Das mit dem Trinken ist im 21. Jahrhundert immer so eine Sache. Schnell ist man als Alkoholiker stigmatisiert, wenn man sich zu den Freuden des leichten, gepflegten Rausches bekennt. Immer in Maßen, damit das mal klar ist, ja, ja, schon okay. Zur Beruhigung für alle Bierliebhaber: Kanadische Forscher haben in einer sogenannten Metastudie, die 147 Untersuchungen der letzten 60 Jahre berücksichtigt, heraus gefunden, dass man unbedingt täglich Alkohol trinken sollte, um fit und gesund zu bleiben. Ab und an zu trinken ist nicht so toll für Herz und Kreislauf, und wer gar abstinent lebt, kann eigentlich direkt den Sargtischler bestellen. Kein Witz, alles Wissenschaft.

Um die Wechselwirkung von Wandern und Alkohol wissenschaftlich exakt zu testen, bin ich kürzlich nach Franken gefahren, genauer in die Fränkische Schweiz, oder, wie die Einheimischen dort sagen, in die Frängische. Die hochdeutschen Konsonanten „K“ und „T“ sind in der Frängischen nämlich nahezu unbekannt. Weswegen kluge fränkische Eltern darauf achten, ihren Kindern Vornamen zu geben, in denen kein K oder T zu finden ist. Damit die armen Kinder nicht Domas oder Gevin genannt werden, oder etwa Danja und Glara. Und der Doppelname Garl Dheodor geht gar nicht.

Den Ausdruck Fränkische Schweiz gibt es erst seit 1829, als es langsam Mode wurde, alles was felsig daher kam, nach Helvetien zu benennen: die Luxemburgische, die Holsteinische, die Sächsische usw. Die Fränkische Schweiz hatte, bevor sie Fränkische Schweiz genannt wurde, einen anderen Namen: ganz einfach Gebürg. Und in diesem Gebürg hatten sich auch die Romantiker getummelt, Tieck war da, Wackenroder war da, und sie hatten das Hohelied auf die Schönheit der Frängischen gesungen. Sie vermeldeten, dass es so unwahrscheinlich schön in der Fränkischen Schweiz sei, dass ihnen die Wörter fehlen würden … na ja, man kann es sich auch einfach machen, dann muss ich eben Worte finden.

Ich startete meine fränkische Bierwanderexpedition in Aufseß-Sachsendorf. Mit einem Bier. Kein Belohnungsbier, sondern ein Startbier. Der zünftige Start zu meiner Wanderung auf dem Brauereienweg Aufseß. Das Bier und die vielen Brauereien sind ein großes Thema in der Frängischen. Es gibt in Franken 385 Brauereien, alleine 100 in der Fränkischen Schweiz. Das ergibt die größte Brauereidichte der Welt. Es gibt eine Vielzahl von Wanderwegen im Gebürg, die sich mit dem Thema Bier und Brauereien beschäftigen. Etwas ganz Besonderes ist der Brauereienweg von Aufseß. Vier Brauereien dieser Rundwanderung liegen auf dem Grund und Boden der Gemeinde Aufseß mit 1.400 Einwohnern. Damit haben es die Aufseßer ins Guinness-Buch der Rekorde gebracht – sie können die größte Brauereidichte der Welt vorweisen. Eine Brauerei auf 375 Einwohner!

Ich trank also mein erstes Bier, einen halben Liter Seidla, sehr dunkel, im Gasthaus der Brauerei Stadter in Sachsenburg. Von einem fränkischen Bier-Experten ist der Satz verbürgt: „Die Gurgel muss wissen, dass ein Wolkenbruch kommt. Der erste Schluck soll schon mal in die Knie gehen.“ Dann erhielt ich einen Brauerei-Wege-Wanderpass. Mit diesem Dokument kann man sich in allen vier Brauereien einen Stempel abholen und bekommt dann eine Urkunde, die den Wanderer/Biertrinker zum „Fränkischen Ehrenbiertrinker der Weltmeisterbrauereien” adelt. „Ehrenbiertrinkerurkunden” (englisch „Franconian Honorary Beer Drinker Certificate“) gibt es selbstredend erst ab einem Alter von 16 Jahren. Aber für die Kleinen ist auch gesorgt, damit diese nicht urkundenlos bleiben. Für sie gibt es die „Brauereiwegbegleiterurkunden”. Die sind allerdings nur echt mit dem originalen Brauereiwegbegleiterurkundenstempel.

Dann ging es aber wandertechnisch endlich los. Zunächst mit einer Wegealternative über die Landstraße (doof), oder über die waldig/felsige Höhe (schön). Der nächste Ort Neuhaus ist eine riesige Enttäuschung. Okay, schnuckelige Häuser, tolle Felsenlandschaft, aber – Hallo? - keine Brauerei. Was soll das denn? Schnell weiter! Fünf Kilometer nach dem Start erreichte ich die Brauerei Rothenbach.

Am meisten lernt man über Gaststätten, so habe ich es immer empfunden, indem man aufmerksam die jeweilige Speisekarte liest. Gibt es nämlich Wissenswertes zu vermelden, so wird es auf der ersten Seite vor den Vorspeisen auch getan. Die Gaststätte am Rothenbach, so erfuhr ich auf diesem Wege, war nicht immer eine Brauerei gewesen. Aber 1886 ergab sich die Gelegenheit, vom Franziskanerkloster in Gößweinstein allerlei Brauereiwerkzeug käuflich zu erwerben. Warum die Mönche es loswerden wollten, bleibt leider im Unklaren, aber immerhin erfährt der aufmerksame Speisekartenleser, dass zehn Ochsenfuhrwerke benötigt wurden, die Brauereiutensilien vom Kloster in die Gaststätte zu schaffen. Bei der Gelegenheit möchte ich eine Geschichte zu Bier und Klöstern erzählen.

Die Klostersauferei der Mönche war nicht immer gut gelitten. Es existiert eine hübsche Geschichte, warum die deutschen Mönche überhaupt in der Lage waren, in der Fastenzeit Bier zu brauen und auch zu trinken. Es war nämlich so: Die deutschen Mönche hatte auch in der Fastenzeit ganz fürchterlichen Durst und baten den Papst, auch in den zweimal 40 Tagen der Enthaltsamkeit vor Weihnachten und Ostern das kühle Nass kosten zu dürfen. Von Alkohol im engeren Sinne könne keine Rede sein. Man fügte dem Bittschreiben nach Rom ein kleines Fässchen bei, welches sich daraufhin auf den Weg in den Vatikan machte. Zwar führen alle Wege nach Rom, aber es dauerte schon an die sechs Wochen, bis das Bier nach der mühsamen Alpenüberquerung auf dem Schreibtisch des Pontifexes landete. Der kostete das Gebräu, das inzwischen das Haltbarkeitsdatum schon deutlich überschritten hatte, und unterzeichnete schnell die Bierbulle – sollten die Mönchlein im barbarischen Deutschland doch diese ekelige Plörre saufen, wenn es ihnen gefiel. Das Getränk war eine Strafe geworden, keine Wohltat. Und die bierbrauenden Klöster in Deutschland rieben sich die Hände, brauten und soffen das gute Zeug frisch aus dem Zapfhahn – auch in der Fastenzeit. Diese Geschichte ist zwar nicht vom Vatikan verbrieft, aber sie wurde mir von einem Ex-Mönch erzählt, und ich nehme nicht an, dass der mich angeflunkert hat.

Es fiel mir einigermaßen schwer, mich von den Bänken im Brauereigasthof Rothenbach zu erheben. Nicht, dass ich schon angetrunken gewesen wäre, nein, aber man hätte doch durchaus noch das eine oder andere Bier verkosten mögen. Aber das Kathi-Bräu wartete, und nach einem dezenten Anstieg hinauf aus dem Aufseßer Tal sah ich über einen Hügel hinweg schon die nächste Brauerei. Ein überragendes Gefühl, denn die Gefahr der Unterhopfung wäre groß gewesen, hätte ich ernsthaft eine größere Strecke ohne Brauerei wandern müssen. Das Kathi-Bräu verfügt über einen riesigen Parkplatz, der gerne von Freunden des Motorradsports angefahren wird. An einer Pinnwand hing allerhand, was des Bikers Herz höher schlagen lässt: Angebote mit gebrauchten Motorrädern, Motorradmessen, Motorradsegnungen, Motorradtreffen bundesweit, europaweit, weltweit. Und die meisten Motorradfahrer trinken tatsächlich Cola/Apfelschorle/Spezi. Denn die Alkoholvorschriften in Deutschland sind gnadenlos. In der guten alten Zeit (1960er Jahre) lag die erlaubte Promillegrenze noch bei 1,3 („klar kann ich noch fahren, hicks“), jetzt pendelt sie je nach Alter und Fahr-Erfahrung zwischen 0,0 und 0,3 Promille.

Dann ging es über geschwungene Pfade schwebend unter Bierdrogeneinfluss zur nächsten Brauerei in Hochstahl. Unter uns: Der Knaller bei dieser Wanderung sind die Brauereien und das Bier, den Wanderweg an sich muss man sich schön trinken. Sehr viele breite Wege, sehr viel Asphalt, aber das kriegt man irgendwann gar nicht mehr mit. Oder findet es einfach nicht mehr so schlimm. Die Diskussionen unter den Wanderfreunden werden immer intensiver und philosophischer, es ist wirklich dringend anzuraten, den Brauereiweg Aufseß immer in Gesellschaft zu gehen.