln, Vogelgezwitscher oder Stille, die wiederum ganz bestimmte emotionale Assoziationen hervorrufen, z. B. Frieden, Kindheit oder Freiheit. Soweit so gut.
Derks fragte die Besucher außerdem nach ihrem Verständnis und ihrer Akzeptanz für die Forstwirtschaft. Als ehemaliger Förster habe er die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen die Forstwirtschaft eher als negativ für den Wald wahrnehmen. Bei seinen Gesprächen im Kottenforst zeigten die Menschen insgesamt eine hohe Akzeptanz für die Waldbewirtschaftung. Nur bei jüngeren Menschen sei das Verständnis für Holzproduktion geringer gewesen. Das Fällen kranker Bäume hingegen, z.B. aufgrund von Borkenkäferbefall, fände Zustimmung und Verständnis. In einem Gespräch mit der Redaktion erklärt Derks: „Eigentlich ist diese Personengruppe relativ umweltbewusst. Sie eignet sich viel Wissen aus verschiedenen Medien an. Im Unterschied zum Borkenkäfer wird die Forstwirtschaft in den Medien jedoch weniger gezeigt.“ Gleichzeitig machten die jüngeren Generationen nur einen kleinen Teil der Waldbesucher aus: Weniger als 20 % der Befragten waren jünger als 40 Jahre, nur 3 % jünger als 25 Jahre.
Potenzial für mehr Begegnungen
Mit der Pandemie kommen auch viele „neue“ Besucher in den Stadtwald, die weniger vertraut seien mit dem Wald und mit den Praktiken der Forstwirtschaft. Das zeigt sich auch in einer deutlichen Zunahme der Online-Anfragen und Facebook-Aufrufe beim zuständigen Regionalforstamt Rhein-Sieg-Erft. Wie in so vielen Bereichen lässt die Pandemie auch im Stadtwald bestimmte Zusammenhänge und Situationen deutlicher in den Vordergrund treten, verdichtet und intensiviert sie. Einerseits sorgt das größere Besucheraufkommen für Konfliktpotenzial, denn die Menschen haben unterschiedliche Erwartungen an den Wald, z. B. Waldbesucher und Forstarbeiter, und nutzen ihn auf unterschiedliche Weise, z. B. Radfahrer und Wanderer. Andererseits ergibt sich ein Potenzial für mehr Begegnungen zwischen Mensch und Natur, zwischen den Waldbesuchern und Förstern, ein Potenzial für mehr Dialog und mehr Verständnis. Aufmerksame Waldbesucher bemerken die Veränderungen des Waldes, nicht zuletzt die aufgrund der Trockenheit und Borkenkäfer absterbenden Fichtenbestände. Die Anblicke der grauen Baumgerippe werfen Fragen nach dem Umgang der Menschen mit dem Klimawandel auf. Der Borkenkäfer ist dabei nur eines der Phänomene, ein Symptom der Veränderungen unserer Zeit. Er macht den Wandel sichtbar auch für die „neuen“ Besucher im Wald und polarisiert geradezu.
Müssen wir uns Sorgen machen um den deutschen Wald und wie sieht seine Zukunft aus? In Gesprächen mit einem Forscher (Jakob Derks), einem Förster und einem Naturschützer zeigt sich: Die Antworten auf diese Fragen sind so vielschichtig wie der Wald selbst. ⇒ Wald im Wandel.
Zeitenwende
Vor genau diesem Hintergrund steht das Projekt „wald.anders.denken“ im Kottenforst und zwar ganz wortwörtlich. Auf einer kahlen Waldfläche prangt in großen weißen Buchstaben das Wort „ZEITENWENDE“ vor absterbenden Fichtenstämmen. Von einem asphaltierten Weg gehen wir auf einen mit Holzhäckseln eingestreuten Pfad und auf die „ZEITENWENDE“ zu. Der Wechsel des Untergrunds lässt unsere Schritte langsamer werden, aufmerksamer und bedächtiger. Links des Weges befindet sich ein für Amphibien angelegter Weiher, rechts kunstvolle Fotografien und Tafeln mit Zitaten. Je näher wir den großen Buchstaben kommen, desto mehr Demut steigt in uns auf.
Zurück auf dem asphaltierten Weg sitzen wir auf einer Holzbank und blicken noch lange auf das auffällige Kunstwerk, das einen so starken Kontrast zum Wald bildet, das man nicht darüber hinwegschauen kann. Wir versuchen unsere Gedanken und Gefühle zu sortieren. Einige Meter weiter hängen dutzende Zettel an einem Stapel Baumstämme, darauf handschriftlich die Gedanken, die die „ZEITENWENDE“ bei anderen Menschen auslöst. Es ist so als würde man an diesem Ort dem Elefanten im Raum, besser gesagt im Wald, begegnen. Fragen werden gebündelt, Sorgen und Ratlosigkeiten aufgegriffen, Empörung und Hoffnung finden einen Platz. Mit dem Projekt „wald.anders.denken“, zudem viele weitere Kunstdarstellungen und Veranstaltungen gehören, macht das Regionalforstamt Rhein-Sieg-Erft gemeinsam mit dem EFI auf das Waldsterben im Kottenforst aufmerksam. Viel mehr noch schaffen sie jedoch neue gedankliche Zugänge zum Wald, seiner nachhaltigen Bewirtschaftung und seiner globalen Bedeutung für unser Weltklima. Im Kottenforst hat die Zeitenwende schon begonnen. Auf dem Kahlschlag, wo vor wenigen Jahren ein Wald aus Fichten stand, wurden kleine Gruppen aus Eichen, Linden und Erlen gepflanzt. Dazwischen bleibe genug Platz für eine natürliche Verjüngung des Waldes, informiert eine Infotafel. Dieser Mischwald sei dann hoffentlich so vielfältig und stabil, dass er dem Klimawandel standhalten könne.
Natürlich schön?
Für den Dialog zwischen Besuchern und Förstern spielt die Schönheit und Natürlichkeit des Waldes in den Augen der Besucher eine nicht unerhebliche Rolle, vermuten Derks und seine Kollegen. Sie wollten wissen, welche Waldbestände die Besucher im Kottenforst als schön empfinden und inwieweit das mit der tatsächlichen oder wahrgenommenen Natürlichkeit derselben Waldbestände zusammenhängen könnte. Dazu befragten sie Waldbesucher an 15 ausgewählten Orten im Kottenforst, deren Waldbestände sich im Alter der Bäume, der Art der Bewirtschaftung und Zusammensetzung der Baumarten unterscheiden. Tatsächlich zeigen die Antworten eine hohe Übereinstimmung zwischen den von Besuchern als schön und den als natürlich empfundenen Waldbeständen. Das bedeutet, die meisten Menschen fanden die Waldabschnitte schön, die sie gleichzeitig als natürlich empfanden oder umgekehrt. Dies waren in der Regel Waldbestände mit verschiedenen Baumarten und jungen wie alten Bäumen gemischt.
„Im Allgemeinen fanden die Menschen den Kottenforst sehr natürlich. Das ist deshalb interessant, weil der Kottenforst nicht natürlich ist“, sagt Derks. Er wird seit Jahrhunderten von Menschen bewirtschaftet und gepflegt. Forstwirtschaft und Förster können also, wenn sie es „richtig“ machen, so Derks, einen positiven Einfluss darauf nehmen, wie Menschen den Wald wahrnehmen. Am besten könne man das am Beispiel der großen alten Eichen deutlich machen: „Diese Eiche steht da, weil ein Förster sie vor vielen Jahren angepflanzt hat oder zumindest dafür gesorgt hat, dass sie als junger Baum nicht von den Buchen überschattet wird.“ Die Eiche sei zwar zurecht ein Sinnbild für Stärke und Langlebigkeit, sie ertrage auch Hitze oder Nässe verhältnismäßig gut, was sie aber nicht vertrage, sei Schatten. Hier gewinnen die jungen Buchen den Wettkampf um das Licht und machen es den jungen Eichen schwer.
Der Kottenforst ist laut Derks ein gutes Beispiel für den Ansatz des „Integrated Forest Managment“. Das Ziel dieses Ansatzes ist es, mehrere Waldfunktionen miteinander zu vereinen. Im besten Fall ergibt das einen nachhaltig bewirtschafteten Wald, der eine relativ große Artenvielfalt aufweist und noch dazu von den Menschen als schön empfunden und als Erholungsort aufgesucht wird. Laut den Forschern des EFI bleibt abzuwarten, wie sich die steigenden Besucherzahlen auf die Artenvielfalt auswirken. Aber ihre Studie und das Projekt „wald.anders.denken“ zeigt, dass Stadtwälder besondere Orte der Begegnung sein können.
Infos:
www.efi.int/bonn
www.wald-und-holz.nrw.de
www.villewaelder.de
www.integratenetwork.org