Nicht kraxeln, sondern genießen: Die Wanderroute der „Alpenjuwelen“ verspricht eine Alpenüberquerung der besonderen Art. Autorin Stefanie Ball testet ausgewählte Tagesetappen zwischen Deutschland und Italien.

Das Gaistal in Tirol © Alpenjuwelen

Es klingt verlockend: In Garmisch-Partenkirchen mit Zahnradbahn und Seilbahn auf die Zugspitze hinauffahren und eine Woche später – wieder per Seilbahn – im italienischen Bozen zu einem Cappuccino einschweben. Dazwischen sechs Tage verheißungsvolle Wanderungen durch Lärchenwälder, Almlandschaften, über Blumenwiesen, an Seen vorbei und stets die Berge im Blick. Das zumindest versprechen die „Alpenjuwelen“, eine Alpenüberquerung der besonderen Art, denn gewandert wird nicht am Stück auf einem durchgängigen Weitwanderweg, sondern hier soll wirklich der Weg das Ziel sein: Die Gesamtstrecke von Deutschland nach Italien teilt sich in ausgewählte Tagesetappen, wobei es am Morgen immer einen Transfer zum jeweiligen Ausgangspunkt gibt. Oft geht es per Seilbahn zunächst bergan und dann gemütlich und meist absteigend bis vor die Hoteltür.

Das Wandertempo bestimmt jeder für sich, die „Alpenjuwelen“ sind zwar nur als Pauschaltour buchbar (Kostenpunkt: 1290 Euro pro Person im DZ, 6 Übernachtungen mit Halbpension, 1 Übernachtung mit Frühstück). Trotzdem handelt es sich nicht um eine klassische Gruppenwanderreise. Sie bietet aber viele Annehmlichkeiten einer solchen: das Gepäck wird transportiert, die Hotels sind vorgebucht, der Shuttlebus zum täglichen Startpunkt sowie die Fahrt von Bozen zurück nach Garmisch organisiert.

Erfinder der Wanderroute ist im Übrigen Georg Pawlata, Österreicher, Geograf und passionierter Wanderer und Bergsteiger. Er hat schon die anspruchsvollere Vorgängerin der „Alpenjuwelen“, die „Alpenüberquerung“, ausgetüftelt. Die neue Strecke soll zwar nicht als Spaziergang missverstanden werden, sie ist aber auch keine Kraxeltour, die Schwindelfreiheit und alpine Erfahrung erfordern würde. Daher ja der Name: Alpenjuwelen, nur das Beste für die Wandergäste.


Zur Autorin
Stefanie Ball ist Flachlandtirolerin, ursprünglich aus dem Ruhrgebiet stammend. Die ehemaligen Zechenhalden sind hier das höchste, was aus der Umgebung hervorsticht. Umso mehr genießt sie, wann immer möglich, die richtigen Berge. Von Sonntag, 6. Juni, bis Mittwoch, 9. Juni, wird sie einige der Alpenjuwelen testen und in einem täglichen Blog berichten, ob diese ihrem Name Ehre machen.

Tag 1:  Von Garmisch nach Ehrwald

Aussicht von der Zugspitze auf das Wolkenmeer

Die Herausforderung des Wanderns liegt darin, es zu tun, auch wenn das Wetter schlecht ist. Und das Wetter ist schlecht an diesem Sonntagmorgen.

Ein Mitwanderer sagt, gestern sei es noch schlechter gewesen. Kaum vorstellbar. Irgendwo in dem Grau des Himmels, aus dem es auch noch regnet, soll die Zugspitze liegen. „The Top of Germany“, wie der Betreiber der Zugspitzbahn wirbt. Die Zugspitzbahn ist eine Zahnradbahn, die vor 91 Jahren ihren Betrieb aufgenommen hat, und über das hübsche Örtchen Grainau, am Eibsee entlang und durch den rund vier Kilometer langen Zugspitztunnel bis aufs 2600 Meter hohe Zugspitzplatt führt. Allein bei der Durchfahrt des Tunnels werden 1000 Höhenmeter überwunden. Vom Zugspitzplatt geht es dann per Gletscherbahn, einer Kabinenseilbahn, auf die Zugspitze. Aber von der ist ja leider nichts zu sehen.

Auf dem Zugspitzplatt: Nach der Zahnradbahn geht es ab hier
mit der Gondel weiter auf die Zugspitze

Theoretisch wäre es möglich, sich zum Gepäck zu setzen, das im Shuttlebus verstaut ist, und direkt zum Hotel ins österreichische Ehrwald zu fahren. Das geht natürlich nicht. Wir sind ja hier zum Wandern. Georg Pawlata, der die Route, über die wir die Alpen überqueren werden, erfunden und ihr den vielversprechenden Namen „Alpenjuwelen“ gegeben hat, sagt, das mit dem Shuttle mitfahren sei mehr etwas für die Psyche. „Am dritten oder vierten Tag können schon mal die Beine schwer werden, da hilft es vielleicht zu wissen, dass man auch mit dem Auto fahren könnte.“ Hilfreich ist auch zu wissen, dass das Durchschnittsalter der Wanderer auf den Alpenjuwelen 70 Jahre ist. „Eine schöne leichte Route zusammenzustellen, ist schwieriger als eine anspruchsvolle“, sagt Pawlata. Doch genau das wollte er: auch wenig erfahrenen und konditionsstarken, aber von den Bergen Begeisterten die Möglichkeit geben, in einer Woche über ausgewählte Etappen von Deutschland nach Italien zu gelangen. Bislang haben mehr als 2400 Wanderer dieses Angebot genutzt.

Georg Pawlata hat die Alpenjuwelen erfunden. Das "J" auf den Wegweisern markiert die Route.

Jetzt aber müssen auch wir los. Die Zahnradbahn bringt uns in einer knappen Stunde hinauf aufs Zugspitzplatt. Hier liegt noch ungewöhnlich viel Schnee. Im Winter kann man, wenn nicht gerade Pandemie ist, Ski fahren. Nach kurzem Fotostopp geht es mit der Gondel hinauf auf die Zugspitze. „The Top of Germany“ ist heute nicht angesagt, das schlechte Wetter hat die Touristen, die sich sonst hier tummeln, abgeschreckt. Für den Alpenjuwelenwanderer ist die Zugspitze ohnehin nur ein Abstecher, er muss via Gondel und Zahnradbahn wieder hinunter bis zur Station Riffelriss auf 1640 Meter Seehöhe. Von dort wandert er gemütlich 8,5 Kilometer und 750 Höhenmeter hinab nach Ehrwald. „So viel Zeit haben wir heute nicht“, sagt Pawlata und dirigiert uns in Richtung Tiroler Zugspitzbahn. Der Gipfel gehört nämlich nicht den Deutschen allein, sie müssen den höchsten Punkt des Wettersteingebirges mit den Österreichern teilen. Deshalb verläuft hier oben auch die österreichisch-deutsche Staatsgrenze. Das ist in Coronazeiten nicht unwichtig zu wissen, denn wer aktuell bei den Nachbarn einreisen möchte, benötigt einen negativen Antigentest.

In flottem Tempo geht es bergab nach Obermoos. An der Talstation empfängt uns angenehme Wärme und der Geruch von Wald. Hier treffen wir auch wieder auf die Alpenjuwelen. Ein kleines schwarzes „J“, das auf den überall anzutreffenden gelben Wanderschildern klebt, weist den Weg. „Für jeden Tag erhalten die Alpenüberquerer außerdem eine Wanderkarte, auf der die wichtigsten Punkte, an denen man sich verlaufen könnte, vermerkt sind“, sagt Pawlata. Es sind nur wenige Kilometer bis nach Ehrwald, der Weg ist breit, keine Herausforderung, eine, ja eben, schöne Strecke. Später geht es mitten über einen Campingplatz, so steht es auch sicherheitshalber auf der Karte „durch den Campingplatz hindurch“, und über einen Plattenweg, der sich durch eine bunte Blumenwiese schlängelt, geradewegs nach Ehrwald. Viel los ist dort nicht, eigentlich ist gar nichts los, es ist noch Vorsaison. Überhaupt liegt der grenznahe Ort etwas abseits großer Durchgangsstraßen Tirols. „Die Belgier kommen besonders gerne hierher, die fahren nämlich nicht gerne mit dem Auto über die großen Pässe“, sagt Pawlata. Doch auch von denen ist heute nichts zu sehen, dafür von der Sonne. Wetterumschwünge gehören eben auch zum Wandern.

Auf dem Plattenweg nach Ehrwald
Plattenweg durch die Blumenwiese
Waldiger Abschnitt

 

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tag 2: Waalwege über Meran

Beginnen wir damit, was wir nicht gemacht haben. Wir sind nicht von Ehrwald nach Leutasch gewandert, haben nicht das vom Gletscher geformte Gaistal gesehen, das auch das „Kanada Tirols“ genannt wird. Wir sind auch nicht von Fulpmes mit der Seilbahn aufs 2100 Meter hohe Kreuzjoch gefahren und haben von dort den Blick auf die umliegenden Dreitausender der Stubaier und Zillertaler Alpen genossen, haben nicht das Schlicker Hochtal durchquert und sind von der Mittelstation der Kreuzjochbahn wieder ins Tal gegondelt. Wir sind auch nicht entlang des Ridnauner Höhenweges gewandert, eines ursprünglichen Tales mit alten Bauernhöfen, haben keine traumhaften Blicke auf die Dolomiten genossen und sind nicht in eine der drei Telfer Almen eingekehrt. „Dafür haben wir keine Zeit“, sagt Georg Pawlata, unser Guide.

Waalweg Algund durch die Weinreben

Wir machen ja nur einen Alpenjuwelen-Test und so lassen wir anhand seiner Beschreibungen die Etappen zwei, drei und vier vor unserem geistigen Auge passieren und springen direkt vor zu Etappe fünf: den Waalwegen von Meran. Es ist verblüffend, wie sich die Landschaft ändert, kaum hat man den Jaufenpass erklommen und fährt wieder hinunter ins Tal. Die vielen Kehren des Jaufenpasses haben uns auf der Rückbank des Shuttlebusses etwas zu schaffen gemacht, obwohl der Fahrer behauptet, doch ganz gemächlich gefahren zu sein. Mit leicht schwindeligem Kopf staunen wir, wie mediterran, lieblich und urlaubig es hier aussieht. Das liegt an den Kaltfronten, die es nicht über die Berge schaffen, sondern ihren Regen lieber den Österreichern überlassen, sowie der warmen Luft, die gleichzeitig vom Mittelmeer heraufströmt, erklärt Pawlata. Darum wachsen hier auch Palmen. 

Ausgangspunkt der heutigen Etappe ist das Dörfchen Kuens. Noch ein paar Kilometer weiter, und man wäre in Dorf Tirol, das einst der ganzen Region seinen Namen gegeben hat, und noch ein bisschen weiter, dann kommt schon Meran. Die Kurstadt am Zusammenfluss von Etsch und Passer sowie der breite Meraner Talkessel bilden auf dieser Strecke ein fast schon kitschiges Postkarten-Panorama, während wir uns weiter oben vom Lauf des Wassers leiten lassen. Eine der großen Attraktionen der Region sind die alten Waalwege. Waale sind künstlich angelegte Bewässerungskanäle, die im 13. Jahrhundert zur Versorgung von Wiesen und Feldern unterhalb entstanden. Um sie instand zu halten, wurden meist schmale Stege errichtet – die Waalwege. Von denen existieren noch mehr als Dutzend, wir spazieren auf zweien: dem vielfach im Wald verlaufenen Kuenser Waalweg und dem Algunder Waalweg, der sich entlang von Weinreben und Obstbäumen bis nach Partschins, das den Eingang zum Vinschgau markiert, schlängelt. Spazieren ist allerdings etwas untertrieben, es geht immer wieder auf und ab, buchstäblich über Stock und Stein, wobei das glucksende Wasser in den schmalen Kanälen durchaus meditative Wirkung entfaltet. Zwei Gasthäuser liegen direkt am Weg: das Gasthof Tiroler Kreuz und das Restaurant Leiter am Waal. „Hier wohnte früher der Schleusenwärter für die Bewässerungssysteme“, weiß Pawlata. Wenig später ist der zu Partschins gehörende Weiler Töll und das Ende der Etappe erreicht. Der Schrittzähler hat zwei Mal jubiliert, das bedeutet mehr als 20.000 Schritte, rund zwölf Kilometer sind wir gelaufen. „Jetzt merke ich meine Haxen“, sagt Pawlata. Wir auch. 

Über den Fluss auf dem Waalweg Kuens
Blick in den Meraner Talkessel, Waalweg Algund

 

Tag 3: Von Mölten nach Jenesien

Die Dolomiten im Blick

Die blonden Mähnen der Haflinger sehen aus wie künstlich gefärbt, gutmütig stehen sie inmitten einer Wiese mit gelben und weißen Blumentupfen und großen Lärchenbäumen, auf denen auch mal eine Lerche zwitschert. Durch die Bilderbuchlandschaft führt ein breiter Wanderweg, und Georg Pawlata erzählt von den Haflingern, die Ende des 19. Jahrhunderts in Südtirol gezüchtet wurden und ihren Namen vom nahegelegenen Ort Hafling haben; von den Lärchen, die angepflanzt wurden, nachdem man den ursprünglichen Wald gerodet hatte, um Platz für Weiden zu schaffen, und deren Holz für den Häuserbau verwendet wird. Ein Bus hat uns am Morgen von Töll im Tal hinauf in die Sarntaler Alpen auf ein Hochplateau gebracht. Hier auf 1.500 Meter Höhe wird es auch im Hochsommer nicht stickig, und obendrein ist der Weg nicht besonders stark frequentiert. Damit man diesen auch findet, also den richtigen, den Alpenjuwelenweg, sind auf den Wegweisern – die anders als in Österreich in Italien hölzern sind – kleine gelbe Metallschilder genagelt. Wenn nicht ein Witzbold auf die Idee gekommen ist, diese als Souvenir ab- und mit nach Hause zu nehmen. Für diesen (immerhin seltenen) Fall hat Pawlata bei seinen regelmäßigen Begehungen der Strecke einen Hammer und Ersatzschilder dabei. „Aber nicht so viele, also bitte hängenlassen!“ 

Höhenkirche St.Jacob 
Blühende Wiesen, saftige Grüntöne
Haflinger wurden Ende des 19. Jahrhunderts in Südtirol gezüchtet
Georg Pawlata hat immer ein Auge auf die wegweisenden "J"-Plaketen

Zwischenziel der insgesamt 11,5 Kilometer langen Strecke ist das Gasthaus Langfenn am Salten und das dahinterliegende Kirchlein St. Jakob, eine von zahlreichen Höhenkirchen in der Region. Auch wer an dieser Stelle noch keinen Hunger hat: Die Knödel, in mehreren Ausführungen auf der Speisekarte, sollte man wirklich nicht verpassen. Wie schon am Vortag regnet es passend zur Mittagszeit. Danach soll es wieder aufklaren, das zumindest zeigt Pawlatas Wetter-App an. Tatsächlich kommt es genauso, die gerade übergezogene Regenkleidung kann schon bald wieder im Rucksack verstaut werden. „Das Wetter habe ich die ganze Saison über im Blick“, erzählt Pawlata. So weiß er immer, wie viele Gäste, die offiziell die Reise gebucht haben, gerade wo auf den Alpenjuwelen – oder der ebenfalls von ihm erfundenen anspruchsvolleren „Alpenüberquerung“ – unterwegs sind. Zieht eine Kaltfront heran, erhalten die Wanderer eine Reisewarnung. „Sie werden dann in ihrem jeweiligen Hotel informiert, dass es zu gefährlich ist, die Originalroute zu gehen.“ Entweder können sie mit dem Shuttlebus, der das Gepäck ins nächste Hotel bringt, mitfahren oder eine Alternativstrecke im Tal laufen, die in den Reiseunterlagen vorgeschlagen wird. Das ist heute kein Thema, wir erreichen den Endpunkt der Etappe, das Städtchen Jenesien, im Sonnenschein. 

Das Etappenziel Jenesien

Morgen geht es per Bus – die Seilbahn ist derzeit geschlossen – hinab nach Bozen und von dort zurück nach Garmisch. Schade, dass wir schon angekommen sind.

 


Fazit

Wer auf leichten Wegen die Alpen erleben will – und nicht anspruchsvoll überqueren will – ist bei den Alpenjuwelen richtig. Der besondere Luxus liegt auch darin, dass alles organisiert ist. Die Transfers zu den jeweiligen Ausgangspunkten, die Wanderstrecke, die Hotels – davon viele mit Pool und Spa ausgestattet – am Abend. Der Erschöpfungszustand ist nie so groß, dass man keine Lust hätte, am nächsten Tag weiterzuwandern. Im Übrigen: Georg Pawlata hat auch nichts dagegen, wenn jemand die Strecke oder einzelne Teilstücke auf eigene Faust nachwandert. Aber ein bisschen Glanz verlieren die Juwelen dann doch. 


 

 

Text und Fotos,
wenn nicht anders gekennzeichnet: Stefanie Ball