Wandermagazin: Herr Meindl, wenn man aus einer Familie des Schuhhandwerks kommt, wie es bei Ihnen der Fall ist, schaut man den Leuten dann eigentlich immer sofort auf die Schuhe?
Lukas Meindl: Natürlich, man wächst in der Familie mit dem Blick für den Schuh auf. Dann schaut man automatisch bei einer Person zuerst auf die Füße und dann ins Gesicht. Natürlich möchte man nicht zu auffällig immer auf die Schuhe schauen, aber es passiert einfach. Ich weiß in der Regel, welche Person welchen Schuh trägt. Ich lebe mehr im Schuh als woanders.
Mein Bruder und ich haben unsere Eltern beobachtet und bei ihnen die Freude an dem Handwerk, dem Gestalten, beobachtet. Das hat uns gereizt. Mein Vater und seine Arbeit waren daher immer ein Vorbild für mich und dann nimmt man das einfach an.
Wandermagazin: Mit Wanderschuhen geht oft auch eine tiefe emotionale Verbundenheit einher. Warum denken Sie, ist das so?
Lukas Meindl: Emotionen sind bei Schuhen immer ein Thema. Beim Wanderschuh aber nochmal auf einer etwas anderen Ebene. Wenn ein Schuh keine Emotion auslöst, dann ist er sein Geld nicht wert bzw. die Kundschaft will dafür kein Geld ausgeben. Beim Schuhhandwerk gehören alle Sinne dazu, das ist harte Arbeit und das muss mit dem Endprodukt vermittelt werden.
Als Beispiel: Wir haben das 20-jährige Jubiläum des Schuhmodells Island gefeiert und dabei die Suche nach dem ältesten Modell gestartet. Da kamen viele tolle Rückmeldungen. Aber auf die Anfrage, ob sie den Schuh hergeben und gegen ein neueres Modell tauschen wollen, kam immer ein Nein zurück. Warum? Weil die Menschen mit diesem Schuh ihre Wege gelaufen sind, ihre Erlebnisse hatten. So stark ist diese Bindung.
Zum Schuh hat man die emotionalste Verbindung, denn den Weg macht man mit den Füßen. Für mich gilt, der richtige Schuh ist essenziell und der richtige Rucksack. Alles andere ist Zusatz.
Wandermagazin: Neben der Emotionalität hat der Wanderschuh natürlich auch wichtige funktionelle Aufgaben zu erfüllen. Wie kann ich als Kundin oder Kunde den richtigen Schuh für mich finden?
Lukas Meindl: Im Laden geht es damit los, dass gutes Fachpersonal als Erstes immer fragt: Wofür brauchst du den Schuh? Das ist ausschlaggebend. Dann nimmt man meistens den Schuh in die Hand. Viele haben die Tendenz, zum leichteren Schuh zu greifen und die Optik ist natürlich auch wichtig. Eines sollte aber immer beachtet werden: Der Schuh darf von außen nicht mehr versprechen, als er dann tatsächlich bietet. Schlüpft man in den Schuh, ist die Passform sehr wichtig. Wir versuchen die Schuhe in den jeweiligen Kategorien so leicht wie möglich zu halten. Leder und Gummi sind zwar die schwersten Elemente eines Schuhs. Aber eine gewisse Lederstärke schafft Schutz und viel Gummi schafft Griffigkeit und Langlebigkeit. Werden diese Elemente reduziert, erreicht man zwar ein geringes Gewicht, aber auch weniger Stabilität.
Unser Vater hat 1976 die Schuhkategorien erfunden, die heute als die Anwendungsgebiete A, AB, B, BC, C, D bekannt sind. Denn schon damals kam das Thema auf, dass Menschen Schuhe im falschen Gelände benutzen und dass Schuhe von außen etwas versprachen, was sie nicht halten konnten. Heute sind die Kategorien allgemein gültig – wir nutzen sie am konsequentesten, aber wir haben sie ja auch erfunden. Und wir sind froh, dass andere Hersteller sich auch daran orientieren, weil es eine Unterstützung im Fachhandel für das Personal und die Kundschaft ist.
Tipps für den Schuhkauf im Handel von Lukas Meindl:
1. Wofür wird der Schuh gebraucht? Da gibt es viele Details, die man beachten kann: soll er wasserdicht sein? Oder geht man nur bei Sonnenschein wandern? Ist man auf Tagestouren unterwegs oder will man mehrtägig auf dem Weg sein? Gefüttert oder nicht? Etc. Jeder muss für sich Entscheidungen treffen und jede Entscheidung bringt Vor- und Nachteile, das ist einfach so.
2. Ganz entscheidend ist, in den Schuh hineinzuschlüpfen und sich wohlzufühlen. Die Zeiten vom Schuheeinlaufen sind vorbei. Der Schuh muss passen, vom ersten Moment an. Passen heißt oftmals für Menschen, der Schuh ist weit und gibt dem Fuß viel Raum. Das ist aber falsch. Zu weite Schuhe verursachen Blasen und Wundlaufen, da der Fuß immer hin und her rutscht. Das kann nicht das Ziel sein. Ein guter Schuh ist ein Schuh, den man nicht spürt. Wenn man z. B. auf der Hütte sitzt und entspannt, dann darf nicht das Verlangen aufkommen, die Schuhe ausziehen zu müssen.
3. Wie findet man die richtige Größe? Man hat in unterschiedlichen Schuhen unterschiedliche Größen. Der Leisten alleine macht nicht die Länge eines Schuhes aus. Sowohl die Leistenform als auch der Schuh an sich haben einen großen Einfluß auf die Größe. Dass bedeutet also, dass Schuhe mit gleicher Leistenlänge letztendlich unterschiedlich lang sein können. Wir empfinden im Schuh selbst bereits 2 mm als einen großen Unterschied. Alleine 4,23 mm machen bereits eine ½ Schuhgröße aus. Deshalb muss der Schuh anprobiert werden. Also sollte man sich immer im Geschäft Zeit nehmen.
Und ganz wichtig: richtige Wandersocken zum Anprobieren dabei haben, denn sie beeinflussen sehr stark die Passform. Dünne Alltagssocken sind nicht die Socken, mit denen wir am Ende wandern gehen und sie verfälschen die Suche nach der richtigen Größe. Der Unterschied mit Wandersocken kann ca. 1,5 bis 2 mm in der Länge betragen, das ist nicht zu unterschätzen.
4. Die Teststrecke im Laden nutzen und ablaufen. Gibt es keine, dann sucht man sich am besten Treppenstufen und geht auf und ab. Besonders das Bergaufgehen erzeugt Belastung an der Ferse und so kann ich feststellen, ob meine Ferse zu viel Schlupf hat, was es zu vermeiden gilt. Beim Runtergehen wiederum muss vorne Platz sein, damit man nicht mit den Zehen anstößt.
Wichtiger Tipp später im Gelände: Die Schuhe regelmäßig nachschnüren, um den festen Sitz an der Ferse zu halten. Je mehr Zeit man sich unterwegs für solche kleinen Anpassungen nimmt, desto mehr Freude hat man beim Wandern.
Wandermagazin: Wie viele Wanderschuhe sollte man haben?
Lukas Meindl: Ich sage immer, zwei Paar sind sinnvoll. Natürlich beide von Meindl. [lacht] Ich bin der Meinung, dass z. B. ein leichter Wanderschuh heutzutage auch ein Ersatz für den Winterschuh ist. Winter ist anders definiert als vor zehn Jahren – weniger Schnee und Eis, dafür mehr Nässe. Für solche Begebenheiten ist z. B. der Ohio von uns ein guter Schuh.
Wenn ich dann aber ins bergige Gelände gehe, so um die 1.800 m und mehr, dann ist der Ohio schon zu weich, zu wenig stabil und schützend. Also kommt ein zweites Paar zum Einsatz, das diese Anforderungen erfüllt. Ein fester Schuh hilft dem Fuß weniger schnell zu ermüden. Wenn der Fuß mehr Halt findet, habe ich einen besseren Tritt, besseren Stand und bin entspannter unterwegs.
Wandermagazin: Apropos fester Schuh: Was für Vorteile hat ein Volllederschuh?
Lukas Meindl: Wenn man einen Lederschuh wie den Island anschaut, sollte man sich einmal die Frage stellen: Was kann an dem Schuh kaputtgehen? Nicht viel. Und warum? Es ist das dicke Leder, die wenigen Nähte, der umlaufende Gummigürtel und die stabile Sohle. So ein Schuh ist prädestinierter zur Neubesohlung, ein bis zweimal ist das auf jeden Fall drin. So ein Schuh ist natürlich auch eine Investition und eine Neubesohlung kostet auch wieder Geld, aber dafür hat man wieder für die nächsten Jahre mit dem Wanderschuh viel Freude.
Ein Lederschuh ist außerdem anschmiegsam, macht die Fußform mit, polstert den Schuh von innen anders und gibt einfach mehr Komfort. Und besonders Lederfutter im Innenbereich ist Hammer. Das hat Stärke und Weichheit, kann das Eigengewicht an Feuchtigkeit aufnehmen und bewirkt ein kühles Fußklima. Allerdings, wenn man z. B. mehrtägig unterwegs ist, kann es auch zu Feuchtigkeit im Schuh kommen. Bei einem reinen Gore-Tex Schuh liegt hier der Vorteil, dass dieser wieder schnell trocken ist. Es kommt immer darauf an, was man vorhat und welchen Beanspruchungen der Schuh ausgesetzt wird.
Wichtiger Tipp: Egal welcher Wanderschuh es ist – nach dem Wandertag die Einlagesohle aus den Schuhen herausnehmen. Dann lüftet und trocknet der Schuh besser und die Einlage ebenfalls.
Wandermagazin: Wie oft sollte ich meinen Schuh reinigen bzw. wie sollte ich ihn pflegen, damit ich lange etwas von ihm habe?
Lukas Meindl: Da gibt es aus meiner Sicht keine Regeln. Wenn man seinen Schuh kennt und beobachtet, sieht man, wenn das Material trocken wird oder auch immer mehr Feuchtigkeit in sich aufnimmt. Das sind zwei Indizien, dass man etwas tun sollte. Was nie schadet, ist daher einen Lederschuh von Zeit zu Zeit zu wachsen. Wachs imprägniert den Schuh und hält das Leder gleichzeitig geschmeidig. Geschmeidig bedeutet bei Leder, dass es kratzunempfindlicher wird. Eigentlich ist es ähnlich wie mit unserer Haut.
Die höchste Belastung hat ein Schuh im Vorfußbereich. Hier bilden sich schneller Falten im Material, das muss man im Blick behalten. Außerdem sind der eigene Schweiß und seine Ablagerungen nicht zu vergessen. Der Schweiß wird durch das Innenfutter nach Außen diffundiert und setzt sich dann ab. Auf Dauer ist das nicht gut fürs Leder, also ab und zu den Schuh richtig waschen, unter den Wasserhahn halten und schrubben.
Wandermagazin: Einfach so richtig unters Wasser? Wie ein Badetag für den Schuh?
Lukas Meindl: Ja. Und auch von Innen sollte man seine Wanderschuhe immer mal wieder richtig waschen. Die Innensohle herausnehmen und ganz einfach mit Wasser und Kernseife reinigen. Man kann da nichts falsch machen. Danach den Schuh an der Luft (nicht direkt an der Heizung oder in der prallen Sonne) trocknen lassen. Hier hilft der altbewährte Trick mit hineingestopftem Papier, um die Nässe schneller wieder zu entziehen.
Übrigens, weil auch hier oftmals zu wenig dran gedacht wird, lohnt es sich immer wieder mal eine neue Innensohle in den Schuh zu legen. Wir Hersteller bieten die Ersatzfußbetten an, weil es eines der Elemente des Schuhs ist, das am schnellsten Verschleiß aufweist. Die Fußbetten werden platt gelaufen, denn hier kommt das ganze Gewicht beim Gehen an. Mit einer neuen Einlage kann der Komfort beim Wandern wieder gesteigert werden. Das ist eine ganz simple Maßnahme und kostentechnisch überschaubar.
Wandermagazin: Kann der Wanderschuh als solcher überhaupt noch verbessert werden? Gibt es eine Entwicklungsgrenze?
Lukas Meindl: Ich denke, die Frage haben sich Schuhentwickler schon vor 40 Jahren gestellt. Was kann man besser machen? Es gibt immer etwas. Oftmals geht man zum Ursprung zurück, um dann wieder einen Schritt nach vorne zu gehen. Die Frage ist eigentlich: Wie verändert sich der Mensch und der Fuß? Funktionieren wird der Schuh nur dann, wenn er passt. Die Anatomie ist also der entscheidende Faktor.
Und dann kommt hinzu, dass man Materialien weiterentwickelt. Nehmen wir z. B. Kunststoff wie Polyurethan (PU) als Dämpfungskeil. Das hat es früher nicht gegeben, da bestanden die Zwischensohlen einfach nur aus hartem Gummi. Heute will man es weicher und komfortabler. Um das zu erreichen haben Materialien wie PU enorme Fortschritte gemacht. Auch in Bezug auf Langlebigkeit.
Tatsächlich sind Schuhe nicht für die Unendlichkeit gebaut – die Materialien und Komponenten werden durch die Nutzung und Belastung verbraucht, ähnlich wie es auch bei einem Auto der Fall ist. Aber die Forschung ist sehr weit gekommen, um die Materialien immer länger funktional zu halten. Hier spielt auch der Punkt Umweltverträglichkeit eine wichtige Rolle.
Wir wollen auf Komfort und Funktion bei Schuhe nicht verzichten, weil Funktion Sicherheit ist. Dementsprechend liegt es an uns Materialien immer langlebiger zu machen, damit der Schuh lange Sicherheit verspricht. Das wiederum muss aber in Einklang mit unserer Umwelt gebracht werden. Also müssen wir auf bestimmte chemische Produkte verzichten und neue umweltverträgliche Verfahren weiterentwickeln – das ist eine große Herausforderung. Das gilt z. B. auch für Imprägnierungen. Wir sind heute auf dem Stand der Imprägnierungen ohne per- und polyfluorierte Chemikalien (PFC-frei). Wir wollen natürlich eine Lösung nutzen, die weiterhin zuverlässig Schutz gegen Wasser gewährt und gleichzeitig umweltverträglich ist. Mittlerweile können wir das. Aber es war ein schrittweiser Prozess und man musste ein paar Jahre daraufhin arbeiten. Jetzt ist nicht einfach Schluss. Es kommen neue Stufen, die man erreichen will und auch muss. Es wird uns nicht langweilig.
Wandermagazin: Mit Blick in die Zukunft bleibt zu fragen: Was macht Meindl aus?
Lukas Meindl: Uns macht Tradition aus. Wir beherrschen noch das Zwiegenähte*. Daran erkennt man unsere Schuhe. Das ist sicherlich ein wichtiges Merkmal von Meindl. Neben den „klassischen“ Wanderschuhen sind wir auch stark im sehr speziellen Bereich der Trachtenschuhe. Und auch bei Sicherheitsschuhen, wie für die Forstarbeit, sind wir mit dabei – das sind technisch sehr anspruchsvolle Schuhe.
Wir haben also eine große Bandbreite und Erfahrung anzubieten und ich denke, das ist es was uns am Ende als Marke ausmacht. Wir haben viele Schuhtypen und können somit viele Menschen mit passenden Produkten erreichen. Eines ist dabei klar zu sagen: Wir machen nur Schuhe – nichts anderes. Bei Schuhen sind wir Spezialist mit einer langen Geschichte und bestimmen den Markt mit. Meindl ist eine glaubwürdige Marke und wir wollen auch in Zukunft der Partner an der Seite vom Fachmarkt und den Endverbrauchern sein. Das ist unser Job.
Die Fragen stellte Ricarda Große
*Erläuterung der Redaktion: Zwiegenähte – die sichtbare Doppelnaht am Schuh verbindet die Brandsohle mit dem Schaft. Eine qualitativ hochwertigere und auch zeitaufwendigere Verarbeitung bei Schuhen.