Text & Bilder von Andrea C. Bayer
Es ist Mittag. Ich gehe neben Beate Klittich am Bach entlang. Der Bach führt in den sieben Kilometer lang gezogenen Ort Enzklösterle hinein. Wir wandern entgegen seiner Fließrichtung und haben Wald im Blick. „Das ist der Spielwald meiner Kindheit”, sagt Beate. Heute ist der Spielwald Bannwald und Beate zertifizierte Wanderführerin. Zwischen Spielwald und Bannwald liegen Orkane wie Wiebke und Lothar, Borkenkäferattacken und Klimaveränderungen. Zwischen der Beate von damals und heute liegen 40 Berufsjahre als Kindergärtnerin. Was geblieben ist, ist ihre Nähe zur Natur.
Beate nimmt uns mit ins Bärlochkar. Hinein in den Urwald, der seit 1997 unberührt sein darf. Beate bückt sich. Behutsam nimmt sie einen Heidelbeerzweig zwischen ihre Finger. Ein Strahlen huscht in ihr Gesicht. „Die Heidelbeere blüht!” Ich muss mich kaum bücken, um die rosa-lachsfarbenen, zarten Blütenhüllen zu sehen. Bis zu meinen Knien reichen die Heidelbeerbüsche, die unseren Weg säumen.
Markenzeichen Heidelbeere
Heidelbeeren sind historisch so etwas wie das Zusatzkapital für die Menschen in und um Enzklösterle. Heute als Heidelbeerdorf bekannt, in dem man auf keinen Fall das Stück Heidelbeertorte im Heidelbeerhaus verpassen sollte, war Enzklösterle einst ein armer Ort. Im Sommer wurden die Kinder in die Heidelbeeren geschickt. Der Erlös aus der gepflückten Ausbeute war das Zubrot der Familien für notwendige Anschaffungen wie beispielsweise Winterstiefel. Heute feiert Enzklösterle jährlich im Juli ein Heidelbeerfest.
Die Heidelbeeren sind eine Konstante auf meinen Wanderungen im Nördlichen Schwarzwald. Und sie sind eine dieser Landschaftszutaten, die mich immer wieder innehalten lassen: Hochmoor, Felsen, Wald und schmale Pfade, auf denen ich stundenlang alleine unterwegs bin, lenken mein Gefühl regelmäßig gen Norden. Das hier, das fühlt sich an wie meine Lieblingslandschaften in Nordeuropa. Aber hey – ich bin im Süden! Im Schwarzwald. Gar nicht weit weg von meiner Ursprungsheimat auf der Schwäbischen Alb.
An meinem zweiten Wandertag wird das Gefühl noch intensiver. Ich bin mit einer Mädelsgruppe unterwegs. Mal wird getratscht und gelacht, mal schweigend vor sich hin gegangen. Der Weg wird schmaler und schmaler. Der Boden wird weicher. Der Bewuchs links und rechts scheint einen Wettbewerb um das satteste Grün des Tages ausgelobt zu haben. Ich gehe einen Schritt zur Seite. Ich brauche einen Moment für mich. Um das Gefühl zuzulassen und zu begreifen, in welch unfassbarer Naturschönheit ich hier unterwegs sein darf.
Regenwald und Fibonacci-Zahlen
Derweil presst der Himmel kleine Tränen aus. Wir sind dankbar für etwas Waldschutz und wieder breitere, mit mittelbraunen Nadeln übersäte weiche Wege, auf denen wir zügig gehen können. Unter dem Dach der Rasthütte „Toter Mann” machen wir Pause. Auerhahnsteig, Hohlohmoor, ein Stück der Fernwanderroute Westweg – wir haben schon einiges erlebt heute. Und viel gelernt. Wir sind mit Schwarzwaldguide Renate Fischer am Infozentrum Kaltenbronn gestartet. Ein perfekter Ausgangspunkt für Erlebnisse in der Natur und Hintergrundwissen zu Mooren, Wäldern und Tierleben! Wir haben erfahren, dass es rund um Kaltenbronn Auerwild gibt, die Population der gefährdeten Tierart aber immer kleiner wird. Weniger als 20 Auerhähne gibt es noch in dieser Region.
Wir staunten über vermeintliche Kleinigkeiten der Abteilung „Wunder der Natur” und das Vorkommen sogenannter Fibonacci-Zahlen in Kiefernzapfen, Gänseblümchen und Romanesco. Wir betraten ehrfürchtig das Moor und stapften mit unseren Wanderschuhen auf über 10.000-jähriger Geschichte und einer etwa acht Meter dicken Torfschicht herum. Das Ganze auf einer Höhe von rund 900 Metern über dem Meeresspiegel und inmitten eines sensiblen Ökosystems, mit typischen Hochmoorbewohnern wie Wollgras und Sonnentau und mit Torfmoosen, die das 30- bis 40-fache ihres Eigengewichts an Wasser aufnehmen können. Dazu kleine Seen, die hier oben den Namen Kolke tragen.
Auf dem Weg hinab ins Tal und zurück nach Enzklösterle habe ich viel Zeit, um über diese großen Fakten nachzudenken. Schweigend gehen wir hintereinander. Der Himmel weint mittlerweile ununterbrochen und zaubert eine Stimmung in Wälder und Täler, bei der man nicht anders kann, als an den Mythos vom mystischen Schwarzwald zu denken. Die Kontraste sind stark und der Regen ruft Lebewesen auf den Plan, die diese Stimmung ähnlich lieben wie ich: Feuersalamander robben vor uns durchs Gras. Ich strahle vor Glück, die Jacke und meine Regenhose vor Nässe.
Qualitätsregion mit Wohlfühlgarantie
Kontraste beschreiben auch die folgenden zwei Tage und Touren. Da sind Anhöhen mit weiten Blicken auf dem Dobel, einem Hochplateau mit Ortschaft, Wiesen und Wald. Da sind rauschende Bäche mit Felsblöcken in ihren Mitten und frisch grünem Buchenlaub am Ufer. Ferner sind da Höhlen, steile Anstiege und Birkenwäldchen auf meiner abgewandelten „Großen Runde über die Teufelsmühle” ab Bad Herrenalb und immer wieder dieser Gedanke daran, wie ähnlich sich Landschaften, die so weit auseinander liegen wie Skandinavien und der Nördliche Schwarzwald, doch sein können. Während ein Aspekt ohne jeden Zweifel typisch für den Süden ist: die uneingeschränkte Gastfreundschaft mit vollen Tellern und einem Humor, der manchen Gastgeber selbst schon lachen lässt, ehe sein zu sagender Satz beendet ist. Ja, man kann sich wohlfühlen in diesem Landstrich!
Einer, der sich hier so wohlfühlt, dass er als Zugezogener heimisch geworden ist, ist Peter Grambart. Der hellgraubärtige Mann mit der frühlingsgrünen Jacke und der Schwarzwaldvereins-Nadel am schwarzen Hut tauschte das Seefahrerleben gegen den Schwarzwald und führt, wie auch Beate, interessierte Gäste und Einheimische durch seine Wahlheimat. Als Wegewart hat er einen besonderen Blick für die Beschaffenheit der Routen und für die Beschilderung. Auf dem Weg „Ins Tal der Lehmänner” lerne ich, wie Wegweiser an Bäumen anzubringen sind, um nicht von der Borke gefressen zu werden. Überhaupt bin ich begeistert von der hervorragenden Beschilderung auf allen Wegen. Kein Wunder, dass der Nördliche Schwarzwald in diesem Jahr zur „Qualitätsregion Wanderbares Deutschland” geadelt wurde! Mit so viel unaufgeregtem Service und mit einer Freundlichkeit, die mich mit jeder Begegnung mehr darin bestärkt, dass ich möglichst bald nochmal wiederkommen möchte. Dann vielleicht sogar für eine Mehrtageswanderung. Hier, in dieser so nordisch anmutenden Landschaft weit im Süden Deutschlands.
Erstmal aber zehre ich von den Eindrücken dieser Reise. Ich schwelge in Erinnerungen an Wanderkreise, die sich geschlossen haben. Etwa, als ich auf meiner Runde ab Bad Herrenalb wieder über den Dobel komme und an der Hütte mitten auf der Wiese Pause mache, vor der wir am Vortag mit Peter im Gespräch standen. Sowie mit dem Gedanken an kulinarische Überraschungen wie den Forellen-Flammkuchen in der Eyachmühle. Ein erstes Mal für mich, bei dem am Ende ich diejenige bin, die über sich selbst lacht: Nicht nur, dass ich den Flammkuchen trotz seiner immensen Größe ratzeputz aufgegessen habe. Nein, ein Vanilleeis mit Salzkaramell gab’s auch noch obendrauf. Weil’s einfach unfassbar lecker ist, was Gabriele Späth und ihr Team in Bio-, Demeter- und regionaler Qualität zaubern. Alleine dafür lohnt ein Ausflug in den Nördlichen Schwarzwald!
Vier Tipps und Gründe für eine Wanderauszeit im Nördlichen Schwarzwald:
1.
Regenjacke an und los! Mit seinen Wäldern, Höhen und Tälern bietet der Nördliche Schwarzwald ganz besondere Stimmungen. Zu jeder Tages- und Jahreszeit und auch dann, wenn die Wolken tief hängen.
2.
Ob eine kurze Spazierrunde auf einem familienfreundlichen Naturerlebnispfad, eine sportliche Tages- oder eine Mehrtagestour – die Möglichkeiten sind schier unendlich und der Tourenplaner unterstützt die Planung.
3.
Über 1.400 Kilometer einheitlich markierte Wanderwege, wanderfreundliche Gastgeber und eine gute Erreichbarkeit von Wanderstart- und -zielpunkten: In der Qualitätswanderregion ist man aus gutem Grund in der Königsklasse der Wandererlebnisse unterwegs.
4.
Auerwild, Feuersalamander und die Luchse Finja und Toni – die Tierwelt im Nördlichen Schwarzwald verdient einen besonderen Blick. Es lohnt, sich einmal einer geführten Thementour anzuschließen, zum Beispiel ab dem Infozentrum Kaltenbronn.
Anreise:
Der Nördliche Schwarzwald umfasst das Gebiet zwischen südlich von Pforzheim, Nagold und Bad Herrenalb. Man kann gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen und sich dank gutem ÖPNV auch ohne eigenen PKW in der Wanderregion bewegen.Ein Tipp für Wanderer, die aus dem Norden kommen: Mit dem ÖBB-Nachtzug entspannt bis nach Karlsruhe und von dort aus weiterreisen!Übernachten:
Viele Unterkünfte sind hervorragend auf Wanderer eingestellt. Mit Leihrucksäcken im Hotelzimmer und Trockenräumen sowie mit Picknick- und Shuttleservice. Unsere Tipps: Das Enztalhotel in Enzklösterle mit seinem schönen Wellnessbereich und das Hotel Lamm in Rotensol mit seinem besuchenswerten Weinkeller.Tourentipp:
Die gute zwölf Kilometer lange Qualitätsrundwanderung „Ins Tal der Lehmänner” führt von Dobel aus durch Wälder, Blüh- und Obstwiesen hindurch, entlang fröhlich rauschender Bachläufe und hinein in Regional- und Kulturgeschichte, die auf dem Grund des ehemaligen Lehmannhofes bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgt werden kann. In die Hänge gebaute Erdkeller sind stumme Zeugen der Vergangenheit. Felsblöcke und Wurzelwerk laden Kinder auf den Wegen zum Balancieren ein. Satt gelbe Sumpfdotterblumen und bläulich-lilafarbene Teufelskrallen sind schöne Fotomotive. Und auf gar keinen Fall darf eine ausgiebige Pause in der Eyachmühle fehlen!
Weitere Infos zum Wandern, Erleben und Genießen im Nördlichen Schwarzwald gibt es auf www.mein-schwarzwald.de.