Fernwandern mit einem Dreijährigen auf Europas Jakobswegen zählt sicherlich zu den etwas außergewöhnlicheren Mutter-Kind-Zeiten. Daniela Krüger ist mit ihrem Sohn sechs Monate lang von Spanien nach Deutschland gewandert und erzählt uns im Interview von ihrem Wanderalltag, von unendlicher Gastfreundschaft und wie das Wandern ihr Leben bis heute prägt.


Du bist mit deinem dreijährigen Sohn Jakob als alleinerziehende Mutter auf dem Jakobsweg gewandert. Ist das nicht super anstrengend?
Die Menschen, die uns nicht gesehen, sondern nur davon gehört haben, stellen mir fast immer diese Frage. Die Menschen hingegen, die wir unterwegs getroffen haben, reagierten eher mit Bewunderung und fanden es mutig, was wir machen. Sie haben in erster Linie gesehen, dass wir glücklich sind und wollten wissen, wie man so eine Lebensfreude entwickelt. Am Anfang hatte ich schon Bedenken wegen des Wetters und der Unterkünfte. Wir sind während des ersten Corona-Lockdowns gewandert und hatten ein Zelt dabei, haben aber über Monate hinweg vor allem in Frankreich fast täglich Einladungen bekommen, bei Menschen zuhause zu übernachten. Ich habe nachher kaum noch etwas organisieren müssen, alles hat sich im Laufe des Tages irgendwie ergeben.

Wie erklärst du dir das?
Je länger wir gelaufen sind, desto zufriedener waren wir und desto herzlicher und offener sind uns die Menschen begegnet. Es muss eine Art Austausch von guter Energie geben. Vor allem die Wärme und Herzlichkeit der Menschen hat mich berührt. Jede:r wollte gerne etwas beitragen, uns zumindest Wasser mitgeben. Es gab Menschen, die uns am Morgen Kaffee ans Zelt gebracht oder uns abends zu sich eingeladen haben. Manchmal habe ich gefragt, warum uns jemand eingeladen hat und die Antwort – neben Neugierde darüber, was wir eigentlich tun und woher wir kommen – war häufig: Ihr strahlt soviel Lebensfreude aus und wir wollten gerne einen Abend daran teilhaben. Diese Freude ist wie ein Kreislauf.

Ein Pilger und Jakob teilen sich ein Stück des
Weges und den Pilgerstab. © Daniela Krüger

Gab es keine Momente, in denen dir alles zu viel wurde?
Natürlich gab es die körperliche Anstrengung aufgrund des vielen Gepäcks und weil ich Jakob immer wieder getragen habe. Zwischendurch habe ich die Pilger:innen beneidet, die mit weniger Zeug unterwegs waren. Aber auch mit Kind und Gepäck entwickelt sich ein Rhythmus und eine Routine. Für Jakob war klar, wir sind auf einer langen Reise. Der hätte mich blöd angeguckt, wenn ich gesagt hätte, es wird anstrengend, wir fahren wieder nach Hause.

Wie bist du zu der Entscheidung gekommen, diese Wanderung zu machen?
Ich hatte immer eine vage Idee davon, den Jakobsweg zu wandern, ohne dass ich vorher schonmal ferngewandert wäre. Das erste Mal war ich mit Jakobs Vater, meinem damaligen Partner, auf der Via de la Plata in Spanien. Zwei Tage vorher habe ich erfahren, dass ich schwanger bin, also war schon die erste Wanderung sehr von der Schwangerschaft bestimmt: wie viel Gepäck darf ich tragen und wie belastbar bin ich? Aber ich war schon bei meiner ersten Fernwanderung total glücklich mit mir und mit der Natur. Ich hatte endlich etwas gefunden, bei dem mein Herz aufgeht, bei dem sich für mich gefühlt tausend Türen gleichzeitig öffnen und es wäre total schade gewesen, wenn ich das nicht hätte weitermachen können.

Wie habt ihr das angefangen?
Wir waren einmal zu dritt wandern – das war natürlich viel einfacher als zu zweit – und wir haben Motorradreisen durch Europa gemacht. Ich und Jakob saßen in einem Seitenwagen, aus dem Jakob gar nicht mehr herauswollte. Die Idee von einer Motorradweltreise ist dann durch die Trennung von Jakobs Vater geplatzt. Stattdessen habe ich mit Jakob alleine eine erste Fernwanderung zur Probe gemacht, 14 Tage in Portugal von Porto nach Santiago. Dort gab es viel Infrastruktur und Herbergen. Danach war klar: es funktioniert! Jakob war immer gut drauf. Von da an haben wir es Stück für Stück ausgebaut. Für unsere sechsmonatige Wanderung auf den Jakobswegen hatte ich nur ein Hinfahrtticket und die grobe Idee, dass wir aufgrund des Wetters in Spanien starten und nach Deutschland wandern wollten.

Jakob in Frankreich © Daniela Krüger

Ist es eigentlich Zufall, dass dein Sohn Jakob heißt?
Es ist tatsächlich Zufall. Sein Vater hat diesen Namen ausgesucht. Ich selbst hatte 25 Mädchennamen im Kopf und war froh über den Vorschlag. Jakob weiß natürlich, dass der Weg so heißt wie er, darauf wurde er inzwischen oft angesprochen und irgendwie heißt es ja auch: „nomen es omen“.

Wie unterscheidet sich aus deiner Sicht das Fernwandern mit einem Kleinkind vom Fernwandern als Erwachsene:r ohne Kind?
Es dauert natürlich irre viel länger. Ich hatte oft ähnliche Etappen wie andere Pilger:innen, aber die sind nachmittags um 14 Uhr angekommen und wir abends um 20 Uhr. Wir hatten einen anderen Rhythmus, entweder sind wir nicht so weit gegangen oder haben ganz anders Pause gemacht. Mit Jakob bin ich durschnittlich 20 Kilometer am Tag gegangen. Das lag aber gar nicht so sehr am Kind, sondern auch an unserem Gepäcksystem. Wir haben einen Handwagen mit einem Gewicht von ca. 35 Kilogramm geschoben. Deshalb mussten wir teilweise andere Wege nehmen und wenn es steil war, dann brauchten wir unter Umständen zwei Stunden für eine Strecke, die jemand mit einem Rucksack wahrscheinlich in 20 Minuten geschafft hätte.


Inzwischen als Vierjähriger ist Jakob so stark, dass er mit schieben hilft. Er hat unglaublich viel Kraft! Aber wir sind gleichzeitig langsamer geworden, weil er viel alleine laufen will und eben noch sehr kurze Beine hat. Früher, als Jakob noch leichter war, hat er viel vorne im Wagen gesessen und wir haben z. B. auch weniger darüber diskutiert, ob wir noch fünf Blumen pflücken oder drei Schnecken sammeln und wo wir sie wieder aussetzen. Das verändert sich im Laufe der Zeit.

Wie geht es in Zukunft weiter mit euren Reiseplänen?
Natürlich schaue ich, ob und wenn ja, welche Möglichkeiten es innerhalb des Schulsystems gibt, weiterhin Fernwandern zu gehen. Für Jakob ist klar, dass das Wandern nicht endet. Er ist der festen Überzeugung wir müssten nach Frankreich ziehen, weil er mitbekommen hat, dass es da keine Schulpflicht gibt. Wir haben unterwegs manchmal Kindergartengruppen oder Schulklassen getroffen und als ich Jakob erklärt habe, was die Kinder im Kindergarten oder in der Schule machen, hat er gesagt, er will nicht jeden Tag am gleichen Ort sein und das gleiche machen. Beim Fernwandern ist auch ihm natürlich aufgefallen, dass wir anders leben als andere Kinder und Familien. Das macht es für die Zukunft nicht einfach.

Jakob im Zentralmassiv in Frankreich © Daniela Krüger

Und für dich?
Ich habe während unserer Wanderung mein Online-Studium in Psychologie weitergemacht, abends im Zelt. Für die Prüfungsvorbereitungen waren wir auf Campingplätzen und während der Prüfung haben andere Pilger:innen auf Jakob aufgepasst. Das war schon anstrengend, erforderte Disziplin und würde ich nicht unbedingt wieder so machen. Aber vielleicht ist das das notwendige Übel bei meinem Lebensentwurf, um auch in der Zukunft Geld verdienen zu können. Ich habe zehn Jahre als Schifffahrtskauffrau gearbeitet. Aber für die Zeit nach dem Master in Psychologie überlege ich, ob es möglich ist, mit Wandern und der Verbundenheit zur Natur als Heilungsmethode zu arbeiten. Ich halte es für unfassbar effektiv. Wandern macht etwas mit Menschen, diese Art von Bewegung und Begegnung lässt sich in einem Raum einfach nicht abbilden.

Was hat diese lange Wanderung mit Jakob und mit dir gemacht?
Sie hat unsere Weltsicht und unsere Erfahrungen in Bezug auf zwischenmenschliche Beziehungen total geprägt. Mir hat vor fünf Jahren mal jemand gesagt: wenn du dich auf Reisen begibst, dann lernst du, dass die meisten Menschen gut sind. Es ist etwas, das wir im Alltag häufig nicht erfahren oder vielleicht auch nicht wahrnehmen. Manchmal, wenn wir schon voll beladen waren mit Essensvorräten und Spielzeug, habe ich weitere Angebote von Menschen uns Essen oder Wasser mitzugeben, abgelehnt. Da fing Jakob einmal an zu weinen und als ich ihn fragte, was ihn so traurig mache, sagte er: „Alle Menschen wollen uns gerne was mitgeben und immer wenn du nein sagst, dann macht das die Menschen traurig.“ Ich finde es schön, dass mein Kind offenbar ein gutes Gespür dafür bekommen hat, wie sehr wir mit der Welt verbunden sind, dass wir uns in ihr aufgehoben fühlen dürfen. Diese Gastfreundschaft und das Gefühl, dass unser Glück ansteckend ist, berührt mich bis heute. Dafür bin ich sehr dankbar. Mit dem Fernwandern haben wir einen Schlüssel gefunden, mit dem wir uns selbst Türen öffnen und uns glücklich machen können.

Vielen Dank, Daniela, für deine Zeit und das Interview!
Sehr gerne!

 

Die Fragen stellte Svenja Walter