Wandermagazin live 172 - page 42

Tim ohne Struppi
Ein Mönch lässt sich im Laden blicken,
Eric bekommt es gar nicht mit. Er blät-
tert im Klostershop versunken in einem
Comic-Band über die Geschichte des
Klosters. Eric ist eben als richtiger Belgier
Comic-begeistert, sozusagen ein Tim ohne
Struppi. Nur die Aussicht auf Schokolade,
auf richtig gute belgische Schokolade, die
ist zu verlockend, da legt er den Comic
lächelnd beiseite.
Die wunderbare Welt des
Monsieur Edouard
Orval gehört zur Gemeinde Florenville.
Im gleichnamigen Städtchen, wenige
Autominuten vom Kloster entfernt, treffen
wir Monsieur Edouard. Monsieur Edou-
ard (komisch, Edouard scheint nur einen
Vornamen zu haben, der Nachname blieb
geheim, tut wohl nichts zur Sache) ist ein
Chocolatier.
Das Schokoladen-Laboratorium
Sein Schokoladenladen liegt in einer be-
lebten Einkaufsstraße von Florenville und
ist nicht “nur” ein Verkaufsshop, wie man
sie häufig in Belgien findet, sondern auch
ein Café, aber vor allem eine Show-Cho-
colaterie. Hinter einer großen Glasscheibe
befindet sich das Laboratorium von Mon-
sieur Edouard. Nicht “Küche”, nicht “Scho-
kostube”, sondern “Laboratorium”. Oh là
là! Je länger ich der Arbeit von Monsieur
Edouard zusehe, desto mehr erscheint
mir das Laboratorium eine Zauberwerk-
statt zu sein. Vor unseren Augen zaubert
der Harry-Potter der Schokoladenkunst
filigrane Kunstwerke aus der glänzend
braunen Masse.
Mit Spachtel und Sesam
Auf einer kalten Arbeitsplatte entstehen
hauchdünne Platten aus braunem Gold,
Blumenknospen, filigrane Gitter mit Kro-
kantsplittern. Flink geht Monsieur Edou-
ard seinem Handwerk nach. Statt einem
Zauberstab verwendet er einen einfachen
Spachtel. Immer wieder muss ich ihn un-
terbrechen, denn ich kann gar nicht anders,
als das eine oder andere Kunstwerk direkt
an Ort und Stelle zu verkosten. Wenn ich
jeden Tag im Schokoladen-Laboratorium
arbeiten würde, müsste man sich ernsthaft
Sorgen um meine Linie machen. Monsi-
eur Edouard scheint damit kein Problem
zu haben, er ist gertenschlank trotz der
ganzen Schokolade. Vielleicht ist er ja im
Besitz des Geheimnisses einer ultimativen
Schokoladen-Diät. Wir verlassen die Werk-
statt des Meisters und setzen uns in sein
Café. Zum krönenden Abschluss dürfen
wir einige Pralinen verkosten, die auch mit
herzhaften Komponenten spielen – Mon-
sieur Edouard hat Sesam, Rosmarin und
das Trappistenbier aus dem Kloster Orval
in die kleinen Schoko-Kugeln eingearbeitet.
Der Clou dieser Verkostung ist, dass wir
zwischen den Häppchen aus einem Pro-
biergläschen Kriek-Bier mit Waldfrüchten
trinken. Die Kombination von fantasievoll
komponierten Pralinen und dem herb-
süßen Bier lässt die Geschmacksknospen
in meinem Mund explodieren. Das ist ein
Schokoladen-Erlebnis der besonderen
Art! Wanderer, kommst Du nach Orval,
belasse es nicht bei der klösterlichen Ruhe,
sondern lasse Dich in Florenville von Mon-
sieur Edouard und seinen sensationellen
Schoko-Kreationen bezaubern. Das ist
keine Bitte, das ist ein Befehl!
Bild unten:
Die Gaume gehört zu den schönsten
Landschaften im Süden Belgiens. Hier das Dorf Torgny.
Foto: © WBT/J. Flemal
Bilder rechts:
Dieses Kunstwerke zauberte Monsieur Edouard vor
unseren Augen in seinem Laboratorium.
Foto: © Wandermagazin/M. Sänger
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