Ja – da ist wieder dieses wohlige Ich-bin-im-hohen-Norden-Gefühl. Liegt es an der erfrischenden Kühle der Luft? An der beruhigenden Klarheit der Landschaft? Liegt es an den Menschen, die hier noch immer in einem viel engeren Kontakt zur Natur leben und niemals an der Existenz von Elfen und Trollen Zweifeln würden?

Die 18 bewohnten Inseln der Färöer liegen abgeschieden inmitten des Nordatlantiks. Die nächsten Nachbarn sind Norwegen, Island und die Shetland Inseln. Dänemark, zu denen das Archipel gehört, ist, so sagen die Färinger selbst, sehr weit weg. Damit meinen sie nicht nur die Flugzeit von gut zwei Stunden in die Hauptstadt Kopenhagen, sondern noch mehr das Erhört werden im dortigen Parlament. Wie Grönland, wurden auch den Färöer Inseln weitreichende Autonomierechte zugestanden.

Mit einem Leihwagen fahre ich zum Hotel Føroya, das oberhalb der Haupt- und Hafenstadt Tórshavn liegt. Das Hotel, entworfen von den dänischen Architekten Friis und Moltke, greift die Klarheit der Landschaft auf und fügt sich somit harmonisch in diese ein. Aus meinem Zimmer schaue ich über das grasbewachsene Dach auf Tórshavn, das Meer und das Eiland Nólsoy, an dem sich gerade ein Frachtschiff langsam vorbei schiebt. In einem solchen Moment geht der Griff zum sehr teuren Minibar-Bier in Ordnung. Gegen 23:30 Uhr ist es noch nicht richtig dunkel, aber Zeit schlafen zu gehen. Morgen bin ich mit Óluva Zachariasen verabredet. Sie ist Journalistin, Radiomoderatorin – und die erste Frau, die das Rennen um die Besteigung aller 340 färingischen Berge über 300 m für sich entschied. Ich sollte also ausgeschlafen sein für unsere Tour!

Die schönste Wanderung vonq Vágar

Nach einem hervorragenden Frühstück mit Blick über das sonnenbeschienene Tórshavn treffe ich vorm Hotel auf Óluva und ihre Schwester Guðrun. Unsere Fahrt nach Saksun, dem Ausgangspunkt unserer Wanderung, unterbrechen wir, als wir eines der rund 70.000 Insel-Schafe hinkend und immer wieder hinfallend neben der schmalen Straße erblicken. Es hat sich in einem Weidedraht verheddert. Resolut hält Óluva das Schaf fest, während ihre Schwester mit einem Messer Fell und Draht voneinander trennt. Kurz nach dem erfolgreichen Erste Hilfe-Einsatz stehe ich vor der wohl meistfotografierten Szenerie der Färöer Inseln: oberhalb einer Lagune steht die kleine grasbedeckte Dorfkirche von Saksun. Auch wenn ich zuvor schon auf den Färöer Inseln war, hier bin ich das erste Mal und dennoch ist mir der Anblick vertraut. Ich erinnere mich, dass ich mir in den 1980er Jahren für den Erdkundeunterricht eine Imagebroschüre der Färöer Inseln besorgt hatte. Die Titelseite wurde von eben diesem Motiv geziert.

Die Kirche steht seit dem Jahr 1858 an dieser Stelle. Allerdings ist sie wesentlich älter, denn zuvor stand sie bereits in dem Örtchen Tjørnuvík. Machten sich die Einwohner Saksuns zum Kirchgang auf den Weg, mussten sie über die Berge nach Tjørnuvík wandern. Da das kein Sonntagsspaziergang, sondern ein anstrengender Fußmarsch war, bauten die Saksuner die Kirche dort kurzerhand ab und transportierten Innenwände, Gebälk und Altar über die Berge hierher. ...