Wandermagazin live 178 - page 21

Unweit von Dinant, wo die Maas mit Macht durch die Ardennen bricht,
liegt auf einer kleinen Anhöhe über einemZufluss zur Lesse das markante,
fünftürmige Schloss Vêves. Es gehört seit dem 12. Jh. der Familie Lie-
derkerke Beaufort. Das Elchgeweih im großen Rittersaal, dessen Boden
mit quadratischen Ziegelmustern gestaltet wurde, beweist, dass auch die
Grafenfamilie der Jagdleidenschaft frönt.
Die Lesse
Die Zylinderhauben der Türme verleihen dem sehenswerten
Schloss etwas Spitzbübisches. Von hier führt eine knapp 16 km lange
Wanderrunde erst im Tal der Lesse unterhalb hoch aufragender Kalk-
felsen vorbei zum Schloss Walzin. Das klebt wie ein Schwalbennest
auf einem lotrecht zur Lesse abfallenden Felsen. Spektakulär ist auch
der Weg zurück nach Vêves über die steilen Felsen oberhalb der Lesse.
Man sollte unbedingt einen Abstecher in den angrenzenden kleinen
Nationalpark Furfooz mit dem sehenswerten rekonstruierten römischen
Bad unternehmen. Faszinierend ist hier auch der Blick von den steilen
Felsen, in dem Falken brüten, in das Lessetal hinein. Die Lesse ist einer
der typischen Ardennenflüsse mit flachenMulden imOberlauf und ganz
abenteuerlichen Schluchtenpassagen imMittel- und Unterlauf.So erlaubt
sich die Lesse bei Han-sur-Lesse sogar das komplette Verschwinden.
Einen ganzen Tag braucht der muntere Bergfluss, um sich durch das
Gebirgshindernis eines Kalkrückens zu pressen. Die gut zweistündige
Fußwanderung in die dortige Unterwelt der Grotten von Lesse, vorbei
an filigranen Tropfsteingebilden, beeindruckend glitzernden, steinernen
Kaskaden, geradewegs durch gewaltige Höhlen hindurch gehört zu den
beeindruckendsten Höhepunkten der Ardennen.
Wildpark und Straßenbahn
Wo die Lesse sich durch ein gewaltiges Steintor in das Kalkmassiv
von Boine zwängt, liegt auch ein sehenswerter Wildpark. In dem 250
ha großen Gelände der Domaine des Grottes de Han leben neben den
heimischen Wildtieren wie Rotwild oder Damwild auch Wölfe, Luchs,
Wisente und Steinböcke. Ein gerade fertig gestellter Rundwanderweg
führt im mehrstündigen, anspruchsvollen Auf und Ab durch das Wild-
tierreservat. Der Einstieg in den „Hades“ der Lesse wird mit einer alten
Straßenbahn erleichtert. Sie bringt den Höhlenforscher zum einige
Meter höher gelegenen Einstieg. Unterwegs hat man Gelegenheit, die
abenteuerlichsten Sinterkunstwerke zu bewundern, immer wieder hört
man die Lesse rauschen oder gurgeln. Es tropft und rieselt im virtuosen,
teils konzertantenTakt von der Decke und wenn dann in der Dunkelheit
des Berginnern das eindrucksvolle musikalisch untermalte Lichtfeuerwerk
gegeben wird, dürfte auch dem letzten Besucher ein Schauer der Ergrif-
fenheit über die Haut fahren.Wo die Lesse den Berg verlässt, endet auch
die Führung durch die Unterwelt. Große Klasse.
St. Hubert
Das Zentrum der Jagd im Ardenner Wald ist St. Hubert. Hier
treffen sich Ende Mai die Compagnons de Saint Hubert, eine Bruder-
schaft mit europaweit mehr als 1.100 Mitgliedern, darunter passionierte
Jäger und Freunde der Jagd. Anfang September treffen sich die Jagd-
hornbläser zum Wettstreit mit den gewundenen Messinginstrumenten.
Den ganzen Oktober über nehmen Wallfahrer Kurs auf die eindrucks-
voll mit gewaltiger und doppeltürmiger Barockfassade aufragende
Basilika St. Peter und Paul in der Europäischen Hauptstadt der Jagd
und der Natur. Auch aus Deutschland pilgern jährlich Tausende zur
Basilika, deren heutige Substanz aus dem 16. Jh. stammt. 13 gotische
Kapellen, die Grabstätten einiger Äbte und ein monumentaler Chor-
umgang füllen das 25 m hohe und rund 80 m lange Kirchenschiff. Am
3.November schließlich wird in St.Hubert des Fest des hl.Hubert gefeiert.
Der Apostel der Ardennen wurde 665 geboren und lebte zunächst als
Einsiedler in denWäldern der Ardennen.Der Legende nach hatte er hier
die Erscheinung eines prächtigen Hirsches, der das Kruzifix im Geweih
trug. Hubertus bekannte sich schließlich zum christlichen Glauben und
wurde 716 zum Bischof von Lüttich geweiht.
Wald voller Frischlinge
St. Hubert ist übrigens auch ein Wanderzentrum. Die Transardennaise
ist einWanderweg zwischen den Tälern von Ourthe, Lomme, Lesse und
Semois. Man kann in sieben Etappen von La Roche-en-Ardenne über
Nassogne und St. Hubert nach Bouillon wandern oder in vier Tagen
von St. Hubert über Nassogne, Marche-en-Famenne zurück nach La
Roche-en-Ardenne. In Bouillon besteht Anschluss an das französische
Wanderwegenetz. Der Eifel-Ardennen Wanderweg Rhein-Maas führt
in sieben Etappen von Gerolstein nach St.Hubert.Dazu gibt es mehrere
Dutzend kurze und lange Rundwanderwege. Am Nachmittag treffe ich
Jules Bay. Er ist ein Chevalier der Compagnons de Saint Hubert, ohne
selbst zu jagen.Wir sitzen über einer Karte der Jagdparzellen rund um St.
Hubert. Mit dem Finger tippt er auf eine Stelle, hier sei das Jagdschloss
des belgischen Königshauses.Auf demDachboden über der Garage seines
geländegängigen Jeeps zeigt mir der 74-Jährige hunderte von Gewei-
hen. „Hier ein Vierzehnender, das hier ist ein Zwölfender.“ Als er mich
spontan zu einer Wildschweinsafari einlädt, kann ich nicht nein sagen.
Und tätsächlich, 40 Minuten später, hoch über St. Hubert im tiefsten
Buchenwald, nähern wir uns einer Lichtung. Sind es 100 oder 200Wild-
schweine, die sich hier tummeln? Bachen ziehen mit ihren Frischlingen
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