Text und Bilder von Marieke Wist
Der heilige Berg des Sauerlands
Ich bin nicht die einzige Person, die die besondere Stimmung an diesem Ort wahrnimmt. Der Wilzenberg ist einer von insgesamt 42 Sauerland-Seelenorten. Diese ganz verschiedenen Orte liegen verteilt über die Sauerland-Wanderdörfer. Sie alle verbindet, dass Menschen in ihrer Umgebung etwas Besonderes sehen und spüren. Man kann sie alleine besuchen, mit einer Wanderung verbinden, abschalten und in Ruhe auf sich wirken lassen. Jeder Ort hat außerdem Erzählpat:innen, die Führungen anbieten und ihre Geschichten erzählen. Ich werde einige der Sauerland-Seelenorte besuchen und bin gespannt, was sie bei mir auslösen.
Der Wilzenberg hat eine lange Geschichte und schon immer eine Bedeutung für die Bewohner:innen des Sauerlandes. Auffallend ist schon sein Äußeres, denn im Gegensatz zu den anderen Bergen, die sich dicht aneinander reihen, so dass man nicht erkennen kann, wo der eine aufhört und er andere anfängt, steht der Wilzenberg mit seinen 658 m Höhe ganz für sich allein. Schon 200 Jahre v. Chr. wurden die Menschen von ihm angezogen. Durch Grabungen konnte eine aus der Eisenzeit stammende Befestigung belegt werden, die reich mit Waffen geschmückt wurde. Eine zweite Wallburg stammt aus dem Frühmittelalter (9.-10. Jahrhundert n. Chr.).
Als ich mich den weißen Gebäuden nähere, erkenne ich, dass es kleine Kapellen sind. Durch die aneinander gereihten Holzbänke habe ich sofort ein Bild von Menschen vor Augen, die an diesem idyllischen Ort im Wald eine Andacht feiern. Der Wilzenberg ist heute auch ein religiös geprägter Ort. Gottesdienste und Wallfahrten finden rund um die Marienkapelle aus dem Jahr 1633 statt.
Ein schmaler Pfad bringt mich durch den Wald zu einem Aussichtsturm. Der Stil des Turms erinnert an den Eiffelturm in Paris und der war auch Inspiration der Konstruktion. Leider ging den Erbauern damals das Geld aus und der Turm schaffte es 1889 zunächst nicht über die Baumwipfel hinaus. Erst 100 Jahre später wurde der Turm von 10 auf 17 Meter aufgestockt. Nachdem ich die rutschigen Treppenstufen nach oben gestiegen bin, schlägt mir der Regen ins Gesicht. Doch der Ausblick lohnt sich: Ich blicke auf die Baumkronen herunter, zwischen denen sich der Nebel bewegt. In der Ferne erkenne ich umliegende Bergkuppen und kleine Häuser. Was macht den Wilzenberg seit Jahrhunderten für Menschen so besonders? Wer ihn besucht, wird diese Frage sicherlich für sich beantworten können.
Sauerland-Seelenorte
Unterirdische Grotten, mächtige Bäume, Seen und Täler: Die 42 Sauerland-Seelenorte sind ganz unterschiedlich und immer besonders.
Weitere Infos: www.sauerland-seelenorte.de
Die Stadt des Waldes
„Sie sehen aus, als ob Sie Ahnung hätten“, sagt ein Spaziergänger zu Ranger Stefan Knippertz, der mich heute ein Stück auf dem Rothaarsteig bei Brilon begleitet. Mit seinem breiten Rangerhut macht er zurecht einen kompetenten Eindruck. Der Spaziergänger und seine Frau erzählen dem Ranger von einem Wildschwein, das sie auf dem Waldweg gesehen haben. Stefan Knippertz kann ihnen die Sorge nehmen, die Wildschweine seien selten eine Gefahr. „Wir kommen gerne hierher, aber früher stand hier mehr Wald“, bemerkt der Spaziergänger noch, bevor sich unsere Wege wieder trennen. In der Tat habe hier früher mehr Wald gestanden, bestätigt der gelernte Forstwirt, als ich ihm und seinen beiden Hunden Lotte und Eddy auf einem schmalen Pfad in den Wald folge.
Brilon wird auch „die Stadt des Waldes“ genannt, denn mit 7.700 ha ist die sauerländische Stadt die waldreichste Kommune in ganz Deutschland. Im Januar 2007 fegte der Orkan Kyrill über Nordrhein-Westfalen und das Sauerland. Rund 1.000 ha Waldfläche der Stadt, meistens Fichte, ging in einer Nacht verloren, da die Bäume durch den starken Wind entwurzelt wurden und umknickten. Das Kyrill-Tor, ein beeindruckendes Mahnmal, das an die Zerstörungskraft des Sturms, aber auch an den Wiederaufbau erinnert, besteht aus 14 Fichtenstämmen, jeder ca. 20 Meter lang und markiert den Eingang in den Briloner Bürgerwald. Auf dem Poppenberg bewundere ich heute über 30 verschiedene Baumarten.
Ranger Stefan Knippertz zeigt mir ein wenig später auf dem Borberg Stellen im Wald, an denen die Natur nach dem Sturm sich selbst überlassen wurde und die Bäume ganz von alleine nachgewachsen sind. Der Borberg ist ein Sauerland-Seelenort mit einer langen Geschichte: Die ehemalige frühmittelalterliche Ringwallanlage bot Menschen im 8. Jahrhundert Schutz und Zuflucht vor Feinden. Während des Dreißigjährigen Krieges wurden hier Menschen begraben, die die Pest nicht überlebten. Ein Symbol des Friedens wurde der 670 m hohe Berg nach dem Ersten Weltkrieg mit einer der „Friedenskönigin Maria“ gewidmeten Kapelle und einer Friedenseiche. Friedlich wirkt der Seelenort auch heute auf mich. Wir stehen im Schatten der Bäume neben der Kapelle und betrachten die zahlreichen jungen Buchen, die am Hang des Borbergs nachgewachsen sind.
Der junge Wald ist besonders gut von den Sitzbänken zu erkennen. Auf den ersten Blick wundere ich mich, dass sie mit Blick ins Gebüsch aufgestellt wurden. Doch schnell wird klar, dass man hier früher eine weite Aussicht hatte, die Natur aber die Kahlflächen zurückerobert hat. Stefan Knippertz sieht in der Naturverjüngung, also dem natürlichen Nachwachsen des Waldes, das größte Potenzial. Zuerst einmal die Natur machen lassen, nachpflanzen könne man dann immer noch. Außerdem seien junge Bäume auf solchen Flächen geschützter vor hungrigen Rehen, für die einzeln gepflanzte Bäume ein viel leichteres Ziel seien. Bei Waldspaziergängen teilt der Ranger sein Wissen gerne mit Groß und Klein. Den Menschen den Wald näher bringen, merke ich, das ist eine Herzensangelegenheit für ihn.
Auf dem Rothaarsteig
Ich wandere alleine weiter auf der ersten Etappe des Rothaarsteigs. Der beliebte Fernwanderweg zieht sich auf ca. 155 km von Brilon bis Dillenburg, kann aber beliebig verkürzt werden. Der Wald endet und ich habe zu meiner Rechten einen weiten Ausblick über die hügelige Landschaft des Sauerlands. Einige der Kahlflächen, auf denen einst Fichten standen, aber dem Borkenkäfer zum Opfer gefallen sind, liegen am Wegesrand. Doch das macht den Wanderweg nicht weniger schön. Überall blühen bunte Wildblumen, an einigen Stellen wachsen schon kleine Bäume nach. Es ist interessant, die Waldveränderung zu beobachten und quasi mitten in ihr zu stehen. Aus dem breiten Forstweg werden schöne schöne kleine Pfade, mal ansteigend, mal absteigend. Aber auch das Wetter schlägt um, die Sonne verschwindet und es wird sehr windig und regnerisch. Die Nässe lässt mich eher auf den rutschigen Weg achten und weniger auf die Umgebung. Als ich den Blick hebe, befinde ich mich auf dem Ginsterkopf und habe eine traumhafte Aussicht auf die umliegende Umgebung.
Die 640 m hohe Bergkuppe ist ein weiterer Sauerland-Seelenort. Kein anderer Mensch ist weit und breit zu sehen, außer dem Wind kein Geräusch zu hören. Hier oben kann man Stille und Ruhe finden und sicherlich mehrere Stunden verweilen, in die Ferne blicken oder Vielfalt der Pflanzen in näherer Umgebung bestaunen.
Sauerland-Wanderdörfer
Mein kurzer Ausflug auf den Rothaarsteig endet hier bei der Feuereiche, ein elf Meter hoher kunstvoll verzierter Eichenstamm bei Elleringhausen. Sie erinnert mit ihren spitzen Ästen und den bunt leuchtenden Flammen dazwischen an etwas Magisches, vielleicht eine Art Zauberstab, aber auf jeden Fall nicht aus dieser Welt.
Die Nacht verbringe ich in Schmallenberg, eines der Sauerland-Wanderdörfer. Der Ort ist mit seinen kleinen Häusern mit grauen Schieferdächern, schmalen Straßen und der Kirche ein echter Hingucker. Elf verschiedene Kommunen haben sich mit 280 Ortsteilen und Dörfern zu den Sauerland-Wanderdörfern zusammengeschlossen und ihre Urlaubsangebote komplett auf Wandernde ausgerichtet. Das macht das Sauerland zu der „Qualitätsregion Wanderbares Deutschland“. Durch ein breites, gut ausgeschildertes Wegenetz, viele Infotafeln und Wanderausgangspunkte ist es quasi unmöglich sich zu verlaufen. Die Qualitätswege werden immer wieder geprüft und überarbeitet und Gastgeber:innen sind auf die Bedürfnisse der Wandernden vorbereitet. Bei dem großen Wanderwegenetz im Sauerland hat man die Qual der Wahl. Die große Anzahl der Qualitätswanderwege führt dazu, dass die Wege nicht überlaufen sind und man entspannt in die Stille der Natur eintaucht.
→ Tourentipp in der Nähe von Schmallenberg: Bödefelder Hollenpfad
Fotowandern
Die Wanderdörfer des Sauerlands sind nicht nur hervorragende Ausgangspunkte für einen Wanderurlaub, sie sind auch ein wunderschönes Fotomotiv. Mit ihren grauen Schieferdächern, den Fachwerkfassaden und den kleinen Gassen eignen sie sich für eine Panoramaaufnahme und sind Highlight für einen Spaziergang. Doch wie fängt man die Schönheit der Dörfer am besten auf dem Foto ein? Fotograf Klaus-Peter Kappest hat mit den Verantwortlichen der Ortsteile Oberkirchen und Oberhennenborn zwei Fotowanderwege entworfen. Auf diesen besonderen Wanderwegen bekommen Besucher:innen an verschiedenen Stationen einfache Tipps und Tricks, um ihre Fotos zu optimieren.
Ich wandere ein Stück mit Klaus-Peter Kappest auf der Fotoroute Oberkirchen. Hier kann man etwas über Tierfotografie lernen, denn Kühe finden sich eigentlich immer am Wegesrand. An der ersten Fotostation scanne ich den QR-Code mit dem Smartphone und gelange zu einem Video, in dem Kappest einfache und schnell umsetzbare Tipps gibt, z. B. Tiere nicht von oben herab zu fotografieren, sondern auf Augenhöhe.
Die Wanderung bringt uns auch zu historisch spannenden Orten, wie zur Pütte Oberkirchen. „Pütte“ steht für den alten Brunnen, der hier zu finden ist und an dem während des 17. Jahrhunderts das Oberkirchner Gericht tagte. Heute lädt der Dorfbalkon an der Pütte dazu ein, das schöne Panorama mit der Kamera einzufangen. Praktisch: Eine Selfie-Station steht bereit und hält Handy oder Kamera fest, um die ganze Familie mit auf das Foto zu bekommen.
Wir drehen eine kleine Runde durch das Dorf Oberkirchen, das Kappests Wahlheimat geworden ist. Gerade zählen alle Dorfbewohner:innen die Tage, denn das örtliche Schützenfest steht an, das alljährliche Highlight im Dorf. Kappest war von Anfang an beim Projekt Sauerland-Seelenorte dabei. Er hat sie alle besucht und ihre Besonderheit auf seinen Fotos eingefangen. Wichtig sei gewesen, dass die Orte von Menschen aus der Region vorgeschlagen wurden, damit sie auch weiterhin belebt werden. Er erzählt, dass oft nicht nur ein bestimmter Punkt an dem Ort das Besondere ist, sondern schon der Weg dahin.
Besondere Orte
Der Gasthof Schütte, ein Familienbetrieb in der 19. Generation, ist Abschluss unserer Wanderung in Oberkirchen. Betritt man das stilvoll eingerichtete Fachwerkhaus, entdeckt man in jeder Ecke ein spannendes Möbelstück aus vergangenen Zeiten. Nach einem Blaubeerpfannkuchen mit handgepflückten wilden Blaubeeren und Vanilleeis bin ich schnell wieder aufgewärmt. Das Hotel Gasthof zu den Linden in Kirchhundem, in dem ich übernachte, ist ein ähnlich besonderer Ort. Ursprünglich aus dem 18. Jahrhundert, entdecke ich in jeder Ecke spannende alte Einrichtungsgegenstände. Die Zimmer sind eine gemütliche Mischung aus alt und neu.
Beim Frühstück treffe ich ein Ehepaar, das immer wieder seinen Urlaub hier verbringt. Sie haben im Gasthof sogar ihre Hochzeit gefeiert, für sie ist er ein ganz besonderer Ort. Besondere Orte – davon habe ich einige im Sauerland kennengelernt. Sagenumwoben, geschichtsträchtig, naturverbunden und mit magischer Stimmung. Hier findet jeder seinen Seelenort mit seinem eigenen besonderen Moment.
→ Tourentipp in der Nähe von Gasthof zu den Linden (Oberhundem): Krenkeltal und Goldener Zapfen
Info: www.sauerland-wanderdoerfer.de