Text & Bilder von Ricarda Große

Gänsegeschnatter und Brunnenstimmen im Park

Unter meinen Schuhen knirscht der Kies. Der geschwungene Weg führt mich durch den Marienburgpark in Monheim am Rhein. Die Parkanlage ist ein willkommenes schattiges und grünes Idyll an diesem warmen Tag. Sanft murmelt mir etwas entgegen. Gänsegeschnatter? 

Wer wohnt hier? – „Yes There No Where“ von Robert Wilson

Die Quelle der Laute erreiche ich schon bald. Auf der Wiese im Park hat eine Kunstinstallation von Robert Wilson „Yes There No Where“ seit kurzem ihren Platz gefunden. Neugierig verlasse ich den Kiesweg und betrete einen angelegten Pfad, der mich zum ersten Teil des Kunstobjektes führt: ein kleines schmales Holzhaus, groß genug, dass ich darin stehen könnte, wenn nicht schon jemand anderes den Innenraum einnehmen würde. Eine überdimensionale Gansfigur blickt mich an, als ich leicht in die Knie gebeugt durch die Fenster des „Spielzeughauses“ schaue. Die verrückte Perspektive ist eindeutig eine Einladung für Kinderbeine. Der räumliche Kontrast bringt mich zum Schmunzel. Begleitet von der Audiospur des Gänseschnatters erkunde ich jede Seite des Hauses. Dabei rauscht der Wind durch die Baumkronen des Parks. Obwohl ich weiß, dass ich nur wenige hundert Meter von der Innenstadt und dem Trubel entfernt bin, erlaubt mir die Kunstinstallation von all dem wegzutreten und mich auf etwas Neues einzulassen. 

Blick durch die Fenster

Hinter dem Gänsehaus warten drei zunächst unscheinbare hüfthohe Betonzylinder. Ich beuge mich über den Rand und schaue in die Tiefe eines mit Kupferfarbe ausgekleideten, lichtreflektierenden Brunnen. Eine Stimme trägt ein Gedicht vor, Kinderreime und Melodien klingen aus dem Objekt. Die Brunnen erinnern mich an Märchenwelten, versteckte und vielleicht auch etwas unheimliche oder mystische Szenen. Besonders die kupferfarbene Beschichtung lässt mich auch an den Kosmos, Satelliten und Co. denken. Das Gedankenkarussell ist auf jeden Fall am Laufen. Genau so will ich, dass mich Kunst abholt und mir Raum gibt Interpretationen, Impression und Gedanken spielen zu lassen. Warum gefällt mir etwas, warum nicht? Welche Erinnerungen oder Vergleiche kommen auf? Was entdeckt wohl jemand anderes in dem Kunstwerk?

Robert Wilsons Installation ist nur eins von vielen Kunstobjekten, die im öffentlichen Raum von Monheim am Rhein zum Innehalte und aktiven Wahrnehmen einladen. Und genau das schaue ich mir genauer an auf meiner Spazierwanderrunde, die mich durch die Innen- und Altstadt, in die Natur am Rheinbogen, über die Rheinpromenade zurück zum Bahnhof, meinem Ausgangspunkt, führt. Ich empfehle sehr eine Person mit auf diese Reise zu nehmen. Denn zu zweit lässt es sich gleich viel besser über die Kunst austauschen, während der Gang durch die Wiesen, Wäldchen sowie Gassen genossen wird. Und außerdem sehen zwei Paar Augen so viel mehr, denn neben der Kunst ist auch die Tier- und Pflanzenwelt unterwegs zu beobachten.

Kunstspazierwanderweg in Monheim am Rhein

ca. 13 km | keine nennenswerte Steigungen | Ausgangspunkt: Busbahnhof Monheim am Rhein

auch mit dem Rad befahrbar | Abstecher und Abkürzungen jederzeit möglich 

Hinweis: Diese Runde ist von mir selbst geplant und kann dementsprechend individuell angepasst werden oder auch nur als grobe Orientierung genutzt werden. Asphalt und Kies dominieren den Verlauf, da wir uns zum größten Teil im oder am Rand des städtischen Gebietes aufhalten. 

Kunstgenuss mit jedem Schritt – ein wanderbarer Museumsbesuch unter freiem Himmel

Gelber Hingucker am Eierplatz: „Social Playground Monheim“ von Jeppe Hein.

Die Kunstwerke, die ich zusammen mit Ninja Walbers, Kunstvermittlerin der Kunstschule Monheim am Rhein, an diesem Tag anlaufe, sind alle voneinander unabhängig erschaffen worden. Den Künstler:innen wurde freier Raum gelassen, wie ein Ort durch eine Skulptur oder Installation erweitert werden kann. Das Schöne an dieser Herangehensweise, die Kunstwerke stehen immer in Bezug zu ihrem Umfeld. Eine symbiotische Grundlage, die aber durch die Kontraste des Werkes selbst Reibungspunkte mit seiner Umwelt bilden kann. Schnell wird mir klar, dass ich an diesem Tag Monheim am Rhein noch mal von einer ganz anderen Seite aus kennenlerne.

Tipp: Es werden Kunstführungen durch die Stadt per Rad und zu Fuß angeboten. Auch ganz individuelle Themenführungen mit den sogenannten Monguides sind auf Anfrage möglich.

Die drei Säulen der Skulptur „Points of View" von Tony Cragg
bilden die Schwelle zwischen Busbahnhof und Fußgängerzone. 

Neben Robert Wilsons Installation kommen wir auch an dem als Spielplatz nutzbaren Werk „Social Playground Monheim“ vom dänischen Künstler und Bildhauer Jeppe Hein vorbei. Die gelb leuchtende Bögen und Kurven der Elemente laden zum Klettern, Sitzen und Schaukeln ein. Aber auch der Abstecher zum überdimensionalen Plattenspieler „Haste Töne“  der Künstlergruppe Inges Idee auf einem Verkehrskreisel gefällt mir. Die drei unförmige Kupfersäulen der Skulptur  „Points of View“ von Tony Cragg wirken dagegen auf mich wie ein Tor zwischen Busbahnhof und Fußgängerzone. Das Werk lädt zum Perspektivenwechsel ein. Je nachdem, wie man sich selbst positioniert, werden Silhouetten in den Säulen sichtbar. Andächtig und ruhiger wird es dann an der St. Gereon Kirche vor dem Franz-Boehm-Denkmal von Thomas Kesseler. Der Pfarrer Franz Boehm stellte sich mit seinen Taten und Worte immer wieder während des Nationalsozialismus gegen die Propaganda und Gewalttaten des Regimes und zahlte den Preis dafür mit Gefangenschaft und Tod. Die zwei riesigen Glasscheiben lassen schwarz-weiß Fotografien der zerstörten Kirche eindrücklich aufleben. Dazwischen steht die Büste Franz Boehms – einfach, rau, und grob gehalten. Ein Mensch zwischen tonnenschweren Glasplatten – für mich eine Aussage von Mut und Risiko.

Gänseliesel mal anders

Nahaufnahme der Skulptur „Leda"

Mit vielen neuen Gedanken geht es in Richtung Uferpromenade und Norden der Stadt. Auch hier sind mehrere Kunstwerke anzutreffen. Monguide Andreas Eidens zeigt mir, wo ich stehen muss, damit die wie Orgelpfeifen wirkenden Zylinder der „Vierten Dimension“ von Karl-Heinz Pohlmann, die Schallwellen meiner Stimme akustisch aufleben lassen – als stände ich in einem großen Saal und nicht mitten am Ufer des Rheins. Highlight am nördlichsten Punkt meiner Spazierwanderrunde ist für mich allerdings die „Leda“ von Markus Lüpertz. Die Skulptur steht auf einem mehrere Meter hohen Betonsockel am Ufer des Rheins. Der Rad- und Fußgängerweg führt direkt vorbei und ein Plateau mit Holzsitzbänken lädt zum Pausieren ein.

Wander-Tipp: Weiter in Richtung Norden am Ufer entlang gelangt man schließlich zur Urdenbacher Kämpe (Hier geht's zum passenden Tourentipp). Von der „Leda" aus kann man das grüne Idyll bereits erspähen.

Die Skulptur nimmt Bezug auf die ikonische Gänseliesel der Stadtgeschichte. Doch an Stelle eines jungen, zierlichen Mädchens hält die Figur mit breiten Hüften, Schultern und massigen Körper eine etwas unförmig aussehende Gans unter dem Arm. Ich empfehle auf einer der Bänke Platz zu nehmen und die Skulptur etwas länger zu betrachten, Details zu finden und dabei den Blick ab und zu an ihr vorbei auf das Wasser, die Angler auf den Buhnen und die am Horizont erkennbaren Industriekamine Leverkusens schweifen zu lassen. Ich habe dabei mehr und mehr Gefallen an der etwas anderen Gänseliesel gefunden.

Blick von der Rheinpromenade auf die Buhnen und Schiffe.

Zurück in Richtung Innenstadt dampft Wasser aus einem Verkehrskreisel und macht auf eine weitere Installation aufmerksam: der „Monheimer Geysir“ von Thomas Stricker. Ein künstlich angelegtes Naturphänomen mitten im Verkehr einer Stadt – paradox und interessant zugleich. Generell werden Verkehrskreisel gerne in Monheim am Rhein für Ausstellungsraum von Kunstobjekten genutzt. Neben dem Geysir und dem Schallplattenspieler finden sich „Schrei nach Freiheit“ von Bildhauer Saman Hidayat sowie die roten Häuser „Im Duett“ von Timm Ulrichs auf den runden Verkehrsbühnen.

Rheinbogen – Naturraum, der Geschichte erzählt

Die vielen Kunsteindrücke verarbeiten sich ganz wunderbar
an solchen Pausenoasen mit Blick ins Grüne.

Mit all der Kunst und den vielen Eindrücken im Gepäck, geht es nun ins Grüne. Mein Kopf ist voller Gedanken und Gefühle, um diese zu sortieren, geht es jetzt eine Runde durch den Rheinbogen. 
Dieses angelegte Areal von 300 Hektar ist ein Rückzugsraum für die Tierwelt am Rhein, landwirtschaftlich genutzte Fläche und dient zugleich als Überschwemmungsfläche bei Hochwasser. Für einen vertieften Einblick steht Albert Begon an meiner Seite – Revierleiter und seit 40 Jahren mit dem Rheinbogen und dessen Natur verbunden. Er erzählt und zeigt mir Besonderheiten dieser Flora und Fauna, wo der alte Deich verlief und was der neue Deich heute mit seiner rund 25 m tiefen Dichtwand leistet. Von 2000 bis 2002 wurde der damalige Deich zurückverlegt und mehr Überschwemmungsfläche freigegeben. Die riesige Baustelle verwandelte das Areal, ein Campingplatz, einige Bäume und das Gut Oedstein mussten weichen. Heute haben sich die Pflanzen und Tiere von dem Umbau erholt. Früher einmal war der Teil, auf dem wir heute unterwegs sind, eine Insel vor den Mauern Monheims. Ein Zollhaus stand hier am Ufer, leider ist sein genauer Standort heute nicht mehr bekannt. Der Altrhein floss damals etwa dort entlang, wo heute die Bleer Straße verläuft. Die Senke des alten Flussbettes ist immer noch zu erkennen.

Tier- und Pflanzenwelt im Rheinbogen

In nur wenigen Schritten lässt man die Stadt und Straßen hinter sich
– der Rheinbogen begrüßt mit viel Natur.

Im Rheinbogen fühlen sich viele Tierarten wohl, es sind mittlerweile sogar knapp zehn Rehe unterwegs. In den Wipfeln der Wäldchen wachen Schleiereulen, Hasen flitzen über die Acker und Wiesen, Reiher und Störche sind anzutreffen. Generell sind die Flächen ein Paradies für Bodenbrüter und deshalb ist darauf zu achten, auf den markierten Wegen zu bleiben und Hunde anzuleinen. Eine Etappe des Neanderlandsteigs führt den gesamten Bogen entlang, ebenerdige Radwege ziehen durch das Grün, Jogger sind unterwegs. Eine Schafherde grast in einem abgesteckten Bereich am Ufer des Rheins, während Krähen von den Bäumen starten und landen. Wir sehen sogar einen Kolkraben, der neben den Schafen mit seiner enormen Größe von den restlichen Krähen zu unterscheiden ist.

Wander-Tipp: Der Naturerlebnispfad führt an elf Stationen vorbei und ist für kleine und große Naturfans eine schöne Möglichkeit zu Fuß den Rheinbogen zu entdecken. Für noch mehr Rätsel und Lernspaß kann gegen Pfand ein fertig gepackter Entdeckerrucksack im Café „Tante Tina" in der Altstadt ausgeliehen werden. 

Zottelige Bewohner im Rheinbogen – Highland Rinder am Naturerlebnispfad.

An einem unscheinbaren Wäldchen, umstellt von dichten Hecken, erklärt mir der Revierleiter, dass im Inneren ein altes Baggerloch als Teichrefugium für Graureiher dient. Das Gelände ist umzäunt. Hier kommt kein Mensch rein und das ist auch gut so, damit den Tieren zwischen den Wegen und bestellten Ackerflächen Ruheoasen erhalten bleiben. In Richtung Deich und dem Kunstwerk „Haste Töne“ am Verkehrskreisel macht mich Albert Begon auf Bewegung am Rand des Feldes aufmerksam. Erst durch den Feldstecher kann ich die gut getarnten Fasane ausmachen – ein Weibchen mit mehreren Jungtieren, auch ein Hahn ist dabei. Bussardpaare und Habichte sind die Jäger in den Lüften über dem Gebiet. Die Natur ist immer im Wandeln und so kommen wir an einer Gruppe von Silberpappeln vorbei, die kahl inmitten der sonst grünen Landschaft stehen. Hier hat wohl ein Pilz gewütet. In akuten Fällen wird vom Menschen eingegriffen, denn das Areal wird nicht sich selbst überlassen. Regelmäßige Zählungen von Tierbeständen gehören dazu, aber auch der Kontakt und Austausch zu den Besucher:innen, um Wissen zu vermitteln und mögliche Probleme des Nutz- und Erholungsraumes rechtzeitig zu erkennen. 

Ich spüre jetzt doch die vielen Kilometer in den Füßen und verabschiede mich in Richtung Innenstadt. Cafés, Restaurants und Lokale laden dazu ein, sich vor der Heimreise zu stärken. Ich lehne mich zurück, genieße meinen Iced Coffee und sehe den Menschen dabei zu, wie sie vor dem Springbrunnen auf dem Eierplatz Fotos machen und Kinder lachend von den gelben Spielplatzelementen ins kühle Wasser rennen. Schön war es wieder hier zu sein. 


Lust noch mehr zu Monheim am Rhein zu lesen? Dann geht es hier zu einer weiteren Reportage: Römer, Gänseliesel, Aalfischerei und Altrhein.