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Wiederholungstäter auf dem Wanderweg
von Redakteurin Svenja Walter
In meinem letzten Urlaub war ich erstaunt darüber, wie viele Wandernde ich traf, die jedes Jahr in das gleiche Bergdorf kommen, um dort wandern zu gehen. Das kleine Dorf, davon konnte ich mich selbst überzeugen, ist gewiss ein idealer Ausgangspunkt für verschiedene Touren in sämtliche Richtungen: hoch auf den Gipfel, durch felsige Schluchten oder hinunter an die Küste. Ansonsten gibt es nicht viel in diesem Dorf, eine Bäckerei, einen Mini-Supermarkt und zwei Lokale mit Gästezimmern. Beim Abendessen erzählte mir ein Paar von den Touren, die sie in den letzten Jahren gemacht haben, eigentlich alle schon mindestens einmal, manche mehrmals je nach Lust, Laune und Wettervorhersage. Sie kennen jede Wanderung mit ihren verschiedenen Varianten und Kombinationsmöglichkeiten.
Das brachte mich zum Nachdenken. Würde ich auch jedes Jahr wieder an denselben Ort kommen und einzelne Wanderungen wiederholen? Gibt es nicht viel zu viele schöne Orte und Wege, die darauf warten, entdeckt werden? Ist meine Neugierde nicht viel zu groß? In meinem Urlaub war ich für zwei Nächte in dem kleinen Bergdorf und habe zwei Wanderungen gemacht. Es gäbe noch weitere Wege, die ich gehen könnte allen voran die Tour auf den Gipfel, die dem schlechten Wetter zum Opfer gefallen war. Neben der gastfreundlichen Unterkuntft und der tollen Natur ist das auf jeden Fall Grund genug, wiederzukommen. Aber würde ich einen Weg, den ich schon kenne, erneut oder sogar mehrmals gehen? Wäre das nicht langweilig?
Abgesehen von kleinen Spaziergängen, bin ich bisher nur einen Wanderweg mehrmals gegangen, die ca. 13 km lange Traumrunde im Siebengebirge in der Nähe von Bonn, wo ich gewohnt habe – eine Hausrunde sozusagen. Ich bin sie kurz nach meinem Umzug das erste Mal gegangen, um ein bisschen mehr von der Region zu sehen, in der ich jetzt lebte. Sie war so angenehm und traumhaft zu gehen, dass ich sie später genutzt habe, um Familie und Freund:innen die schöne Natur in der Nähe meines Wohnorts zu zeigen. Sie wurde meine „go-to-Wanderung“, wenn ich Besuch hatte.
Ein Grund, den gleichen Weg mehrmals zu gehen, ist natürlich die sich im Laufe des Jahres verändernde Landschaft. Nach dem herrlichen Grün des Waldes im Frühling, erscheint der gleiche Wald im bunten Herbst wie eine neue Entdeckung, erst recht im Winter bei gutem Timing mit etwas Schnee bedeckt. Auch die Vertrautheit eines bekannten Weges kann reizvoll sein: Man weiß, was einen erwartet, und kann sich ganz auf die Natur konzentrieren – auf unscheinbare Details am Wegesrand oder neue Perspektiven, die erst beim zweiten Blick auffallen. Vielleicht war die Aussicht beim ersten Gipfelversuch durch schlechtes Wetter getrübt, und man möchte bei besseren Bedingungen einen neuen Anlauf wagen.
Trotzdem fällt es mir schwer, vor allem in einer für mich noch unbekannten Region, einen bereits gegangen Weg noch einmal zu gehen. Auch im Alltag ziehe ich es vor, wann immer möglich, nicht denselben Weg zurückgehen, sondern einen anderen Rückweg zu nehmen – auch wenn dies nur eine kleine Schleife bedeutet. Meistens ist die Anziehungskraft des Unbekannten größer. Die Neugierde siegt, auch auf die Gefahr hin, dass mich der Weg vielleicht nicht so begeistert. Wenigstens habe ich etwas Neues gesehen und weiß jetzt, wie es dort aussieht. Das ist für mich immer wieder Motivation, neue Wege einzuschlagen. Zum Glück gibt es gefühlt unerschöpflich viele Wanderwege; die neuen Entdeckungen gehen uns also nicht so schnell aus.
Mit der Zeit entwickeln wir ein Gespür dafür, welche Wege oder vor allem Landschaften uns besonders gefallen. Es entsteht so etwas wie eine Wanderkomfortzone, und vielleicht umfasst diese Zone eine bestimte Region oder gar einen Ort. Wer im Urlaub oder in der Freizeit Entspannung, Ruhe und schöne Natur sucht und diese Kombination – diesen Komfort – einmal gefunden hat, kehrt vielleicht genau deshalb immer wieder gerne zurück – und wird zum Wiederholungstäter.
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In unserer Kolumne "Veni.Vidi.Wandern" setzen wir uns mit verschiedenen Gedanken rund um unsere Leidenschaft und Arbeitswelt, dem Wandern, auseinander. Mal ernst hinterfragt, mal amüsant erzählt, vielleicht auch mal auf Abwegen – kurzum, hier schreiben wir nach Lust und Laune, was uns beim Wandern durch den Kopf geht.



