von Redakteurin Svenja Walter
Wandern bedeutet mit allen Sinnen erleben: Sehen, Hören, Riechen, Tasten und auch Schmecken gehört irgendwie mit dazu. An der frischen Luft und nach körperlicher Anstrengung schmeckt seltsamerweise alles doppelt so gut – oder vielleicht gar nicht so seltsam, wenn man bedenkt, dass das Draußensein unsere Sinne belebt und schärft. Neben den traditionellen fünf Sinnen, die schon in der Antike definiert wurden, weiß die Wissenschaft heute, dass es noch mehr Sinne gibt, je nach Definition sogar bis zu 30.

Der sechste Sinn, vermutlich weniger bekannt, aber fürs Wandern elementar, ist die Propriozeption. Ja, das muss man vielleicht zweimal lesen, Pro-prio-zeption, abgeleitet vom lateinischen „proprius“ für „eigen“. Er wird auch Tiefensensibilität genannt und ist nichts Übernatürliches, sondern die Fähigkeit unseren eigenen Körper im Raum wahrzunehmen sowie die Position der einzelnen Körperteile zueinander – und zwar ohne hinzusehen. Im Unterschied zu den anderen fünf „antiken“ Sinnen ist die Propriozeption ein innerer Sinn und etwas komplexer. Es ist nicht nur ein Organ dafür zuständig wie die Nase beim Riechen oder die Haut beim Tasten, sondern ein Zusammenspiel verschiedener Rezeptoren in den Muskeln, Sehnen und Gelenken, wie Golgi-Rezeptoren oder Muskelspindeln, die die Muskelspannung oder die Dehnung der Gelenke messen können.
Diese Informationen über Aktivitätszustand, Bewegung, Körperlage und Haltung werden ununterbrochen an das Gehirn geleitet und die Verarbeitung läuft dann wieder wie bei den anderen Sinnen im Hintergrund, also unbewusst ab. Wir müssen beim Wandern nicht jeden Schritt bewusst setzen, das geht quasi von allein. Erst wenn der Untergrund uneben wird, das normale Bewegungsmuster nicht mehr funktioniert und wir aus dem Tritt zu geraten drohen, erfordert das Gehen unsere erhöhte Aufmerksamkeit. Durch die Propriozeption weiß unser Körper, wo unsere Füße aufsetzen und wie sich die Beine bewegen müssen. Er hat es gelernt und bewahrt uns auch vor Verletzungen, denn durch die schnelle Wahrnehmung von Stolpern oder Fallen, kann der Körper reflexartig Schutzmechanismen aktivieren.
Der sechste Sinn ermöglicht also, dass wir uns überhaupt bewegen und wandern können. Propriozeption sorgt dafür, dass wir unseren Körper als eine physische Einheit wahrnehmen, vermittelt uns ein Körpergefühl. Und tatsächlich ist es auch das, was mir am Wandern unter anderem so viel Spaß macht: meinen eigenen Körper wahrnehmen, ihn bewegen und spüren. Es gibt ja noch viel komplexere und anstrengendere Bewegungsabläufe als das Gehen, aber beim Wandern kann ich meinen Körper mit Gelassenheit wahrnehmen und das Gefühl genießen. Mehr noch, ich baue eine Beziehung zu meinem Körper auf. Ich habe nicht einfach nur einen Körper, der einigermaßen funktioniert, ich nehme das bewusst war. Dazu gehört auch, dass er mir signalisiert, wenn etwas gerade nicht rund läuft, eine verspannte Wade, ein Stechen im Knie. Damit sind wir aber schon wieder bei einer anderen Sinneswahrnehmung…
Zwei weitere Sinne kommen beim Wandern ebenso zum Einsatz: der Gleichgewichtssinn und der Temperatursinn. Und nicht zu vergessen natürlich der Orientierungssinn, der wohl wie alle Sinne von Person zu Person unterschiedlich stark ausgeprägt ist. ;)
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In unserer Kolumne "Veni.Vidi.Wandern" setzen wir uns mit verschiedenen Gedanken rund um unsere Leidenschaft und Arbeitswelt, dem Wandern, auseinander. Mal ernst hinterfragt, mal amüsant erzählt, vielleicht auch mal auf Abwegen – kurzum, hier schreiben wir nach Lust und Laune, was uns beim Wandern durch den Kopf geht.