Traufgänge - Wandern im Penthouse der Schwaben - page 11

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SCHWABENTRAUF
Die Liebe zur Landschaft
Vier, drei, zwei – dazwischen Schmiecha und Eyach, so schaut das neunteilige Stadt-
teilegeflecht von Albstadt aus der Luft betrachtet aus. Laufen und Burgfelden im
Westen, Pfeffingen, Margrethausen und Lautlingen in der Mitte und Onstmettingen,
Tailfingen, Truchtelfingen und Ebingen im Osten. Der protestantische Pietismus hat
die Menschen über Generationen geprägt. Die kargen Böden bedingten ein entbeh-
rungsreiches Leben der Menschen. Trost fanden sie im Glauben und trotz verschie-
dener Auswanderungswellen trotzten die Albstädter den Unbilden, pflegten ihren
Erfindungsreichtum mit einem schier unbändigen Fleiß. Die ländliche Heimat war
gottgegeben. Man musste sich arrangieren. Inzwischen ist ein tief wurzelnder Stolz
über die Schönheit und Unverwechselbarkeit der eigenen Landschaft in die Herzen
der Traufbewohner eingekehrt. Sie gehören selbst zu den leidenschaftlichsten Trauf-
gängern. Mit sichtlichem Stolz in der Stimme spricht der Albstädter von seinen Trauf-
gängen und freut sich nachdrücklich, dass so viele Menschen von weither den Weg auf
die Alb finden um das zu genießen, was über Generationen hinweg als Petitesse galt
- eine umwerfend spannende Landschaft mit faszinierenden Ausblicken.
Not macht erfinderisch
In Lichtstuben wurde einst die Schafwolle erst gesponnen und dann auf Spulen
gewickelt, bevor auf hunderten Webstühlen die Weberschiffchen sausten. Mit der
Erfindung des Rundwirkstuhles begann eine neue Ära: Statt die Maschen kunstfertig
nacheinander händisch aufzuschlagen, konnten in einem Durchgang 100 Maschen
gleichzeitig gewirkt werden. In den Tälern von Schmiecha und Eyach begann das Zeit-
alter der Strumpfweber. Befeuert durch den Erfindergeist des Onstmettinger Pfarrers
Philipp Matthäus Hahn, er gilt als der Erfinder des für die Schwäbische Alb bekannten
Waagenbaus, entwickelte sich das feinmechanische Handwerk zur Herstellung von
Stricknadeln und immer effektiveren Rundwirkstühlen. Mitte des 19. Jh. waren nahezu
alle Menschen in und um Albstadt in der boomenden Trikotagenindustrie beschäftigt.
Mit den Marken Mey, Comazo, Gota, Nina von C oder Conzelmann gibt es auch heute
noch bedeutende Marken der Dessous- und Unterwäschebranche in Albstadt. Die
Firma Groz-Beckert in Albstadt-Ebingen ist sogar zumWeltmarktführer für Näh- und
Stricknadeln avanciert. Man sollte die Albstädter Geschichte im Hinterkopf haben,
wenn man von einem der Traufgänge auf Ebingen, Tailfingen, Lautlingen oder Laufen
blickt. Den kompakten, eingängigen und anschaulich dargestellten Überblick vermit-
telt ein Besuch des Maschenmuseums im Stadtteil Tailfingen.
Ha scho!
Und da wäre noch das melodiöse schwäbische Idiom. Wer sich bei seinen ersten
Kontakten mit den Albstädtern wie im Ausland wähnt, sollte sich der Faszination der
dunklen Klangfarbe, der auffälligen Nasal- und Schwa-Laute dennoch nicht entziehen.
Geduld! Der Schwabe kennt im Unterschied zur hochdeutschen Sprache nur die sechs
Grundvokale und den eher selten gebrauchten Umlaut „ä“. Das „ö“ oder „ü“ fehlt im
Schwäbischen. Außerdem kennt er nur drei Fälle (der Genitiv fehlt weitgehend) und
während Butter, Schokolade oder die Cola für den Normalsterblichen weiblichen
Geschlechts sind, hält der Schwabe am männlichen Geschlecht fest. Der Plural drückt
sich häufig durch ein „a“ am Ende aus. So sind die Spätzla und die Mädla schlicht der
Plural für das schwäbische Nudelgericht und das weibliche Geschlecht. Das gemeinhin
gebräuchliche „wir“ ersetzt der Schwabe gerne durch ein „mir“. Statt „Wir können
alles, außer Hochdeutsch“ übersetzt der Schwabe so: „Mir kennat älles. Außer Hoch-
deitsch.“ Doch aufgepasst, wer etwa bei passender Gelegenheit nach dem rechten Weg
fragt sollte: „Do hanne num“ ist nur eine sehr ungefähre Lokalisierung und meint,
hier irgendwo, während do honna (da unten), do hanna (hier), do henda (da hinten)
präzise Verortungen sind. Sei`s drum, jetzadle, ob ich die Schwaben mag? Ha scho....
Tanja Schlaich,
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Michael Nädele,
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Comazo kommt von
Conrad Meyer zum Ochsen. Seit
1884 stellen wir bis heute Un-
terwäsche hier in Albstadt her.
Inzwischen sogar mit eigenem
Outlet in Albstadt!
Johanna Joachim
30, Kunsthistorikerin
Wer schafft sündigt nicht.
Diese pietistisch inspirierte
Lebenseinstellung war sicherlich
Treibstoff für den beispiellosen
Boom der Trikotagenindustrie
in und um Albstadt.
Eugen Conzelmann
75 Jahre, Mundartdichter
Den Albstädter gibt es
nicht. Jeder Stadtteil ist höchst
eigen. Aber alle sind sich einig:
„I möcht it tauscha, it für
Geld, ´s ist neana schöner
uff dr Welt“
Johanna Joachim, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Maschenmuseums in
Albstadt, zeigt auf das flachsfarbene Beinkleid in der Vitrine im Albstädter
Maschenmuseum und erläutert kichernd „Das war seinerzeit zweckmäßiger
wie modischer Hit, eine Damen-Stehbrunzhose aus Trikot.“ Ich verstehe, bei
„notdürftigen“ Lebenslagen einfach den rückwärtigen Hosenlatz öffnen und
fertig war „frau“ fürs Geschäft. Wer etwas über den Albtrauf der Schwaben,
die Menschen, ihre Gewohnheiten, ihr Selbstverständnis lernen möchte,
sollte einen Besuch des schönen Maschenmuseums im Stadteil Tailfingen an
den Anfang stellen.
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